Millimeterarbeit in Großhansdorf. Der Zug war in der Sturmnacht gegen einen Baum gefahren. Die Bergung klappte ohne größere Probleme

Großhansdorf. „Am schwierigsten war der Schwenk“, sagt Kranführer Jörg Neuhaus nach getaner Arbeit. Der 52-Jährige saß im Führerhaus des 220 Tonnen schweren Baugeräts, das den in der Nacht zu Freitag zwischen den Haltestellen Kiekut und Großhansdorf entgleisten U-Bahn-Waggon von der Brücke über den Wöhrendamm auf einen Tieflader hievte. Und das gelang, ohne einen einzigen Ast der direkt an der Trasse und der Fahrbahn stehenden Bäume zu knicken.

Gut zwei Stunden hatten etwa 30 Mitarbeiter der Hochbahn und des Bergungsunternehmens am Sonnabend zuvor dafür gesorgt, dass der Rest des Zuges von dem beschädigten Waggon getrennt wurde. Dazu musste dessen hinterer Teil auf Holzbalken aufgebockt und die dortige Achse gelöst werden, da sie zur Hälfte auch zum nächsten Waggon gehört. Anschließend galt es, die Träger der Hebevorrichtung glatt unter dem Waggonboden anzulegen und so zu befestigen, dass sie dort auch blieben. Ein paar Mal sprühten goldfarbene Funken neben der demolierten Achse hervor, als ein Mitarbeiter Metallteile abschliff, die den Stahlbalken offenbar im Wege waren. Gehalten wurden die Träger von insgesamt vier massiven Ketten, deren obere Enden an einem rechteckigen Metallgerüst hingen, an dem wiederum die Seile des Krans montiert waren.

Einige Schaulustige verfolgten das Spektakel, allerdings aus der gebotenen Distanz. Baken versperrten ihnen den Weg in den Schwenkbereich des Krans. Näher dran war unter anderem Großhansdorfs Bürgermeister Janhinnerk Voß. Dafür musste er allerdings auch wie alle Techniker und Arbeiter der Hochbahn und der Bergungsfirma eine orangefarbene, mit silbernen Leuchtstreifen versehene Sicherheitsweste überstreifen. „Ich bin einerseits als Verwaltungschef hier, um zu sehen, ob alles glatt geht“, sagte Voß. Andererseits sei er auch privat interessiert, weil er sich sehr für Technik begeistere.

„Um halb vier ist Anpfiff“, rief ein Arbeiter von der Brücke seinen Kollegen auf der Straße zu, als der Waggon schließlich festgezurrt war. Offenbar meinte er die Spiele der Fußballbundesliga, vielleicht sogar die Partie des HSV gegen Augsburg. Der Mann musste sich jedoch gedulden, denn der Bergung standen noch zwei blaue Stahlstützen im Wege. Die schweren Metallteile waren auf der Transportfläche des Tiefladers vergessen worden und verhinderten somit, dass der Waggon sauber darauf abgelegt werden konnte. Zwei Mitarbeiter brauchten eine knappe halbe Stunde, um sie von dem Deck zu schieben. Lautlos fielen sie dabei in die Grünstreifen neben der Fahrbahn.

Um kurz nach 14 Uhr war es dann endlich soweit: Das 18 Tonnen schwere Schienenfahrzeug wurde angehoben. Besonderes Problem dabei: Auf der einen Seite war die etwa 2,5 Tonnen schwere demolierte Achse, am anderen Ende des Waggons aber kein entsprechendes Gegengewicht – die dortige Doppelachse war ja mit dem übrigen Zugteil weggezogen worden. Die Träger mussten also so angebracht werden, dass sich der Waggon nicht zur schwereren Seite hin neigt, wenn er angehoben wird, und dann möglicherweise aus der Verankerung rutscht. Das hätte Gefahr für Leib und Leben der Arbeiter bedeutet.

Eine knappe halbe Stunde später war es vollbracht. Helfer am Boden drehten dabei den Waggon sachte nach rechts währen der Kran ebenfalls langsam eine fast 180-Grad-Kurve nach rechts vollzog. Jörg Neuhaus: „Da muss die Koordination mit den Kollegen stimmen.“ Ein bisschen Kribbeln habe er dabei immer im Bauch. „Das muss sein, sonst ist nicht die nötige Konzentration da.“ Einen Waggon hebe er nun zwar nicht alle Tage vom Gleis, aber ähnlich kritische Verladungen, etwa auf Baustellen, seien sein täglich Brot.

Der U-Bahnzug war mit hoher Geschwindigkeit in der Sturmnacht zu Freitag auf eine Buche geprallt, die Sturmtief „Xaver“ auf die Gleise gefegt hatte. Der etwa einen Meter dicke Stamm wurde rund 200 Meter mitgeschleift, ehe der Zug auf der Brücke über den Wöhrendamm zum Stehen kam. Dabei riss es den vordersten Waggon aus der Spur, er krachte gegen einen der Brückenpfeiler. Von den sechs Fahrgästen wurde einer leicht verletzt. Die Hochbahn richtete daraufhin einen Ersatzverkehr mit Bussen vom Bahnhof Schmalenbeck ein.

Nach Auskunft von U-Bahnsprecher Christoph Kreienbaum müssen wenigstens am heutigen Montag noch statische Untersuchungen an der Brücke vorgenommen werden. Wann der Streckenabschnitt wieder freigegeben wird, konnte er nicht sagen.