Reinfelder wegen sexuellen Missbrauchs vor Gericht. Jugendamt-Mitarbeiterin erinnert wenig

Lübeck/Reinfeld. Warum hat das Jugendamt in Reinfeld nichts unternommen und den Mann angezeigt, der seine Stieftochter mehrfach sexuell missbraucht haben soll? Eine Antwort darauf gibt es nicht. Die Sozialarbeiterin mit den kurzen grauen Haaren schüttelt nur den Kopf, als sie gefragt wird, ob sie eine Strafanzeige in Betracht gezogen habe. Allgemein gibt sich die Frau, die inzwischen im Ruhestand ist, am zweiten Verhandlungstag im Prozess vor dem Lübecker Landgericht gegen Dimitrios Tataros (alle Namen geändert) sehr wortkarg.

Die 63-Jährige sagt immer wieder, dass sie den Fall kaum noch erinnere, weil schon so viel Zeit vergangen sei. Die Richterin hilft der Frau auf die Sprünge und liest ihr ihre eigenen Notizen vor. Am 5. Januar 2011 notiert die Sozialarbeiterin detailliert die sexuellen Übergriffe auf Sabrina nach einem Gespräch mit dem Kind. Danach fordert die Mitarbeiterin des Jugendamtes Tataros auf, die gemeinsame Wohnung in einem Reinfelder Hochhaus zu verlassen. Kontakt mit dem Kind oder der Familie gibt es danach nicht mehr.

Die Polizei wurde auch dann nicht eingeschaltet, als bekannt war, dass der 33 Jahre alte Grieche ein Sexualstraftäter ist. Ein Spezialeinsatzkommando der Polizei überwältigte ihn im März 2011 in einer Reinfelder Videothek, nachdem er eine 18-Jährige dort als Geisel genommen und mehrfach vergewaltigt hatte. Für diese Tat wurde er im September desselben Jahres zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt.

Während dieses Verfahrens kam nie ans Licht, dass Tataros seine Stieftochter im Alter von fünf und sechs Jahren ebenfalls missbraucht und vergewaltigt haben soll. Auch als die Mutter im damaligen Prozess im Zeugenstand saß, sagte sie nichts. Erst als der leibliche Vater des heute zehnjährigen Mädchens von den Übergriffen erfährt, geht dieser 2012 zur Polizei. Tataros sitzt zu diesem Zeitpunkt schon längst im Gefängnis.

Verteidiger sieht einen Zusammenhang mit Streit ums Sorgerecht

Der 33 Jahre alte Angeklagte bestreitet die Übergriffe auf seine Stieftochter. Sagt, dass diese erfunden seien. Zwar habe ihn seine inzwischen geschiedene Ehefrau mit den Vorwürfen konfrontiert, er habe dies aber immer bestritten. Sein Anwalt zweifelt an der Aussage des Mädchens, vermutet, dass die Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Sorgerechtsstreit um den gemeinsamen sechsjährigen Sohn stehen könnten. Denn nach der Tat in der Videothek reichte die Mutter die Scheidung ein und beantragte das alleinige Sorgerecht für den Sohn.

Ein Familiengericht sieht diesen Antrag im Mai 2011 als unbegründet. Auch wenn Tataros ein verurteilter Sexualstraftäter sei, könne ihm deswegen nicht das Sorgerecht entzogen werden. Zudem attestierte ein vom Familiengericht bestellter Gutachter keine Persönlichkeitsstörung. Genauso wie der forensische Sachverständige im aktuellen Fall, der keine pädophilen Neigungen erkannt hat.

Der Verteidiger stellte einen Beweisantrag, um den Gutachter, der schon vor dem Familiengericht ausgesagt hatte, zu befragen. Denn fraglich ist für ihn, warum eine Anzeige wegen sexuellen Missbrauchs erst erstattet wurde, nachdem die Mutter das alleinige Sorgerecht nicht bekam.

Die Richterin wies den Antrag ab. „Es wäre ohne Bedeutung für die Entscheidung hier im Verfahren“, sagte sie und fügte hinzu, dass sie kein Motiv für eine Falschaussage des Kindes sehe. Schließlich habe das Jugendamt mehrere Monate zuvor schon vom sexuellen Missbrauch erfahren. Mit einem Urteil wird für Donnerstag, 13. Februar, gerechnet.