Friedrichsruh ist der Sitz der Otto-von-Bismarck-Stiftung. Im Museum sind persönliche Gegenstände des Politikers zu sehen – Dokumente, Orden und sogar ein Unterhemd

Friedrichsruh. Große Welt und tiefste Provinz liegen an diesem Ort ganz dicht beieinander. Einst reiste der deutsche Kaiser nach Friedrichsruh, um dem Hausherrn Otto von Bismarck seine Reverenz zu erweisen. Heute ist der Bahnsteig verwaist. Fernzüge sausen vorbei. Die Hamburger S-Bahn fährt nur bis Aumühle, für den Regionalzug nach Büchen ist Friedrichsruh nur ein Bedarfshalt am Wochenende.

Wer an so etwas wie Dornröschenschlaf denkt, liegt aber falsch. Denn Friedrichsruh, der letzte Wohnort des ehemaligen Reichskanzlers und heutige Sitz der Otto-von-Bismarck-Stiftung, ist noch immer ein sehr lebendiger Ort. Einer, der gelegentlich auch in den Blick der Weltöffentlichkeit gerät.

Das war zuletzt vor zwei Jahren so, als eine verschollen geglaubte Tonaufnahme von Bismarcks Stimme aus dem Jahr 1889 in den USA entdeckt wurde und ein Reporter der „New York Times“ mit der Otto-von-Bismarck-Stiftung korrespondierte, um den Fund richtig einordnen zu können, bevor er am 31. Januar 2012 einen Artikel veröffentlichte, der die Weltpresse elektrisierte.

Die Stiftung bestätigte die Echtheit einer Aufnahme mit Bismarcks Stimme

„Wir wurden gefragt, was wir von dem Tondokument halten und ob wir die Echtheit bestätigen können. Wir sind dann mit der Nachricht sehr offensiv umgegangen und hatten einen richtigen Medienhype“, sagt Ulrich Lappenküper, Geschäftsführer der Stiftung.

Inzwischen haben sie wieder eher stillen Alltag in Friedrichsruh. Doch im kommenden Jahr ist dem Ort und seinen Einrichtungen erneut große Aufmerksamkeit gewiss. Denn Bismarcks 200. Geburtstag steht am 1. April 2015 an. Und das ist auch wieder eine Chance, auf die Arbeit der Stiftung hinzuweisen – mit Tagungen, Ausstellungen, Vorträgen und Publikationen.

„Nirgendwo sonst kann man sich so umfassend über Otto von Bismarck informieren wie in Friedrichsruh. Das ist hier ein zentraler Lern- und Erinnerungsort“, sagt Professor Lappenküper. „Wir sind eine Stiftung der Bundesrepublik Deutschland und nicht der Familie Bismarck, wie es manche Besucher irrtümlich annehmen. Wir werden zu 100 Prozent vom Bund finanziert.“

Die Aufträge der Stiftung seien die wissenschaftliche Forschung und die historisch-politische Bildung. Es gehe um die Frage, wie Ulrich Lappenküper sagt, „was uns Bismarck in seiner Zeit und was uns die Themen, die er gestaltet hat, heute noch zu sagen haben“. Was Lappenküpers Vorgänger, der Historiker Michael Epkenhans forderte, gelte auch heute noch: „Wir wollen den Menschen Geschichte nahebringen. Es sollen Fragen an die Vergangenheit gestellt werden, um Lösungen für die Zukunft zu finden. Wir pflegen keinen Personenkult und betreiben keine Verklärung, sondern wollen über die Person Bismarck dessen Zeit vermitteln und aufzeigen, wie kompliziert der deutsche Weg zur Demokratie war – also wie wir wurden, was wir sind."

Seit 2007 ist die Stiftung auch für die Gedenkstätte in Bismarcks Geburtsort Schönhausen in Sachsen-Anhalt zuständig. Der Jahresetat beträgt 825.000 Euro. In Friedrichsruh sind 16 Mitarbeiter beschäftigt. Neun davon sind fest angestellt, die übrigen sind Geschichtsstudenten. 2013 kamen 17.000 Besucher in den Sachsenwald und knapp 80.000 virtuelle Gäste auf die neu gestaltete Homepage.

Die Besucher vor Ort können sich rasch auf zwei Wegen informieren. Die Dauerausstellung „Otto von Bismarck und seine Zeit" im Stiftungsgebäude, dem ehemaligen Bahnhof von Friedrichsruh, ist ein moderner Zugang zum Thema. Die Ausstellung im Bismarck-Museum, das seit 2009 als Dauerleihgabe der Familie unter der Obhut der Stiftung steht, eröffnet den Zugang durch authentische Objekte.

Ist die erste Schau ein zeitgemäß aufgeklärtes und kritisches Entree in die Welt Otto von Bismarcks, hat die zweite, leicht plüschige, eher den Charakter der Verehrung. Sie ist im ehemals familieneigenen Museum zu finden, das unweit des Bahnhofs auf dem Weg zum Schloss der Bismarcks liegt.

Im Bismarck-Museum sind Erinnerungen gesammelt. Sie dokumentieren das Leben des Reichsgründers in Bildern, Dokumenten, Orden, Kleidungsstücken bis hin zu Reliquien. wie den Pistolen, mit denen die Attentate 1866 und 1874 auf den Eisernen Kanzler verübt wurden. Zu sehen ist auch das von zwei Streifschüssen gezeichnete Unterhemd, das Bismarck beim ersten Anschlag getragen hatte. Auf der anderen Seite der Bahngleise liegt die Gruftkapelle mit den Gebeinen Bismarcks und seiner Frau Johanna von Puttkamer.

Herzstück der Stiftung ist ein kleines Nebengebäude, das ehemalige Toilettenhäuschen am Bahnhof. Heute ist es ein Archivbau, der 800 Kartons und mehr als 220.000 Blätter aus Bismarcks privatem Nachlass enthält, die zu einem Großteil der Aufarbeitung bedürfen.

Auch ein heuchlerischer Brief von Kaiser Wilhelm II. lagert in Friedrichsruh

Darin befindet sich auch der Brief, den Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1890 an Bismarck schrieb, nach dessen Entlassung: „Mit tiefer Bewegung . . .“, heißt es da in einem durch und durch heuchlerischen Schriftstück. Welch ein Kontrast dazu der Brautbrief, in dem Bismarck seinen Schwiegervater in spe um die Hand von Johanna bat. „Ein Meisterwerk diplomatischer Schreibkunst", urteilte die Nachwelt.

Es finden sich dort noch viele Schätze, die gehoben werden wollen. Zum Beispiel die große Postkartensammlung Bismarcks, voller Beispiele für die Huldigungen, die der durchaus umstrittene Reichskanzler bis an sein Lebensende erfuhr. „Das ist eine wunderschöne Quelle zur Erforschung des Mythos’ Bismarck“, sagt Lappenküper.

Der gebürtige Westfale arbeitet seit 2005 in Friedrichsruh. 2009 trat er die Nachfolge des Gründungsgeschäftsführers Michael Epkenhans an. Das Jubiläumsjahr möchte Lappenküper auch für eine Neuorientierung nutzen. Er sagt: „Es besteht der Wunsch nach einer neuen Dauerausstellung, in der die Originale mit einem modernen museumspädagogischen Multimedia-Konzept zusammengebracht werden.“