Austrittzahlen erreichen zweithöchsten Wert der vergangenen Jahre

Ahrensburg. Wer die freie Zeit an einem Brückentag nutzten will, um aus der Kirche auszutreten, dem muss es ernst sein. In Ahrensburg war dieses Phänomen nach Weihnachten zu beobachten. Eine junge Frau hatte ausgerechnet, wie viel Kirchensteuer sie den nächsten Jahren noch wird zahlen müssen. Zu viel, befand sie – für das, was man dafür bekomme. So wie diese Frau haben es viele gemacht: 250 Menschen sind im vergangenen Jahr in Ahrensburg aus der Kirche ausgetreten. Das waren 52 mehr als im Vorjahr. Ein Anstieg um fast 25 Prozent, die höchste Zahl seit drei Jahren. Was sind die Gründe? Könnte die Schließung der St.Johanneskirche den Weg in die Kirche generell versperrt haben?

„Die Beweggründe kennen wir nicht“, sagt Kirchenkreissprecher Remmer Koch. „Aber es kommt sicher immer Verschiedenes zusammen.“ Auch bundesweite Skandale spielten eine Rolle – die in der evangelischen ebenso wie die in der katholischen Kirche. Die Affäre um den Limburger Bischof Tebartz-van-Elst hat auch die evangelische Kirche Vertrauen und dadurch zahlreiche Mitglieder gekostet.

Der 2010 aufgedeckte Missbrauchskandal in der evangelischen Kirche löste eine noch tiefgehendere Erschütterung aus, gerade auch am Schauplatz: in Ahrensburg. 267 Protestanten verließen 2010 in der Schlossstadt ihre Kirchengemeinde – fast 100 mehr als im Jahr zuvor.

Dass die Diskussion um Schließung, Entwidmung und Verkauf einer Kirche Grund für die hohen Austrittszahlen im vergangenen Jahr sein kann, wird auch beim Kirchenkreis für möglich gehalten, auch wenn die Austrittswelle nicht so signifikant ist wie vor drei Jahren. „Natürlich kann die Debatte über St. Johannes den Anstoß geben“, sagt Sprecher Koch. „Aber gerade in Ahrensburg erleben wir, dass Menschen, die gegen die Schließung von St. Johannes sind, nicht der Institution den Rücken kehren, sondern sich einmischen.“

Für die Mitglieder des Fördervereins St. Johannes ist der Austritt aus der Kirche in der Tat keine Option. „Wir bleiben Mitglieder dieser Gemeinde“, sagt der Vereinsvorsitzende Hans-Peter Hansen. „Diese Gemeinde ist unsere Heimat.“ In jedem Fall werde der Verein einen Weg innerhalb der Kirche suchen. Hansen: „Ohne Erneuerung wird diese Gemeinde nicht überleben. Wir wollen dazu einen Beitrag leisten.“

Im Freundeskreis Kirchenmusik St. Johannes sieht es genauso aus. „Bisher ist bei uns noch niemand aus der Kirche ausgetreten“, sagt Hans-Martin Dörrmann. Es stünden aber einige in den Startlöchern, sollte die Sache negativ ausgehen und die Johanneskirche dauerhaft geschlossen bleiben und entwidmet werden. Dörrmann: „Wir wollen mitreden und mitgestalten und bleiben Mitglied der Kirche.“

Die Stimmung auf der Straße sehe allerdings anders aus, sagt Hans-Peter Hansen. Bei Aktionen auf dem Rondeel habe fast die Hälfte der Passanten geantwortet: „Ja, ich bin in in der Kirche“, um dann hinzuzufügen: „Aber aus dieser Gemeinde werde ich austreten.“

Was die Austritte angeht, so könne man sicher eine Menge über die Gründe spekulieren, sagt Pastorin Anja Botta. In den Gesprächen, die sie führe, werde in der Regel deutlich, dass es sich immer um einen komplexen Zusammenhang handele. „Realistisch betrachtet sind die Austrittszahlen aus unserer Sicht sicher etwas erhöht, aber noch immer in einer normalen Schwankungsbreite“, sagt Botta. „Und daher macht es mir persönlich keine Sorge, dass größere Zahlen an Menschen die Gemeinde verlassen werden.“ Denn demgegenüber müsse man die Zahl der Menschen betrachten, die zur Gemeinde kommen. Botta. „Allein die Vielzahl an Taufen, die wir jedes Jahr wieder in Ahrensburg haben, spricht da für sich.“

Dennoch werden die Austritte beim Kirchenkreis mit Sorge beobachtet. „Ich hoffe sehr, dass in Ahrensburg wieder normale Verhältnisse einkehren und es wieder zu einem Miteinander kommt und die Menschen bleiben“, sagt Remmer Koch. Jeder Austritt sei einer zu viel. „Wir bedauern das sehr. Und zwar keineswegs nur bei zahlenden Mitgliedern.“ Rentner, Arbeitslose, Hausfrauen – sie alle bezahlten keine Kirchensteuer. Auch Jugendliche nicht. Und sie alle seien für die Kirche gleichermaßen wertvoll.

Eines sei jedoch ganz klar, sagt Pastorin Botta. Die Austritte „fressen“ die Ersparnisse, die sich durch die Schließung der St. Johanneskirche ergeben, nicht auf. Botta: „Was den kompletten Betrieb und den Unterhalt der St. Johanneskirche ohne die Bauunterhaltungsrücklage angeht, stellen wir gerade die Zahlen zusammen, um sie an den Förderverein zu geben.“ Im Übrigen sei die finanzielle Lage nach wie vor schwierig. Nach allen Einsparungen sowohl durch St. Johannes als auch im Personalbereich im vergangenen Jahr gebe es noch immer ein strukturelles Defizit von 50.000 Euro. Und das müsse auf Null gesenkt werden. Botta: „Aufgabe ist es nach wie vor, einen aus den Kirchensteuerzuweisungen nachhaltig gedeckten Haushalt zu bekommen.“