50-Zentimeter- und 70-Grad-Regel: Landwirte fühlen sich von neuem Erlass der Landesregierung gegängelt

Trittau. Friedrich Klose hat einen Zollstock mit auf den Acker genommen. Legt ihn an, misst hier, guckt dort, wirft die Stirn in Falten, misst noch mal. Klose, 54 Jahre alt, ist Landwirt in Trittau. In diesen Tagen lässt er die Sträucher auf den Knicks zurückschneiden, die seine Felder einfassen. Darum kümmert er sich jeden Winter, seit vielen Jahren. So wie fünf Generationen seiner Vorfahren.

Die Geschichte der Knicks in Schleswig-Holstein reicht sogar bis ins 18. Jahrhundert zurück. Damals fingen Bauern an, diese Erdwälle aufzuschütten und zu bepflanzen. Auf diese Art und Weise markierten sie die Grenzen ihrer Felder und schützten ihren Ackerboden davor, vom Wind verweht zu werden.

Vorschriften sind auf 15 eng bedruckten Seiten zusammengefasst

Seit diesem Winter ist alles ein bisschen komplizierter als in den Jahrhunderten zuvor: Die Landesregierung hat im vergangenen Sommer „Durchführungsbestimmungen zum Knickschutz“ herausgegeben, den sogenannten Knickerlass. Denn Knicks sind längst auch zum Lebensraum Tausender von Tierarten geworden. Seit diesem Winter sei alles unnötig kompliziert, meint Friedrich Klose. „Das ärgert mich.“ Der Zollstock ist zu seinem ständigen Begleiter geworden.

Das neue Regelwerk fürs Knick-Land Schleswig-Holstein gilt für rund 15.000 Landwirte. Es stammt aus dem Hause des Umweltministers Robert Habeck (Grüne) und füllt dicht bedruckt 15Seiten Papier. Eine achtköpfige „Arbeitsgruppe Knick“ beschäftigt sich seit dem Erlass damit, offene Fragen zu klären und Empfehlungen auszusprechen.

Claus-Peter Boyens sitzt für die Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein in dieser Arbeitsgruppe. „Die Knicks sind vor 200 Jahren auf freiwilliger Basis von den Bauern angelegt worden“, sagt er. „Und nun kommt die Politik ins Spiel und erklärt, wie es zu laufen hat. Das ist vielen Landwirten nicht zu vermitteln.“ Seiner Einschätzung nach liegt darin das eigentliche Problem an dieser Geschichte.

Friedrich Klose legt seinen Zollstock wieder an und misst. Es gibt viel zu messen. Da ist zum Beispiel die 50-Zentimeter-Regel. „So breit“, sagt Klose und zeigt auf die Skala, „so breit muss der sogenannte Knicksaum nun sein.“ Das ist ein Streifen entlang des Walls, den er nicht beackern darf.

Ferner muss er die 70-Grad-Regel beachten. Er deutet mit dem Messinstrument gen Himmel. Beim „Aufputzen“, eine Art seitlicher Heckenschnitt, haben die Bauern bislang senkrecht in die Höhe gestutzt. Nun müssen sie „von der äußeren Begrenzung des Knicksaumes ausgehend bis zu einer Höhe von vier Metern und einem vom Knick abgewandten Neigungswinkel von bis zu 70 Grad“ schneiden.

Das bedeutet: Stehen sie einen Meter vom Knicksaum entfernt, müssen sie über sich in drei Meter Höhe den nächsten Ast berühren können – theoretisch jedenfalls. Oder sie erweitern den Knicksaum auf einen Meter Breite und schneiden weiterhin senkrecht. Friedrich Klose guckt auf seinen Zollstock. Er sagt: „Eigentlich bräuchte ich jetzt auch noch einen Winkelmesser.“

Und dann gibt’s noch die Zwei-Meter-Regel. Lohnarbeiter Matthias Syskowski macht sich gerade mit einer großen, einem Bagger ähnlichen Maschine – sie kann greifen, kneifen und sägen – an Haselnuss, Weißdorn, Buche, Erle und Eiche zu schaffen. Er verpasst dem Wall einen Kahlschlag. „Auf den Stock setzen“ nennen Fachleute das, alle zehn bis 20 Jahre muss das sein. In Abständen von 40 bis 60 Metern müssen allerdings große Bäume stehen bleiben.

Friedrich Klose klappt seinen Zollstock wieder auf. „Ab einem Stammumfang von zwei Metern in ein Meter Höhe dürfen sie nicht mehr gefällt werden“, sagt er, während er den Stamm einer Eiche ausmisst. Viele Kollegen, da ist er sich sicher, werden ihre Bäume schnell noch absägen, ehe sie den Grenzwert erreicht haben. Klose: „Das ist kontraproduktiv, das ist nicht zu Ende gedacht.“

Was Landwirten wie ihm aber die größten Sorgen bereitet: Welche Konsequenzen wird es haben, wenn der Knicksaum an einer Stelle doch mal nur 45 Zentimeter breit sein sollte, wenn Haselnuss und Weißdorn vielleicht aus Versehen im 71-Grad-Winkel wachsen? Dann drohen Bußgeld und eine Kürzung der EU-Agrarsubventionen. Die Kontrollinstanzen, auch das regelt der Erlass, sind die Umweltämter der Kreisverwaltungen. Die allerdings haben gar keine Kapazitäten dafür.

Umweltämter sollen kontrollieren, haben aber kein Extra-Personal

„Über den bisherigen Kontrollumfang hinaus steht kein zusätzliches Personal zur Verfügung“, sagt Joachim Schulz vom Kreis Stormarn. So wie ihm geht es vielen Kollegen. Das sei „sehr enttäuschend“, hat die Kreistagsabgeordnete Michaela Dämmrich (Grüne) aus Bad Oldesloe unlängst im Umweltausschuss angemerkt. Sie wünsche sich, dass auch umgesetzt werde, was sich der Minister ausgedacht hat.

Aber an welchen Orten soll eigentlich nachgemessen werden? Das größte Problem, das vor Kontrollen gelöst werden muss: Offenbar weiß niemand, wie viele Knicks es im Knick-Land überhaupt gibt. „Einige sprechen von 45.000 Kilometern, andere von 68.000“, sagt Claus-Peter Boyens von der Landwirtschaftskammer. Eine Zahl zu ermitteln dürfte Aufgabe der „Arbeitsgruppe Knick“ sein. Auch für Stormarn gibt es keine Zahlen, sagt Umweltexperte Schulz aus der Kreisverwaltung.

Friedrich Klose ist da schon ein großes Stück weiter. Die Knick-Länge auf dem 380-Hektar-Betrieb, den er mit seiner Kollegin Deetje Köhler aus Meilsdorf als gemeinsame Gesellschaft führt, kann er aus dem Ärmel schütteln. Er klappt seinen Zollstock zusammen und steckt ihn weg. „30 Kilometer.“