Kosmetika von Spenden gekauft: Vorsitzende des Bundesverbands der Unfallopfer steht in Lübeck wieder vor Gericht

Lübeck/Lütjensee. Für die Vereinsmitglieder ist ihre Vorsitzende, die „Präsidentin“, offenbar so etwas wie eine Lichtgestalt. Jemand, auf den sie nichts kommen lassen. Die Justiz neigt dazu, Sabine T. (Name geändert) etwas anders zu beurteilen: möglicherweise als Straftäterin. Die mittlerweile 59-Jährige, die von ihrem Haus in Lütjensee aus die Geschicke des Bundesverbands der Unfallopfer in Deutschland lenkt, steht wieder vor Gericht. Im April war sie vom Schöffengericht in Ahrensburg zu einer fast dreijährigen Haftstrafe wegen gewerbsmäßiger Untreue verurteilt worden (wir berichteten). Vor der Wirtschaftsstrafkammer beim Landgericht Lübeck läuft seit Mittwoch das Berufungsverfahren.

Vor Gericht geht es noch um 48 Fälle, um die Summe von 55.000 Euro

Der Vorwurf damals wie heute: T. soll vereinseigenes Geld, also Mitgliedsbeiträge, Spenden und Zuwendungen von Krankenkassen, auch für private Zwecke ausgegeben haben. Von den 171 seinerzeit in Ahrensburger zur Anklage gebrachten Einzelfällen aus den Jahren 2007 und 2008 – es geht um ein Gesamtvolumen von rund 80.000 Euro – sind zwar nur noch 48 übrig geblieben. Es sind jene 48, für die Sabine T. auch verurteilt worden ist. Es geht aber immer noch um rund 55.000 Euro. Einnahmen des Bundesverbands im selben Zeitraum: etwa 80.000 Euro. „Es geht also um 70 Prozent der gesamten Einnahmen“, sagt der Vorsitzende Richter Claas Leplow.

Es geht um das Geld, das für die Verbandsarbeit bestimmt gewesen ist. Tatsächlich hat T. es einem Gerichtsvollzieher gegeben, ferner davon einen Klempner, einen Gartenbaubetrieb, den Steuerberater und den Tierarzt bezahlt, außerdem Kosmetika, Schuhe und Lebensmittel gekauft. Sie bestreitet diese Vorwürfe nicht, sondern wähnt sich offenbar im Recht.

Im Gerichtssaal schweigt sie, zieht es vor, dass andere über sie reden, besser: von ihr schwärmen. Da ist zum Beispiel Vorstandskollege Hans-Uwe M. (Name geändert), auch 59 Jahre alt, ein Dampfplauderer mit hessischem Dialekt. „Es ist schon so, dass Frau T. 90 Prozent des Bundesverbands ist“, sagt er. „Die hat so viel getan, da muss ich den Hut ziehen.“ Ein Engagement „vergleichbar mit dem eines Managers“ sei es gewesen.

Das passt. Wie eine Managerin tritt sie auch auf, diese zierliche, vornehm wirkende Dame, die trotz ihres Alters noch etwas Mädchenhaftes an sich hat. So gefällt sich die gelernte Zahntechnikerin offenbar, als Managerin der Unfallopfer. Als deren Sprachrohr, Beraterin, vor allem als Netzwerkerin. „Sie hatte einen Vollzeitjob, viel mehr als 40 Stunden die Woche, rund um die Uhr, das ganze Jahr hindurch“, sagt sogar ihr Ex-Mann. Wenn T., seit einem Unfall selbst frühverrentet, mit ihrem Verband Erfolge hat verbuchen können, gab es wohl niemanden, der sie ihr streitig machen wollte.

Das Problem: Laut Verbandssatzung ist die Präsidentin eine ehrenamtliche, kann höchstens Auslagen erstattet bekommen. Aber T. hat die Verbandskonten offenbar als die ihren erachtet. „Es hat eine ungewöhnliche und unzulässige Durchmischung von Privatem und Verband gegeben“, hat Richter Ulf Thiele im Frühjahr in Ahrensburg sein Urteil begründet.

Nun hätten die Verbandsgremien, etwa die Vollversammlung oder der Vorstand, die Präsidentin ermächtigen können, sich selbst eine Aufwandsentschädigung, vielleicht sogar ein Gehalt zu zahlen. Haben sie aber nicht, und das liegt an einer weiteren Eigenart des Verbands, die ein Steuerprüfer bei der Verhandlung in Ahrensburg beschrieben hat: Die einem Verein eigenen Kontrollmechanismen hätten gefehlt. „Kassenprüfungen gab’s nicht, Mitgliederversammlungen gab’s nicht, und die Bücher trugen die Handschrift Frau T.s.“

Auch wenn sich der hessisch sprechende Dampfplauderer nun in der Verhandlung sogar daran erinnern will, dass eine Mitgliederversammlung der Präsidentin eine Vergütung zugestanden hätte – wann genau das gewesen sein soll, weiß er nicht; Protokolle existieren offenbar nicht. Ohnehin verlässt ihn oft die Erinnerung. „Ja“, sagt er und tippt sich an den Kopf, „so ist das leider bei uns Unfallopfern.“

Der Ex-Mann bekam eine monatliche Aufwandsentschädigung

Tatsächlich hat nicht Sabine T., sondern ihr Ex-Mann eine Aufwandsentschädigung in Höhe von monatlich 2000 Euro plus Umsatzsteuer erhalten. Angeblich habe er Hilfstätigkeiten ausgeführt, sagen der Hesse und ein weiteres als Zeugin geladenes Vorstandsmitglied. Auch die Frau ist infolge eines Unfalls schwerbehindert. Sie hat indes unumwunden und ohne jedes Schuldbewusstsein eingeräumt, während des in Ahrensburg laufenden Verfahrens auf Bitte der Präsidentin zwei Vorstandsbeschlüsse rückwirkend unterzeichnet zu haben. In dem einen geht es um die 2000 Euro für den Ehemann, im anderen um die Anschaffung eines Mini Cabriolets als „Dienstwagen“ für Frau T.

Sabine T.s Ex-Mann hat unterdessen ausgesagt, er habe weder jemals eine Rechnung geschrieben noch Geld erhalten. Das Gericht muss nun sehen, wie es diese Sachverhalte beurteilt.