Angeklagter steht wegen Überfalls auf Filiale in Ahrensburg vor Gericht. Weitere Täter werden noch gesucht

Ahrensburg/Lübeck. Nicht nur die Ahrensburger werden sich noch gut an den Raubüberfall auf den Aldi-Markt im City-Center an der Großen Straße erinnern, der jetzt vor dem Landgericht Lübeck verhandelt wurde. Am 19. Januar 2013, einem Sonnabend, hatten zwei maskierte Täter nach Ladenschluss die Filialleiterin und einen Auszubildenden in ihre Gewalt gebracht, beide gefesselt und bedroht und waren schließlich mit einem Teil der Tageseinnahmen, einem höheren vierstelligen Betrag, geflüchtet.

Angeklagt ist Hatem G. (alle Namen geändert), der einer der beiden Täter gewesen sein soll. Zum Zeitpunkt des Überfalls, kurz nach 20 Uhr, waren zwei Angestellte allein im Geschäft. Die Verkäuferin und Filialleiterin Anja P. erzählte bei der gestrigen Zeugenvernehmung, dass sie nach Schließung des Geschäfts im Büro die Abrechnung der letzten Tageseinnahmen gemacht habe, als sie hinter sich Geräusche gehört habe und von den Tätern überrascht worden sei. Ihr seien die Augen verbunden worden, sie sei an Händen und Füßen gefesselt worden und man habe sie auf den Bauch gelegt. Kurz darauf habe sie gehört, dass auch ihr Kollege, der Auszubildende Issam G., der noch im Laden beschäftigt war, ebenfalls überwältigt und anscheinend geschlagen oder getreten wurde.

Anja P., die sich nach der Tat in psychologische Behandlung begeben musste und zunächst große Probleme hatte, wieder Abendschichten zu übernehmen, erinnerte sich daran, dass einer der Täter beruhigend auf sie eingeredet und gesagt habe, dass ihr nichts geschehen werde und dem Aldi-Konzern der Raub wenig ausmachen werde. Er soll nach weiteren Geldverstecken gefragt haben, während sein Komplize die für den Safe bestimmten Tageseinnahmen eingepackt habe. Bevor die beiden Täter den Markt verließen, hätten sie versprochen, in einer halben Stunde die Polizei zu rufen. Sie drohten noch, dass ihre Opfer sich besser nicht vorher selbst bemerkbar machen sollten. Obwohl der Auszubildende Issam G. sich und seine Kollegin rasch von den Fesseln befreien konnte, hielten sich die beiden an die Anweisung der Täter. Als die Polizei gegen 21 Uhr eintraf, blieb eine sofortige Fahndung erfolglos.

Anja P. erzählte, dass die Täter sich untereinander in einer ihr unbekannten Sprache verständigt hätten. Bei ersten Vernehmungen glaubte sie, einen russischen Namen gehört zu haben und und hatte gemutmaßt, es könnte sich um Osteuropäer gehandelt haben. Bei der gestrigen Vernehmung war sie sich dessen nicht mehr sicher. Anja P. konnte nicht ausschließen, dass die Täter sich bereits vor Ladenschluss in die Lagerräume des Aldi-Markts geschlichen und dort versteckt hatten.

Denkbar ist jedoch auch ein Tathergang, dem am ersten Prozesstag große Aufmerksamkeit gewidmet wurde - nicht zuletzt weil die personelle Konstellation bei diesem Überfall verdächtig ist. Der Angeklagte Hatem G. und der Auszubildende Issam G. sind Brüder. Besonders schwer wiegt zudem eine Zeugenaussage, in der behauptet wurde, Issam G. habe seinem älteren Bruder und einem weiteren Täter nach Ladenschluss Zugang in den Markt ermöglicht, könnte also ein bislang unbekannter dritter Täter mit Insiderwissen sein. Die Überprüfung dieser Aussage wurde zum Anlass, komplizierte Familienverhältnisse im Saal 163 des Lübecker Landgerichts auszubreiten.

Als Belastungszeuge gegen Issam G. war nämlich bei den polizeilichen Ermittlungen Michael W. aufgetreten. Seine Tochter Tanja war bis vor kurzem mit Issam G. liiert, die beiden haben ein gemeinsames Kind. Michael W. war ebenso wie seine inzwischen von ihm geschiedene Ehefrau gegen diese Verbindung, weil Tanja und ihr Partner ständig finanzielle Probleme gehabt und die Eltern häufiger hätten aushelfen mussten. Darüber hinaus soll Issam G. gewalttätig gewesen sein und Tanja W. Angst vor ihm gehabt haben. Was sich noch durch einen Vorfall in der Familie G. verstärkt haben soll: Die Brüder Issam und Hatem hatten gemeinsam mit einem weiteren Täter ihre Schwester und deren Lebensgefährten in deren Wohnung überfallen und misshandelt. Wegen gefährlicher Körperverletzung waren sie im November 2013 schuldig gesprochen worden und hatten Strafen auf Bewährung bekommen.

Eine wesentliche Frage, die sich der Großen Strafkammer VII unter Vorsitz der Richterin Helga von Lukowicz stellte, war die Verwertbarkeit der belastenden Aussagen, die Michael W. vor der Polizei gegen Issam G. gemacht hatte. Denn Michael W. hatte schon vor Prozessbeginn darum gebeten, seine Aussage zurückziehen zu dürfen. Im Prozess zu seiner früheren Anschuldigung befragt, verwickelte er sich in widersprüchliche Erklärungen. Bestimmte Dinge seien so nie gesagt worden oder missverstanden worden. Beredte Bemerkung am Rande: Seine Tochter Tanja, so Michael W., habe eine panische Angst vor ihrem früheren Partner Issam G. gehabt.

Der Prozess wird in der kommenden Woche fortgesetzt. Dann wird es vermutlich um den eigentlichen Angeklagten Hatem G. und seine Tatbeteiligung gehen. Und wohl auch um die Suche nach einem zweiten und einem möglichen dritten Täter.