Bürgermeister von Klein Wesenberg empört über Schützenverein und ein umstrittenes Genehmigungsverfahren

Klein Wesenberg. Ein Streit um täglich 6000 Schuss aus großkalibrigen Waffen spaltet zurzeit das 744-Seelen-Dorf Klein Wesenberg im Norden von Stormarn. Nachbarn reden kaum mehr miteinander, der Bürgermeister wird in Internetforen beleidigt. „Der regiert wie Honecker“, oder „der ist doch dement“, hat Herbert David im Gästebuch des Schützenvereins über sich gelesen. Der 80-Jährige ist traurig über diese Entwicklung, sagt: „Ein Dorf ist eigentlich wie eine Großfamilie. Doch über uns bricht da gerade etwas herein.“

Grund für den Ärger in Klein Wesenberg ist die Zahl 6000, die schwarz auf weiß in einer Genehmigung des Landesamtes für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume, kurz LLUR, steht. Diese Zahl bestätigt dem Verein, dass die Mitglieder täglich so viele Patronen aus großkalibrigen Waffen abfeuern dürfen. „Wir haben ausgerechnet, dass auf diese Weise bei einem Zehn-Stunden-Betrieb rein rechnerisch alle sechs Sekunden ein Schuss fallen müsste“, sagt Bürgermeister David und fügt empört hinzu: „Das schaffen die doch gar nicht.“

Doch der Schützenverein besteht auf seinem Recht – auch, wenn er davon keinen Gebrauch macht. Neue Baugebiete können wegen der Genehmigung nicht mehr ausgewiesen werden. „Es gibt bei uns sechs junge Familien, die am Schulweg ein Haus bauen möchten und es nicht können“, sagt Herbert David. Bereits seit 2010 warteten die Interessenten darauf, doch das Innenministerium genehmigt den Flächennutzungsplan nicht. Denn der Lärm, den 6000 Schuss aus großkalibrigen Waffen verursachen, sei mit einem Wohngebiet nicht zu vereinbaren. David und der Direktor des Amtes Nordstormarn, Sönke Hansen, sehen insbesondere das Landesamt für dieses Dilemma verantwortlich. „Die hätten das nie genehmigen dürfen. Und sie haben uns noch nicht einmal um eine Stellungnahme gebeten“, sagt Hansen verärgert. Denn erst, als die Gemeinde im Jahr 2010 den Flächennutzungsplan beim Innenministerium eingereicht hatte, erfuhr sie von der Genehmigung, die dem Schützenverein erteilt wurde.

Eine Stellungnahme der Gemeinde war nicht nötig, sagt das Landesumweltamt

Bereits im Mai 2008 hatten die Schützen beantragt, dass täglich 6000 statt zuvor 1500 Schuss abgegeben werden dürfen. Die zuständige Behörde stimmte dem im April 2009 zu. „Die Prüfung der Unterlagen hatte ergeben, dass keine zusätzlichen oder anderen Emissionen von der Anlage ausgehen“, sagt der Sprecher des LLUR, Martin Schmidt, der von der „einfachsten Stufe“ einer Genehmigung spricht. In solchen Fällen müssten laut Gesetz keine anderer Stellen beteiligt werden – auch eine Stellungnahme der Gemeinde sei nicht vonnöten.

„Das ist ein unmögliches Ding“, sagt Herbert David verärgert. Doch das Landesumweltamt verweist darauf, dass der von der Behörde bestellte anerkannte Gutachter die Schutzbedürftigkeit von Misch- und Dorfgebieten zugrunde gelegt habe. Denn der Flächennutzungsplan für das Gebiet an der Alten Dorfstraße in der Nähe der Schützenhalle sei als Dorfgebiet eingestuft. So stehe es schwarz auf weiß. Solche Gebiete sind von landwirtschaftlichen Betrieben geprägt. Somit gelten dort andere Immissionswerte als für Wohngebiete. „Doch die Alte Dorfstraße ist schon lange kein Dorfgebiet mehr, sie ist ein Wohngebiet“, kontert David. Auch Sönke Hansen ist von dem Vorgehen des Landesamtes entsetzt. „Der Gutachter hat sich im Dorf umgesehen und offenbar wegen zwei Ponys, die ein Lehrer-Ehepaar für seine Enkelkinder auf dem Grundstück stehen hat, diesen als landwirtschaftlichen Betrieb eingestuft“, sagt Hansen. Auch das Amt Nordstormarn bestellte einen Gutachter vom TÜV Nord. Der kam zu dem Schluss, dass in Klein Wesenberg täglich nur 1200 Schuss abgeben werden dürfen.

Aber wie viele Schüsse aus großkalibrigen Geschützen werden nun tatsächlich täglich am Schießstand abgefeuert? „Wir haben immer wieder beim Verein danach gefragt“, sagt Hansen. Darüber schweigen die Schützen. Hansen sagt: „Uns wurde nur mündlich mitgeteilt, dass es bis zu 5500 sind.“ Wegen dieser Angabe und wegen des TÜV-Gutachtens reichte das Amt einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht in Schleswig ein. Dort mussten die Schützen ihre sogenannten Schießbücher vorlegen, in denen alle Aktivitäten dokumentiert sind. Demnach fallen im Durchschnitt je Tag 60 Schuss aus großkalibrigen Waffen. Lediglich bei einer Meisterschaft kamen die Schützen auf 2800 Schuss an einem Tag. Weil das Gericht keinerlei Eilbedürftigkeit sah, wurde der Sofortvollzug abgelehnt.

Fraglich bleibt, warum der Verein auf 6000 Schuss beharrt? Der Vorsitzende Andreas Möller sagt: „Ich werde dazu nichts sagen, weil die Bevölkerung damit nur wild gemacht wird.“ Doch der Bürgermeister und Amtsleiter recherchierten den möglichen Hintergrund und kamen zu dem Ergebnis, dass die Wesenberger Schützen mit dem Militär- und Polizeischützenverein in Paderborn einen Vertrag geschlossen haben. In einem Schreiben des Vereins in Nordrhein-Westfalen an das Amt Nordstormarn, das dem Abendblatt vorliegt, heißt es, dass es „laufende Verträge mit dem SV Klein-Wesenberg gibt, was sich auch in der Zahlung einer fünfstelligen Summe manifestiert“. Weiter heißt es, dass es keine Ausweichmöglichkeiten in Schleswig-Holstein für die Ausrichtung einer Landesmeisterschaft gibt.

Nun muss ein Richter entscheiden, welche der Parteien im Recht ist

„Was die genau unterschrieben haben, welche Vertragsstrafen darin vereinbart sind und wie viel Geld der Verein tatsächlich bekommen hat, wissen wir nicht“, sagt Hansen. „Die mauern und sagen nur, dass sie Konkurs gingen, sollte ihnen die Genehmigung entzogen werden.“ Der Vorschlag der Schützen sieht so aus: Klein Wesenberg solle eine viertel Million Euro für die „Einhausung“ der Schießstände zahlen, dann entsprächen die Immissionswerte den Auflagen für ein Wohngebiet. „Da wird uns die Pistole auf die Brust gesetzt“, sagt Hansen, der einen Kompromiss suche und den Schützen für die Baumaßnahmen einen fünfstelligen Betrag geboten habe. Dies sei abgelehnt worden.

Wesenbergs Bürgermeister ist empört: „Die Gemeinde hat den Schützenverein immer finanziell unterstützt, ihm für Renovierungs- und Modernisierungsarbeiten etwa 340.000 Euro gezahlt.“ In einem Gerichtsverfahren wird nun ein Richter darüber urteilen, welche Seite im Recht ist.