Neues Palliative Care Team im St. Adolf-Stift hilft Menschen, die unheilbar krank sind

Reinbek. Der Teller ist fast leer. Zum Mittag gab es gebratenes Geflügel, Brokkoli und Kartoffeln. Vier kleine Ecken davon sind übrig geblieben. Manfred Beier hat heute Appetit. Endlich wieder. Er lächelt, wischt sich die Mundwinkel mit einem Taschentuch ab. Den Nachtisch, eine Banane, hebt er sich für später auf. Sein Körper muss sich erst langsam wieder an die regelmäßige Nahrungsaufnahme gewöhnen.

Denn Hunger hat er in den vergangenen Monaten kaum verspürt, Essen war mehr Qual als Genuss, die Portionen dementsprechend klein. „Oft konnte ich gar nichts zu mir nehmen“, sagt der 67-Jährige. Wegen der ständigen Übelkeit und den andauernden Schmerzen. 23 Kilogramm hat er seit Oktober 2012 verloren, wiegt nun 79 Kilogramm bei 1,79 Meter Größe.

Der Rentner ist unheilbar krank. Er hat Prostatakrebs. Die Diagnose bekam er im Sommer 2011. Jetzt liegt der gelernte Maschinenbautechniker im Reinbeker Krankenhaus St. Adolf-Stift auf der internistischen Station 5. Als er am 16. Januar eingeliefert wurde, verbrachte Beier vier Tage auf der Intensivstation. Es sah nicht gut aus, zu ausgemergelt war sein Körper, zu schlecht seine psychische Verfassung.

Nun sei er in guten Händen. Das sagt Manfred Beier nicht, weil er einfach nur nett sein will oder dem Krankenhauspersonal nach dem Mund redet. Er meint es ehrlich, weil er schmerzfrei ist und sich den Umständen entsprechend fühlt: „Es war, als wenn einer den Schalter umgelegt hat.“ Wochenlang konnte er nachts nicht schlafen, nun schafft er neun Stunden am Stück. Und er empfindet eine gewisse Vorfreude beim Gedanken ans nächste Essen.

„Wenn ein Patient so weit ist, wissen wir, dass die Schmerzeinstellung mit Medikamenten optimiert ist“, sagt Gabi Hannemann, Koordinatorin des Palliative Care Teams (PCT) in der Reinbeker Klinik und erster Ansprechpartner für Menschen wie Manfred Beier und deren Angehörige. Derzeit liegen in Reinbek vier von ihnen auf unterschiedlichen Stationen. 48 waren es seit September vergangenen Jahres, als Hannemann ihre Stelle antrat und unter der Leitung von Chefarzt Thorsten Krause und Oberarzt Gunnar Lankenau eine palliativmedizinische Einheit (siehe unten) mit eigener Koordination gegründet wurde. Zwölf unheilbar Kranke sind seitdem im Krankenhaus gestorben, der Großteil ist in die häusliche Umgebung zurückgekehrt.

Das PCT besteht aus unterschiedlichen Berufsgruppen. Dazu gehören drei Palliativmediziner, die Koordinatorin, die zugleich examinierte Krankenschwester und Psychologin ist, zwei Physiotherapeuten, vier Sozialdienstmitarbeiterinnen, zwei Seelsorger sowie eine Psychoonkologin. Ihr Ziel ist es, den Betroffenen ein schmerzfreies Leben bis zum letzten Tag zu ermöglichen. Neben der medikamentösen Behandlung werden die Patienten in ihrer seelischen Verfassung stabilisiert sowie die Angehörigen begleitet. Auch kümmert sich das PCT um die Organisation der Versorgung nach dem Krankenhausaufenthalt.

Chefarzt Krause: „Wir können helfen, die Autonomie zu erhalten und die Symptome zu kontrollieren. Studien haben bewiesen, dass das frühzeitige hinzuziehen von Palliative Care zu einer Reduktion von Depressionen und sogar zu einer Verlängerung des Lebens führt.“ Wie lange Manfred Beier noch zu Leben hat, weiß er nicht. Nur so viel: „Ein Arzt hat mir vor einiger Zeit gesagt, dass ich die 75 nicht schaffe.“

Inzwischen hat Gabi Hannemann den Raum betreten. So wie jeden Tag. Der Austausch mit den Patienten gehört zu ihrem Job. Im Gespräch geht es um Sorgen, Nöte, aber auch um Allgemeines wie Sport. Sie sagt: „So entsteht über die Zeit eine Beziehung zwischen dem Patienten und mir. Durch die neue Struktur ist es jetzt möglich, auch einmal länger am Bett zu sitzen.“

Manfred Beier nutzt die Zeit. Er hat viel zu erzählen: zum Beispiel von seinen beiden Söhnen oder dem eigenen Ingenieurbüro, das vom Nachwuchs weitergeführt wird. Dann sagt er: „Ich werde zu Hause ambulante Hilfe in Anspruch nehmen.“ Ein Auftrag für Hannemann. Und die Zeit drängt. Denn in wenigen Tagen wird Beier entlassen.