Über ihre Einsätze in Afghanistan berichten Oberst Martin Simberg und Oberstleutnant Heiko Bohnsack heute Abend im Reinbeker Schloss

Reinbek. Seit dem 22. Dezember 2001 beteiligt sich Deutschland an der International Security Assistance Force (ISAF) in Afghanistan. Zeitweilig waren bis zu 5300 Bundeswehr-Soldaten im Norden des Landes stationiert, um die afghanischen Sicherheitskräfte auszubilden und zu unterstützen. Oberst Martin Simberg, 52, und Oberstleutnant Heiko Bohnsack, 45, waren beide jeweils für ein halbes Jahr in Afghanistan. Sie werden heute beim Reinbeker Kamingespräch mit Bernd-Michael Kraske im Schloss erzählen, was sie erlebt haben und welche Chancen sie für Afghanistan sehen. Wir haben die beiden vorab in der Führungsakademie der Bundeswehr in Blankenese besucht.

Hamburger Abendblatt:

Wie sahen Ihre Aufgaben in Afghanistan aus?

Heiko Bohnsack:

Ich war Kommandeur eines Ausbildungsschutzbataillons in Kunduz. Wir haben in der Fläche mit afghanischen Sicherheitskräften zusammengearbeitet, deren Aufbau Oberst Simberg vom Hauptquartier in Mazar-e Sharif aus begleitete.

Und Ihre ersten Eindrücke im Land?

Martin Simberg:

Ich hatte das Glück, dass ich mich im gesamten Norden bewegen konnte, auch in abgelegeneren Regionen, und vieles gesehen habe. Einiges kann man sich nicht vorstellen. Viele Menschen leben nach unseren Begriffen wie im Mittelalter. Ich habe das als einen Kulturschock empfunden, wusste aber, dass ich mich auf diese vollkommen andere Realität einlassen muss. Das ist das Leben der Menschen dort. Wenn wir ihnen helfen wollen, müssen wir uns nach ihnen und den Gegebenheiten richten.

Bohnsack:

Es ist ein Land voller Kontraste, einerseits wunderschön, etwa das Treiben in den Straßen, die Landschaften. Andererseits ist es irritierend: Man schaut um die Ecke und sieht echtes Elend. Dennoch sind viele Menschen dort glücklich. Wir mussten bereit sein, uns zu wehren, uns aber auch auf die Einheimischen und ihr Leben einlassen. Dass das oft nicht einfach ist, zeigen Kleinigkeiten. Wenn wir zum Beispiel in der Kolonne unterwegs waren, musste schnell entschieden werden, ob es riskant wäre, ein afghanisches Fahrzeug einscheren zu lassen – oder nicht und damit den zivilen Verkehr zu blockieren. Stets waren Bauchgefühl und gesunder Menschenverstand gefragt.

Hatten Sie manchmal den Eindruck, nicht erwünscht zu sein?

Simberg:

Ich habe das selten erlebt. Es kam vor, dass unsere Fahrzeuge mit Steinen beworfen wurden oder dass man uns mit eindeutigen Gesten gezeigt hat, dass wir besser rasch verschwinden sollten. Doch ich bin mir sicher, dass die Bevölkerung zu 95 Prozent sehr dankbar war. Viele Menschen haben uns willkommen geheißen. Die Gastfreundschaft ist außergewöhnlich. Die Menschen haben wenig bis fast nichts – und sie sind bereit, alles mit einem zu teilen.

Bohnsack:

Wir haben ähnliche Erfahrungen gemacht, auch mit unseren Partnern, den Sicherheitskräften. Viele Menschen sind sehr höflich und gastfreundlich. Das ist eine Frage der Ehre.

Ist das nicht eine gefährliche Gratwanderung, zugleich vorsichtig und offen gegenüber der Bevölkerung zu sein?

Simberg:

Es gibt einen gesunden Respekt vor der Gefahr. Man trifft die Vorsichtsmaßnahmen, die man gelernt hat, übertreibt es aber nicht. Wenn man viel mit den Menschen zusammen ist, muss man auch Nähe zulassen.

Gab es bedrohliche Situationen ?

Simberg:

Ja, Erlebnisse, die einen auch noch zu Hause verfolgen. Einmal ist unser Konvoi in eine Sprengfalle geraten, die glücklicherweise schlecht angelegt war. Es gab auch Beschuss, aber in den gepanzerten Fahrzeugen waren wir relativ sicher. Das unangenehmste Erlebnis war der Besuch im Polizeihauptquartier in einer abgelegenen Stadt im Westen. 14 Tage zuvor hatte es Koranverbrennungen gegeben, die Stimmung war also aufgeheizt. Wir mussten die letzten 300 Meter zu Fuß durch eine dort wartende Menge gehen. Wir sind den Weg natürlich mit geladenen Gewehren gegangen – Auge in Auge mit zwei Meter entfernt stehenden Männern, die nicht gerade freundlich guckten. Ich hatte den Eindruck, dass eine falsche Bewegung eine Kettenreaktion hätte auslösen können.

Bohnsack:

Wir kannten unsere Gegend recht gut – nicht zuletzt weil wir mit Einheiten der afghanischen Polizei und des Militärs zusammenarbeiteten, auf die wir uns verlassen konnten, auch bei Kampfhandlungen. Und im Fall von Nachrichten wie den von Oberst Simberg erwähnten Koranverbrennungen haben wir proaktiv gehandelt. Wir haben schon, bevor das zum Thema werden konnte, unsere örtlichen Ansprechpartner darüber informiert, dass das Taten von einzelnen seien und nicht unsere Sache sei. Es ging um die Informationshoheit in Kunduz.

Haben Sie in der Zeit Ihres Einsatzes Fortschritte erkennen können?

Simberg:

Die Uhren schlagen in Afghanistan anders. In nur sechs Monaten ist kein messbarer Fortschritt erkennbar. Doch viel wichtiger finde ich die kontinuierliche Entwicklung. In meinem Aufgabenbereich ging es darum, den afghanischen Verbänden die nötige Unterstützung zu geben und Strukturen für ihre Eigenständigkeit zu schaffen. Inzwischen haben die Afghanen Sicherheitsverantwortung übernommen, und das ist es, was wir erreichen wollten.

Weihnachten 2009 sagte die damalige Bischöfin Margot Käßmann einen viel diskutierten Satz zum Bundeswehr-Einsatz: „Nichts ist gut in Afghanistan...“ Wie haben Sie dieses Fazit empfunden?

Bohnsack:

Das ist sehr durch die deutsche Brille gesehen und berücksichtigt nicht, dass jeder Tag, an dem es ein bisschen sicherer ist als ohne den Einsatz, etwas Gutes ist. Außerdem haben die afghanischen Sicherheitsbehörden im ganzen Norden offiziell die Verantwortung für die Sicherheit übernommen. Das ist doch ein Fortschritt. Es kann also nicht alles schlecht sein.

Simberg:

Mich würde interessieren, woran Frau Käßmann ihre Aussage misst. Klar, es gibt in Afghanistan keine Demokratie wie wir sie hier in Deutschland haben, aber es ist die Frage, ob man die dort überhaupt etablieren könnte. Es gibt aber erkennbare Fortschritte für viele einfache Menschen, deutlich mehr Sicherheit und Lebensqualität zum Beispiel für Frauen, die sich freier bewegen können. Und selbst wenn das alles nicht so erhalten werden kann, haben die Menschen ein Stück weit normales Leben kennengelernt. Außerdem halte ich die Äußerung der Bischöfin für respektlos gegenüber den deutschen Soldaten, die in Afghanistan waren. Sie haben wie ich für einige Zeit ihre Familien verlassen, um dort zu helfen.

Wie wahrscheinlich ist es, dass afghanische Polizei und Militär die Sicherheit im Land nach Abzug der internationalen Truppen bewahren können?

Simberg:

Vor zwei Jahren war es so weit, dass die Sicherheitskräfte zu fast 100 Prozent aufgestellt waren. Wir hatten den Punkt erreicht, wo wir uns mehr auf die qualitative Ausbildung konzentrieren konnten. Immerhin sind die Afghanen schon so weit, dass ihre Bataillone selbstständig operieren können. Sie haben die Große Ratsversammlung im November und das Pilgerfest zur Blauen Moschee in Mazar so gut gesichert, dass es keine Zwischenfälle gab.

Wie weit reicht der Einfluss Kabuls?

Simberg:

Wer glaubt, dass die Regierung ihre Politik bis in die hinterste Provinz durchsetzen könnte, kennt dieses Land nicht. Entwicklungsstand und Machtverhältnisse sind sehr unterschiedlich. Mancherorts kommt man nicht umhin, mit lokalen Autoritäten zusammenzuarbeiten. Ich rede von Persönlichkeiten, die menschenwürdig für Recht und Ordnung sorgen, nicht von Warlords.

Wie empfinden Sie die Reaktionen in Deutschland auf Ihren Einsatz?

Simberg:

Ich habe auch Kritik gehört. Das ist legitim in einer Demokratie. Ich wünschte mir aber mehr Zustimmung – es muss ja nicht so patriotisch wie in den USA bei der Heimkehr der Soldaten zugehen. Aber es tut schon gut, wenn einem gesagt wird: „Gut, dass ihr das macht. Ihr erfüllt einen wichtigen politischen Auftrag.“ Besonders wichtig ist es mir, dass meine Familie voll hinter mir steht.