Laut einer neuen DAK-Untersuchung steigt die Zahl psychischer Leiden weiter an

Bargfeld-Stegen. Immer mehr Arbeit, Konkurrenzdruck, ständige Erreichbarkeit für die Firma auch in der Freizeit, dazu vielleicht noch Angst um den Job: Eine steigende Zahl von Arbeitnehmern hält diesem Druck offenbar nicht mehr stand. Rund jeder 20. DAK-Versicherte ist im Jahr 2012 mindestens einmal wegen eines psychischen Leidens ausgefallen. In Schleswig-Holstein waren es 4,7 Prozent, die durchschnittliche Erkrankungsdauer lag bei dieser Gruppe bei 33,6 Tagen. Diese Zahlen hat das Berliner IGES-Institut auf Abendblatt-Anfrage ermittelt.

In Stormarn stünden psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angstzustände mit einem Fehltage-Plus von elf Prozent binnen Jahresfrist mittlerweile auf Platz zwei der Diagnosen, gleich hinter Muskel-Skelett-Beschwerden wie zum Beispiel Rückenschmerzen, sagt Hans-Werner Harmuth, DAK-Chef in Ahrensburg. Und: Eine aktuelle Langzeitanalyse für Schleswig-Holstein zeigt, dass in den vergangenen zwölf Jahren die Fehltage bei psychischen Erkrankungen um 84 Prozent gestiegen sind.

Von jedem wird heute mehr Flexibilität und Eigenverantwortung erwartet

Professor Matthias Lemke, Ärztlicher Direktor des Heinrich-Sengelmann-Krankenhauses in Bargfeld-Stegen, macht eine ähnliche Beobachtung: „In unseren Kliniken, Tageskliniken und Ambulanzen nimmt die Zahl der Menschen, die an Depressionen und Angststörungen leiden, deutlich zu.“ Die Betroffenen litten unter Erschöpfung, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Stresssymptomen, Nervosität, Anspannung oder innerer Unruhe. „Die Anforderungen an die Menschen in der heutigen Gesellschaft haben sich verändert. Von jedem Einzelnen wird heute eine viel höhere Flexibilität und Eigenverantwortung erwartet“, sagt Lemke. Beispielhaft nennt er neben anderem Arbeitsverdichtung in allen Bereichen, Anpassung statt Sicherheit sowie dauernde Erreichbarkeit und pausenlose Kommunikation. Apropos dauernde Erreichbarkeit: Der DAK-Studie zufolge sind berufliche Telefonate außerhalb der Arbeitszeit weniger verbreitet als landläufig angenommen wird. 44 Prozent der Befragten gaben an, noch nie außerhalb der Arbeitszeit von Kollegen angerufen worden zu sein.

72 Prozent bekommen nach Feierabend keine E-Mails. Aber: Jeder vierte Beschäftigte, der ständig erreichbar ist, leidet unter Depressionen. Hans-Werner Harmuth: „Für diese Gruppe hat der Wegfall der Grenze zwischen Beruf und Privatleben einen hohen Preis.“ Trotzdem ist der extreme Anstieg der psychischen Erkrankungen nicht ausschließlich darauf zurückzuführen. „Nach Einschätzungen von Experten nehmen die Krankschreibungen auch deshalb zu, weil Betroffene und Ärzte inzwischen anders mit seelischen Leiden umgehen“, sagt Harmuth. „Viele Arbeitnehmer werden heute mit einem psychischen Problem krankgeschrieben, während sie früher zum Beispiel mit der Diagnose chronische Rückenschmerzen arbeitsunfähig gewesen wären.“ Das mag ein Grund dafür sein, dass die beunruhigende Entwicklung unterm Strich total untergeht.

Der Krankenstand insgesamt ist landesweit sogar leicht rückläufig, in Stormarn auf sehr niedrigem Niveau konstant. Das ergibt sich aus dem jetzt vorgestellten aktuellen DAK-Gesundheitsreport, dem kreisweit rund 19.000 Patientendaten als Basis dienen. Auch die Zahl der Krankschreibungen wegen Erkältungen und Bronchitis (minus 13 Prozent) sowie wegen Verletzungen oder Vergiftungen (minus acht) ist derzeit rückläufig.

Stormarner sind im Landesvergleich am seltensten krankgeschrieben

Was das nackte statistische Material angeht, sind Stormarner die gesündesten Schleswig-Holsteiner – zumindest eben die DAK-Versicherten unter ihnen im Vergleich zu allen Kunden der Krankenkasse landesweit. Durchschnittlich sind an jedem Tag des vergangenen Jahres von 1000 Arbeitnehmern in Stormarn 3,5 krankgeschrieben gewesen. Zum Vergleich: Im landesweiten Schnitt waren es 0,3 mehr, der Kreis Segeberg ist mit 4,1 Krankschreibungen pro Tag auf 1000 Beschäftigte Schlusslicht.

Das ist nach den Worten des Ahrensburger DAK-Chefs Harmuth „ein positives Signal“. Gleichzeitig appelliert er an alle Firmenchefs: „Durch ein gezieltes Gesundheitsmanagement können Unternehmen dazu beitragen, dass der Krankenstand bei ihren Beschäftigten sinkt. Ansätze bieten zum Beispiel die Themen Ernährung, Entspannung und Bewegung.“ Und: Depressionen seien immer noch ein Stigma. „Das Thema muss endlich aus der Tabuzone geholt werden.“