Wenn ein Zwilling geboren wird – das habe ich in dem Roman „Die kommende Welt“ von Dora Horn gelesen – , sieht der zunächst im Bauch der Mutter verbleibende Zwilling seinen einzigen Gefährten verschwinden und leidet Qualen, die kaum zu ertragen sind.

Doch Augenblicke später erfährt er, dass sein verschwundener Freund gar nicht gestorben, sondern, im Gegenteil, näher ist, als er ahnt.

Und so, heißt es weiter in dem Roman, verhält es sich bei den Menschen auch mit dem richtigen Tod und der danach kommenden Welt: Menschen sind nicht einfach verschwunden, wenn sie gestorben sind. Sie sind näher als wir glauben.

Sara war die um wenige Minuten Jüngere der Zwillinge. Schon immer hatte sie eine Stille in sich gespürt, eine beharrliche, leise Trauer – das Vermächtnis jener zehn Minuten vor Beginn ihres Lebens, in denen ihr Zwillingsbruder sie zurückgelassen hatte.

Diese zehn Minuten hatten ihr aber auch etwas geschenkt, das wenige Menschen hatten: ein Wissen, eine Gewissheit, die sie in sich trug wie einen dunklen, polierten Stein. Nämlich dass Menschen, die verschwunden schienen, gar nicht verschwunden waren.

Immerhin hatte sie ihren Bruder Ben verschwinden sehen. Verschwundene waren bloß einen Atemzug entfernt. Man musste nur atmen.

Ostern bedeutet Aufatmen, Hoffnung auf ein Weiter-Leben nach dem Tod.