Einige Orte empfehlen explizit Zustimmung zur Großen Koalition. Es gibt auch Skeptiker

Ahrensburg. Der Koalitionsvertrag steht, einer schwarz-roten Bundesregierung stünde eigentlich nichts mehr im Weg. Wäre da nicht die sozialdemokratische Basis, die in dieser Frage das letzte Wort hat. Ja zur Großen Koalition oder Nein, Pragmatismus oder Bauchgefühl? Diese Frage stellt sich auch in Stormarner SPD-Kreisen, in denen die Zeichen offenbar eher auf Zustimmung stehen.

Das geht so weit, dass sogar Empfehlungen ausgesprochen werden, in Großhansdorf etwa. „Ich werde unseren Mitgliedern vorschlagen, dem Koalitionsvertrag zuzustimmen“, sagt der Ortsvorsitzende Reinhard Niegengerd. „Unsere Wunschkoalition ist das sicherlich nicht, aber man kann auch nicht so lange wählen, bis das Ergebnis passt.“ Niegengerd gefällt, dass der Koalitionsvertrag „auch eine deutlich sozialdemokratische Handschrift trägt“. „Ich kann damit gut leben.“ Die Abstimmung hält Niegengerd „für sehr demokratisch, aber nicht ganz ohne Risiko“. „Das wird sicher eine ganz knappe Sache. Da spielt das Bauchgefühl mit. Aber man muss die Realitäten sehen.“

Aus Sicht des Reinbeker SPD-Fraktionsvorsitzenden Volker Müller ist mit dem gesetzlichen Mindestlohn die wohl wichtigste Forderung erfüllt. „Die 8,50Euro sind wichtig“, sagt er, „Das ist es, was die Menschen beschäftigt, weitaus mehr als eine Frauenquote in DAX-notierten Unternehmen.“ Insofern könne niemand guten Gewissens Nein zum Koalitionsvertrag sagen.

Für Oststeinbeks SPD-Fraktionschef Christian Höft ist die Sache eindeutig. „Der Auftrag ist klar, es gibt keine Alternative.“ Der Mitgliederentscheid sei ihm „suspekt“. „Ich würde am liebsten nicht abstimmen. Aber wenn alle so denken, wäre das Risiko zu groß, dass am Ende ein Nein rauskommt.“ Der Kreistagsabgeordnete Benjamin Freitag aus Lütjensee steht der Koalition positiv gegenüber. „Unsere Partei konnte nicht alles durchsetzen, aber doch bestimmt die Hälfte“, meint er. Der Mitgliederentscheid sei gut: „Das ist in Zeiten der Politikverdrossenheit ein wichtiges Signal, dass die Basis ernst genommen wird.“

Großes Interesse spürt Ahrensburgs Ortsvorsitzender Jochen Proske. „Ständig melden sich Mitglieder, die eigentlich nur in der Kartei stehen, und wollen wissen, wo sie sich informieren können.“ Er selbst hält es für „natürlich“, dass sich nicht 100 Prozent der Forderungen durchsetzen ließen. „Das gilt insbesondere für eine Große Koalition, in der wir auch noch der kleinere Partner sind.“ Aber mit dem Vertrag könne man zufrieden sein. Proske: „Beispiel Mindestlohn: Entweder wir führen ihn jetzt eben mit Ausnahmen ein und nicht ganz so schnell, wie wir uns das gewünscht haben. Oder es passiert gar nichts. Was nützt es den Menschen, wenn wir jetzt mit gekränktem Stolz sagen: Nein, das ist uns aber zu wenig.“

Ganz rational geht die Kreistagsabgeordnete Sigrid Kuhlwein an das Thema heran. „Ich habe Probleme mit einer Großen Koalition, weil es keine echte Opposition gibt“, sagt sie. „Aber der Wähler hat sich so entschieden. Insofern gibt es keine Alternative.“ Sie werde mit Sicherheit nicht dagegen stimmen. „Auch weil ich nicht möchte, dass meine Partei Probleme bekommt.“ Die nämlich hätte im Falle eines Neins der Bundesvorstand: „Der stünde im Regen.“ Auch Ammersbeks Bürgervorsteherin Ingeborg Reckling sagt: „Ein Nein wäre nicht gut, würde die Partei in eine Krise stürzen.“ Deshalb werde sie, obwohl sie sich eine andere Regierung gewünscht hätte und vom Vertrag nicht vollends überzeugt sei, aus pragmatischen Gründen zustimmen.

„Es ist wohl keiner von uns besonders glücklich“, sagt auch die Ahrensburger Kreistagsabgeordnete Margot Sinning. „Aber Neuwahlen kann sich niemand wünschen. Da würden alle nur verlieren.“ Was sie positiv findet: „Eine Große Koalition kann auch schwierige Dinge durchsetzen, weil sie eine breite Mehrheit hat.“ Dass der Mindestlohn komme, sei gut. Dass das von der CDU befürwortete Betreuungsgeld bleibe, sei ein nachvollziehbarer Kompromiss. „Was wären die Alternativen?“, fragt Sinning. „Eine schwarz-grüne Koalition. Dann wären SPD und Linke die Opposition.“ Und die Linke ist für Sinning auf Bundesebene nicht tragbar.

Auch Heiko Winckel-Rienhoff, nach einem Ausflug zu den Linken zu den Sozialdemokraten zurückgekehrtes SPD-Urgestein aus Westerau, macht sich so seine Gedanken. „In Anbetracht der Situation hat die SPD ganz schön viel rausgeholt.“ Dennoch sei es keine Liebesheirat, sondern eine Notlösung, wenngleich eine, mit der er „ohne Begeisterung leben kann“. Kurioserweise will Winckel-Rienhoff trotzdem dagegen stimmen. „Im Ergebnis muss der Widerstand Niederschlag finden.“

Zu den schärfsten Kritikern des Vertragswerks gehört Oldesloes SPD-Fraktionschefin Maria Herrmann. „Ich bin mehr als skeptisch“, sagt sie, „bei mir ist erst mal das Nein im Kopf.“ Was sie bis jetzt gelesen habe, sei ihr viel zu unkonkret, zu viel Wenn und Aber. Die Abstimmung findet sie sehr gut. Dass die „Parteioberen“ ständig Mails schickten, um auf die Große Koalition einzustimmen, sei aber sehr penetrant. Herrmann: „Wenn manipuliert wird, ist das keine echte Abstimmung mehr.“ Ein Nein würde die Führung beschädigen – „dann kann der Gabriel einpacken. Aber das ist das Risiko.“ Carsten Stock, Ortsvorsitzender in Bad Oldesloe, sagt: „Die Chance, dass die Befragung nach hinten losgeht, ist hoch. Denn es nehmen ja meist die besonders Aktiven teil. Und die Aktiven sind oft die Kritischen.“

Auch George Gericke, SPD-Ortsvorsitzender in Trittau, ist skeptisch. „Ich bin unzufrieden“, sagt er. Kein höherer Spitzensteuersatz, kein sofortiger Mindestlohn: „Das ist nicht das Ziel unseres Wahlkampfes gewesen.“