Haben Reiche bessere Zähne? Wissenschaftler bejahen das. Sie machen Station in der wohlhabenden Waldgemeinde

Großhansdorf. „Bitte öffnen Sie jetzt den Mund“, fordert Dr. Detlef Weimar den Mann auf dem Patientenstuhl auf. Vilsom Zalli, 42, kommt der Aufforderung prompt nach – und wirkt dabei total entspannt. Angst davor, dass der freundliche Mann in dem weißen Poloshirt etwa bohren oder ihm eine Spritze verpassen könnte, braucht Zalli an diesem Tag nicht zu haben. Denn er ist kein Patient des Zahnarztes Weimar, sondern Teilnehmer einer Studie. Der Mediziner sieht sich in Zallis Mund um, betrachtet Gebiss und Zahnfleisch, tippt seine Beobachtungen in einen Computer ein. Sein Interesse gilt den Zähnen der Großhansdorfer.

Mehr noch: Er fühlt der Gemeinde selbst auf den Zahn. Wie sehen Gebisse aus in einem Ort, in dem das Einkommen der Bevölkerung deutlich über dem Durchschnitt liegt? 111 Einwohner sind aufgerufen worden, an der fünften Mundgesundheitsstudie des Instituts der Deutschen Zahnärzte, der Bundeszahnärztekammer und der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung teilzunehmen. Zwar ist die Waldgemeinde genauso wie 89 andere Kommunen bundesweit nach dem Zufallsprinzip ausgewählt worden. Für die Macher der Studie ist sie dennoch ein besonders spannendes Pflaster. „Wir wollen auch herausfinden, ob sozial besser gestellte Menschen die besseren Zähne haben“, sagt Rainer Jordan, der wissenschaftliche Leiter der Studie.

Nach den Erfahrungen der vergangenen vier Studien kann er das schon jetzt bejahen. „Wir können zwar allgemein sagen, dass sich die Mundgesundheit bei allen Menschen verbessert hat. Jedoch ist der Prozentsatz bei den Einkommensstarken deutlich höher.“ Grund dafür sei vor allem, dass wohlhabende Menschen öfter zur Kontrolle gingen. Diejenigen, die weniger Geld hätten, gingen nur bei Beschwerden zum Arzt. „Auch spielt die Ernährung eine wichtige Rolle. Wer nicht aufs Geld achten muss, ernährt sich besser als diejenigen, die sich darüber Gedanken machen müssen, wie sie überhaupt ihr Familie ernähren können.“

Auch könne sich beispielsweise nicht jeder eine professionelle Zahnreinigung beim Arzt leisten, die zwischen 60 und 100 Euro kostet. „Das ist einer von vielen Faktoren“, sagt Jordan. Damit sich die Mundgesundheit jedoch verbessert, soll nun eine Aufklärungskampagne gestartet werden. „Die Menschen sollen so erfahren, was ihre Gesundheit fördert.“

Grundsätzlich soll anhand der Studie dokumentiert werden, wie es um die Mundgesundheit im Allgemeinen bestellt ist und wie sie sich in den vergangenen Jahren verändert hat. Die Ergebnisse, sagt Jordan, könnten dann das Versorgungssystem beeinflussen oder als Grundlage politischer Verhandlungen mit Krankenkassen dienen.

Karies kommt bei Kindern immer seltener vor

Die erste Mundgesundheitsstudie war 1989. „So können wir heute sagen, dass Karies bei Kindern und Jugendlichen in den vergangenen 20 Jahren um 70 Prozent gesunken ist“, sagt Jordan. Diesen Erfolg rechnet der Mediziner insbesondere der Prävention und den Untersuchungen in Schulen zu. „Bei den älteren Menschen können wir eine solche positive Entwicklung jedoch nicht erkennen“, sagt er.

Deswegen liegt der Schwerpunkt der aktuellen Untersuchung auch auf der älteren Bevölkerung. Pro Kommune werden 36 Menschen angeschrieben, die älter als 75 Jahre sind. Auch sie werden nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Hinzu kommen 25 Kinder, die 2002 geboren worden sind, sowie 25 Erwachsene zwischen 35 und 44 Jahre und 25 Teilnehmer zwischen 65 und 74.

Der 93 Jahre alte Großhansdorfer Kurt Weigert gehört zu den Auserwählten. „Als ordentlicher Staatsbürger mache ich da doch mit“, sagt der Rentner, als er auf dem Stuhl, an dem provisorisch eine kleine Lampe befestigt ist, Platz nimmt. Zwar hat der Großhansdorfer schon einige Prothesen, dennoch sagt er: „Ich habe gute Zähne.“ Dr. Detlef Weimar kann das bestätigen: „Vor allem ist das Zahnfleisch noch sehr gut. Denn damit haben viele ältere Menschen Probleme.“ Kurt Weigert: „Das liegt daran, dass ich mir immer ordentlich die Zähne geputzt habe.“

Vilsom Zalli sieht die Einladung zur Studie indes eher pragmatisch: „Ich mache hier mit, weil ich in der Gastronomie arbeite und nur wenig Zeit habe, zur Kontrolle zum Zahnarzt zu gehen.“ Denn in den Umkleideräumen im Keller des Waldreitersaals gibt es kaum Wartezeit. Zwar kann der 42-Jährige dort keine Behandlung erwarten, dennoch sagt der Arzt, der mit Mundspielgel immer wieder gegen seine Zähne stößt: „Ein bisschen Zahnstein hat sich angesetzt. Das sollten Sie entfernen lassen.“ Nach nur wenigen Minuten ist die Untersuchung vorbei. Weimar zieht sich den Mundschutz aus dem Gesicht: „Jetzt müssen Sie nur noch einen Fragebogen ausfüllen.“

Neben Fragen über das Putzverhalten oder was die Probanden zwischen den Hauptmahlzeiten essen oder ob sie als Kind eine Zahnspange getragen haben werden auch Fragen zum Schulabschluss und eben auch zum Einkommen gestellt.

Der Arzt hat auch gleich noch ein paar Tipps parat

Detlef Weimar hat für seine Teilnehmer in Großhansdorf noch ein paar Tipps parat: „Zucker ist immer schlecht für die Zähne. Entscheidend ist allerdings, wie lange der Zucker mit den Zähnen in Berührung ist. Somit sind zuckerhaltige Kaugummis besonders schlecht. Zuckerfreie indes sind gesundheitsfördernd“, sagt der 70-Jährige, der eigentlich schon Rentner ist und viele Jahre lang eine Praxis in seinem Wohnort in Erbach im Odenwald hatte.

„Ich finde es spannend, jetzt noch wissenschaftlich zu arbeiten“, sagt der Doktor, der bis Mitte Juni für die Wissenschaft durch die Republik reist. Begleitet wird er dabei von Gülây Aykal, die den Teilnehmern beim Ausfüllen der Fragebögen hilft. Die Marktforscherin lebt eigentlich in München. „Wir sind drei Wochen unterwegs und dann eine zu Hause“, sagt Aykal, die schätzt, dass von den 111 ausgesuchten Menschen etwa die Hälfte zur Untersuchung kommt. „In einigen Gemeinden sind es auch mal 70 Prozent“, sagt sie. Am Ende sollten für die Studie jedoch 4000 Teilnehmer zusammenkommen. Das nächste Ziel von Detlef Weimar und Gülây Aykal ist Hamburg. Ab Montag werden sie der Hansestadt auf den Zahn fühlen.