Buchautorin aus Barsbüttel unterstützt Kinder in Swasiland. 45 Prozent von ihnen wachsen ohne Eltern auf

Barsbüttel. Annähernd 10.000 Kilometer liegen zwischen Barsbüttel und Swasiland, doch gefühlt ist der Abstand noch größer, denn die Bewohner der Gemeinde im Hamburger Speckgürtel und die Menschen in dem armen Mini-Königreich im Nordosten Südafrikas scheinen in unterschiedlichen Welten zu leben. Die Globalisierung lehrt uns jedoch, dass Reichtum und Armut auf dieser Erde mehr miteinander zu tun haben, als wir es wahrhaben wollen. Und in diesem speziellen Fall gibt es sogar eine sehr direkte persönliche Verbindung, deren Vorbild nachhaltig in Barsbüttel wirkt.

Die Kinderbuchautorin Kirsten Boie, die seit mehr als 30 Jahren in Barsbüttel zu Hause ist, las 2007 einen Zeitungsartikel über „Das Land der Waisen“, der sie sehr betroffen machte. Sie hörte damals erstmals davon, dass die rund 1,3 Millionen Einwohner Swasilands die weltweit höchste HIV-Infektionsrate und die geringste Lebenserwartung im Ländervergleich haben und was das für die Kinder dort bedeutet: 45Prozent von ihnen sind Waisen.

Boie informierte sich über die in Swasiland tätigen Hilfsprojekte und stieß auf die Organisation MobiDiK (Mobiler Dienst für Kinder), die gemeinsam mit Partnern die „Hand in Hand Neighborhood Care Points“ (NCPs) für etwa 4000 Kinder unterstützt und medizinisch versorgt. Rund 100 dieser stabil gemauerten Einraumhäuser mit einer einfachen Kochstelle für einen großen Dreibeintopf gibt es inzwischen in Swasiland, die meisten davon in Shiselweni, dem ärmsten der vier Distrikte. Etwa 700 einheimische Frauen, sogenannte Caregivers, kochen dort für die Kinder, unterrichten und unterhalten sie. „Es geht darum, die Kinder zu erreichen, die nicht zur Schule gehen“, sagt Boie.

Die Betreuungsstationen sind so verteilt, dass sie für viele Kinder eine täglich zu Fuß erreichbare Anlaufstelle geworden sind, wo sie nicht nur mit Essen versorgt werden, sondern auch Zuwendung bekommen. Außerdem werden die NCPs regelmäßig von einem Ambulanzfahrzeug mit einer Krankenschwester angefahren, um Kinder – und auch Erwachsene – medizinisch zu betreuen. Die NCPs sind eingebunden in ein Netz verschiedener Hilfsorganisationen wie Unicef und Ärzte ohne Grenzen. Das Ganze läuft unter einheimischer Koordination und Anleitung, damit die Hilfe nicht an den Bedürftigen vorbeigeht, wie es so oft bei gut gemeinten Entwicklungshilfeprojekten geschieht, die von den Geldgebern über die Köpfe der Betroffenen hinweg geplant werden.

Kirsten Boie kennt all das aus eigener Anschauung, denn sie ist inzwischen nicht nur fleißige Spenderin, sondern auch Botschafterin von MobiDiK und reist mindestens einmal im Jahr nach Swasiland. Über ihre Erlebnisse dort hat sie öffentlich nie gesprochen. Stattdessen hat sie ihre verstörenden Erfahrungen in kurzen Geschichten verarbeitet. Das alles ohne die Absicht, für ein größeres Publikum zu schreiben.

Dennoch ist daraus ein Buch geworden, als ihr Verlag von diesen Texten erfuhr – ein schmaler, sehr einfühlsam von der Hamburger Illustratorin Regina Kehn bebilderter Band mit vier kurzen Erzählungen, der den Titel „Es gibt Dinge, die kann man nicht erzählen“ (Oetinger, 112 Seiten, 12,95 Euro) trägt. Dabei ist Boie das Kunststück gelungen, so anrührend und ohne falsche Töne von den Aids-Waisen in Swasiland zu schreiben, dass ihr Buch kürzlich unter anderem mit dem angesehenen Kritikerpreis „Luchs des Jahres“ der Wochenzeitung „Die Zeit“ ausgezeichnet wurde. Boie macht nur ungern Aufhebens um ihr Engagement, doch sie weiß auch, dass öffentliche Aufmerksamkeit der guten Sache hilft.

Wie das funktionieren kann, sieht sie in ihrer Heimatgemeinde. Auch die Barsbütteler haben das Engagement in Swasiland zu ihrem Projekt gemacht. An der Erich-Kästner-Gemeinschaftsschule am Soltausredder wird ebenso gesammelt wie in der Grundschule und in Kitas der Gemeinde. Lehrer der Musikschule Barsbüttel gaben im Rathaussaal ein Benefizkonzert. Im Rathaus dokumentierte zudem eine kleine Ausstellung die Arbeit von MobiDiK.

Alle Spenden sollen nach der 100-Prozent-Regel vollständig den Betroffenen zugute kommen. Boie zum Beispiel trägt all ihre Kosten für die Reisen nach Swasiland selbst. Dass der Einsatz sich lohnt, lässt sich auch an Statistiken erkennen. Seit 2008 wurde dank NCPs, Aufklärung und medizinischer Versorgung die Infektionsrate leicht gesenkt. „Die erste Aufgabe lautet, ein weiteres Fortschreiten von Aids in den Griff zu kriegen. Doch wenn die Kinder Medizin und Essen haben, müssen wir uns fragen, was dann folgt“, sagt Boie und fügt hinzu, dass zur Grundversorgung auch die Bildung kommen müsse, also organisierter Unterricht, aber auch Unterweisung in der Landwirtschaft, damit die Kinder lernen, den eigenen Bedarf durch Subsistenzwirtschaft zu decken. „Die Jugendarbeitslosigkeit in Swasiland liegt bei 90 Prozent, und für den Anbau zur Selbstversorgung fehlt das Erfahrungswissen der Eltern.“

Boie erzählt, dass die Landessprache SiSwati kein Wort für den Begriff „Waise“ kenne, weil die Großfamilie in diesem Fall als gleichwertiger Ersatz den Verlust der Eltern aufgefangen habe. Doch Aids habe dieses Konzept zerstört. Man könnte also sagen, dass deshalb eine neue Großfamilie helfen muss – und die kann bis ins 10.000 Kilometer entfernte Barsbüttel reichen.