Lübecker IHK-Führung spricht im Interview über fehlende Fachkräfte und Probleme bei der Unternehmensnachfolge

Ahrensburg/Lübeck. Rund 4800 inhabergeführte Unternehmen in Schleswig-Holstein stehen in den kommenden vier Jahren zur Übernahme an, etwa 70.000 Arbeitsplätze sind indirekt betroffen. Diese Zahlen hat, wie berichtet, das Bonner Institut für Mittelstandsforschung ermittelt. Eine große Herausforderung für die Wirtschaft im Norden, wie Friederike Kühn aus Bargteheide, Präses der IHK zu Lübeck, und der neue IHK-Hauptgeschäftsführer Lars Schöning im Abendblatt-Interview erklären. Denn älteren Chefs, so die Beobachtung der beiden, falle das Loslassen oft schwer.

Hamburger Abendblatt:

4800 Unternehmensnachfolger gesucht, 70.000 Arbeitsplätze betroffen: Ist das eine für einen Zeitraum von vier Jahren normale Größenordnung?

Lars Schöning:

Die Zahlen verschärfen sich. Bislang sind die Prognosen von nur ungefähr 3800 Betrieben mit knapp 50.000 Arbeitsplätzen ausgegangen.

Woran liegt das?

Schöning:

Wir erleben hier eine Auswirkung des demografischen Wandels. Immer mehr Betriebsinhaber kommen in ein Alter, in dem es sinnvoll ist, dass sie sich Gedanken über einen Nachfolger machen. Gleichzeitig wissen wir aber schon, dass die Zahl der potenziellen Nachfolger nicht unbedingt steigt – auch das hat mit der demografischen Entwicklung zu tun. Hinzu kommt, dass wir einen wunderbar belebten Arbeitsmarkt haben. Der Markt sucht händeringend nach Fach- und Führungskräften. Die Unternehmer suchen aber auch qualifizierte Nachfolger. Das heißt, dass sich die Situation weiter verschärfen wird.

Friederike Kühn:

Die geburtenstarken Jahrgänge aus den 60er-Jahren marschieren jetzt auf die 50 plus zu. Das sind Menschen, die im wahrsten Sinne des Wortes viel unternommen haben, die Gründungen offensiv angegangen sind. Wenn ich mich so umschaue bei meinen Unternehmerkolleginnen und -kollegen, dann sind da viele, die sagen: Mensch, jetzt muss ich mir mal intensiv Gedanken machen.

Mit 50 plus?

Schöning:

Die Erfahrung zeigt, dass sich Unternehmer oft viel zu spät oder gar nicht mit dem Thema Nachfolge auseinandersetzen. Es ist leider nicht der Ausnahmefall, dass ein Betriebsinhaber, vielleicht 69 oder 72 Jahre alt, bei uns anruft und sagt: Ich bin gerade aus dem Krankenhaus zurückgekehrt, bin wieder einigermaßen fit, und jetzt muss das aber auch alles ganz schnell gehen mit einer Übergabe. Er möchte die Nachfolge dann am liebsten innerhalb eines halben Jahres geregelt wissen. Aber ganz schnell ist bei der Betriebsübergabe ganz schlecht.

Es scheint, als hätten sich Unternehmer früher nicht so schwergetan, ihre Nachfolge zu regeln.

Kühn:

Die Rahmenbedingungen haben sich geändert. Wir haben eine ganze Reihe von Familienunternehmen, in denen die Nachfolge innerhalb der Familie nicht mehr so einfach ist wie früher. Sie regelt sich nicht mehr automatisch.

Schöning:

Dass die Nachfolge vom Großvater auf den Vater und dann weiter auf den Sohn übergeht, das ist heute so nicht mehr selbstverständlich.

Kühn:

Junge Leute machen heute gern etwas Anderes, etwas Neues, etwas Eigenes. Sie wollen zeigen, was sie können. Immer weniger von ihnen fühlen sich verpflichtet, ein Familienunternehmen weiterzuführen.

Schöning:

Trotzdem wird immer noch mehr als die Hälfte der Familienunternehmen innerhalb der Familie weitergegeben. Die anderen 50 Prozent teilen sich dann auf in eine interne Betriebsnachfolge und in jemanden, der von außen kommt.

Die potenziellen Nachfolger: Stehen die in den Startlöchern und warten nur auf ihre Chance, oder gibt es die gar nicht?

Schöning:

Wir haben einen hochattraktiven Arbeitsmarkt, der tatsächlich auch in unserer Region viele Chancen für gut qualifizierte Leute bietet. Wir beobachten auch rückgängige Zahlen im Gründungsbereich. Das hat aber eher den Grund, dass diejenigen, die vorher aus drohender oder bestehender Arbeitslosigkeit etwas gegründet haben, jetzt im Arbeitsmarkt aufgehen. Im Bereich der innovativen Gründung und auch der Unternehmensnachfolgen sehen wir so einen Rückgang aber nicht. Und das Potenzial jüngerer Menschen, die auch den Mut haben, in die unternehmerische Tätigkeit überzugehen, das ist auf jeden Fall da.

Was ist dann das Problem?

Schöning:

Wir müssen die Menschen auf beiden Seiten identifizieren und sinnvoll zusammenbringen. Und damit ist für uns der Prozess noch nicht zu Ende. Wir können mit dem Schulterschluss zwischen Kammer und Förderinstituten noch ein Stück weiter beraten und helfen. Die Frage lautet zum Beispiel: Wie bekommt man ein Paket geschnürt, um eine Übergabe am Ende auch zu finanzieren? Oft kommt ein Nachfolger schon frühzeitig ins Unternehmen, sei es als Prokurist, sei es als zweiter Geschäftsführer, und übernimmt dann sukzessive Anteile. Der klassische Verkauf von heute auf morgen, der ist gar nicht immer das Modell, das wirklich realisiert wird.

Kühn:

Oft braucht man ja auch noch ein bisschen Zeit, um einem Unternehmen vielleicht noch mal eine andere Ausrichtung zu geben, damit es zukunftsfähig bleibt und für einen Verkauf attraktiv ist. Auch das lässt sich nicht über Nacht realisieren.

Die Menschen identifizieren – wie machen Sie das?

Schöning:

Wir selbst haben Beratungsangebote in petto. Das ist vor allem unser sogenannter Stabwechseldialog. Was machen wir da? Ein Berater von uns und ein betriebswirtschaftlicher Berater aus der Wirtschaft setzen sich mit einem Unternehmer zu einem Vier- beziehungsweise im Sechs-Augen-Gespräch an einen Tisch. Und zwar mit dem Senior-Unternehmer, also mit demjenigen, der seinen Betrieb abgeben will. Sie checken in einem Erstgespräch: Wo steht der Unternehmer eigentlich? Um was hat er sich schon gekümmert? Worüber hat er sich schon Gedanken gemacht? Wo soll die Reise für ihn hingehen? Wie ist seine Planung? Denn die Nachfolge beginnt eigentlich sofort. Denn dem Unternehmer könnte ja heute etwas zustoßen.

Zu solchen Veranstaltungen kommen aber doch sicherlich nur Leute, die das Thema wenigstens schon mal im Kopf bewegt haben. Wie erreichen Sie die anderen?

Schöning:

Einen Denkanstoß leistet sicherlich die Umfrage, die wir zurzeit mit den Handwerkskammern durchführen. 20.000 Fragebögen sind verschickt worden. Wer diesen Brief heute bekommt, legt ihn vielleicht noch mal ein, zwei Jahre zur Seite. Aber er beschäftigt sich mit dem Thema. Und dann bieten wir Veranstaltungen an, die wir ganz charmant verpacken. Wir nennen es: den Notfallkoffer für die Betriebsübergabe packen. Warum machen wir das? Weil in Nachfolgeveranstaltungen sich natürlich niemand gern öffentlich hinsetzt und damit dann dokumentiert, er wolle seine Firma übergeben. Deshalb geht’s bei uns dann zum Beispiel um das Thema Ad-hoc-Nachfolge im Krankheits- oder Todesfall. Wenn wir die Unternehmer dann erst mal zum Gespräch vor Ort haben, dann begleiten wir sie.

An den Firmen, in denen sich die Frage der Übergabe stellt, hängen 70.000 Arbeitsplätze. Sind die in Gefahr?

Schöning:

Zu einem Teil ja. Wobei man sagen muss, dass nicht in jedem Betrieb, in dem die Übergabe nicht gelingt, die Arbeitsplätze zwangsläufig verloren sind. Manchmal ist es auch einfach eine Marktbereinigung, die stattfindet, und die Arbeitskräfte wandern dorthin, wo die Aufträge sind. Was uns aber am Herzen liegt: Wir wollen einen Arbeitsplätzeexport vermeiden, die Arbeitnehmer sollen nicht in andere Regionen abwandern. Wir registrieren in unserer Region ja schon heute einen Fachkräftemangel.

Sie sprechen immer wieder den Fachkräftemangel an. Was halten Sie von der jüngst geführten Debatte um Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien?

Wir wissen, dass bis 2030 in Schleswig-Holstein 12.000 Akademiker fehlen und 85.000 Fachkräfte. Wir wissen auch, dass es deshalb gilt, Potenziale zu erschließen. Ein Weg: Frauen in Führung. Wir müssen die dort schlummernden Potenziale heben, um damit ein Stück weit auch die drohende Lücke auf dem Arbeitsmarkt zu schließen. Aber das allein wird nicht reichen. Jetzt können wir natürlich sagen: Wir setzen auf Zuwanderung aus anderen Regionen Deutschlands. Da konkurrieren wir aber mit mittlerweile bundesweit mehr als 300 Initiativen, die ebenfalls um Fachkräfte werben. Ich bin überzeugt, es braucht einen guten Mix, und dazu gehört auch qualifizierte Zuwanderung aus anderen EU-Staaten, aber auch aus Ländern außerhalb der Europäischen Union. Wir haben bisher schon gute Erfahrungen mit Bulgarien, Rumänien und auch anderen Beitrittsländern in der EU gemacht. Eine Debatte um eine Zuwanderung ist nicht sehr förderlich. Wir müssen eine Willkommenskultur etablieren, damit die Menschen wirklich herkommen.

Kühn:

In anderen Ländern entsteht der Eindruck, in Deutschland wolle man keine ausländischen Fachkräfte haben. Die Folge ist, dass Interessenten in ein Land gehen, in dem die Diskussion nicht geführt wird. Wo ich die neue Sprache lerne, ist dann vielleicht egal. Diese Diskussion können wir uns nicht leisten.