Der Gemeindepastor von Klein Wesenberg und Hamberge feiert 30-jähriges Amtsjubiläum. Er fuhr sogar als Militärpastor zur See

Klein Wesenberg. Wenn es Winter wird, denkt Pastor Erhard Graf oft an einen ganz besonderen Weihnachtsgottesdienst, den er einmal gestaltet hat. Es war auf dem Segelschulschiff „Gorch Fock“ – auf dem Atlantik, vor Südafrika. „Wir haben Biertischbänke auf das Mitteldeck gestellt und sie weiß gedeckt. Dann haben wir bei 30 Grad Weihnachtslieder gesungen, während die Sonne im Meer versank“, erinnert sich Graf, der damals Militärseelsorger war. „Ich habe noch nie so geschwitzt an Weihnachten.“

1995 war das – und diese besondere Feier ist nur eines von vielen Erlebnissen in Pastor Erhard Grafs bewegter Dienstzeit. Kürzlich feierte er das 30. Jubiläum seiner Ordination als Pastor. Im Oktober 1983 wurde er in der Stadtkirche in Weimar auf sein Amt verpflichtet. Hinter ihm lag da schon so einiges: eine Kindheit und Jugend in der DDR, genauer gesagt in Wittenberg. Eine Lehre als Messtechniker, ein Abitur, das er auf dem zweiten Bildungsweg gemacht hatte. Die Auseinandersetzung mit seinen Eltern, für die seine Entscheidung, Theologie zu studieren, ein „regelrechter Schock“ war. Immerhin hatten Menschen, die der Kirche angehörten, in der DDR mit einigen Sanktionen zu rechnen.

Die trafen auch seinen Vater, der Lehrer an einer Sonderschule war. Erhard Graf berichtet: „Ihm wurde vorgeworfen, bei der sozialistischen Erziehung versagt zu haben.“ Doch der heute 59-Jährige ließ sich nicht von seinem Weg abbringen. Er wurde also Pastor. In einem kleinen Dorf namens Vippachedelhausen, das bei Erfurt liegt. Er betreute die kleine, eingeschworene Gemeinde, bis die Wirren der Wendezeit 1989/90 kamen, in der er sogar einige Monate Bürgermeister war – und schließlich Militärseelsorger wurde. Und das kam so: „In der Nähe des Dorfes lag damals ein Raketenabwehrstandort. Tief in einem Bunker wurden die westlichen Flugbewegungen überwacht“, erzählt Graf. Als Pastor nahm er an den Runden Tischen teil und erklärte sich bereit, Kontakt zum örtlichen Militärstandort aufzunehmen, um den „Übergang zu moderieren“, wie er sagt.

So betreute er schließlich eine Kaserne und wurde im Jahr 1993 nach Kiel versetzt. Mit seiner Frau Elke und seinen drei Kindern Friedrich Wilhelm, Alexander und Marie-Luise zog er zunächst nach Kiel, später nach Eckernförde. Im Amt des Militärpastors sollte er nur übergangsweise arbeiten, für zwei bis drei Jahre. Doch nach Ablauf dieser Zeit gab es „beruflich kein Zurück“, wie er sagt. Nur gut, dass ihm das, was er heute das „Abenteuer Marine“ nennt, Spaß machte. Denn neben Trauungen und Beerdigungen gehörte es auch zum Job, zur See zu fahren. „Ich war für 20 U-Boote, die ,Gorck Fock’, die Kampfschwimmer und die Minentaucher zuständig. Das war so irre interessant, da wollte ich gar nicht mehr weg.“ Graf bereiste die Welt, segelte auf der „Gorch Fock“ und fuhr auf U-Booten mit. Er war Ansprechpartner für Soldaten, musste in persönlichen und familiären Krisensituationen helfen.

In der Nähe des „Titanic“-Wracks betete die U-Boot-Besatzung einen Psalm

„Für mich ist sehr wichtig, dass ich einigen dabei helfen konnte, ihr Problem zu bewältigen“, sagt er. Graf organisierte Gottesdienste auf Schiffen, klärte die Soldaten darüber auf, wie sie sich in islamischen Regionen verhalten sollten. So habe er einmal junge Frauen darauf hingewiesen, dass sie sich in arabischen Ländern besser nicht im Bikini an den Strand legen sollten. Gern erinnert er sich an eine Fahrt mit einem U-Boot, die nach Amerika und zurück führte. „Wir sind in der Nähe der Stelle vorbeigefahren, wo das Wrack der ,Titanic’ liegt.“ Besatzungsmitglieder sprachen ihn darauf an, dass man da etwas Besonderes machen müsse. Der Gedanke beeindruckte Graf. „Wir haben dann alle zusammen einen Psalm gebetet.“ Im Jahr 2006 ging seine Zeit bei der Marine zu Ende. Er bewarb sich auf mehrere Stellen an Land, doch oft erfolglos. „Jemand, der mal als Militärpastor tätig war, ist als konservativ verschrien“, sagt Graf. Schließlich klappte es in Klein Wesenberg. Seit fünf Jahren ist er dort Pastor, zuständig auch für Hamberge. Bisweilen predigt er vor einer kleinen, überzeugten Gruppe von etwa 15 Leuten – ein bisschen so wie damals, in Vippachedelhausen. Doch Graf betont die Unterschiede: „In der DDR haben es sich Eltern hundertmal überlegt, ob sie ihr Kind taufen lassen. Dinge wie diese waren sehr bewusste Entscheidungen.“ Heute sei die Kirche für viele eine Art „Kulturgeber“, ein Angebot, das etwa Familien an Weihnachten und Ostern wahrnehmen.

In Klein Wesenberg habe er erst lernen müssen, dass „vieles historisch gewachsen“ sei. Etwa die Tatsache, dass sich Klein Wesenberg und Hamberge als eigene Gemeinden empfinden, obwohl schon seit 1926 ein Pastor für sie zuständig ist. Manche, so Graf, täten sich auch schwer mit Veränderungen. Und so gebe es einige, die sich immer noch Grafs Amtsvorgänger zurückwünschten, den verstorbenen Christian Uecker.

Pilger aus dem Ausland suchen das Gespräch mit dem Geistlichen

Graf wirkt allerdings nicht wie einer, der nicht angekommen ist auf dem Kirchberg in Klein Wesenberg. Er liebt den Ort mit dem herrlichen Blick über die Trave und die Felder. Schon zu Zeiten, als dort die Slawen siedelten, sei der Hügel ein spiritueller Ort gewesen. „Und das spürt man heute noch.“ Sogar den Kontakt zur großen, weiten Welt kann er auf besondere Weise halten. Denn das Gemeindehaus liegt direkt an der Via Baltica, einem deutschen Abschnitt des Jakobsweges.

Gelegentlich kommen Wanderer vorbei, machen an der Kirche Rast oder übernachten im Gemeindehaus. Viele kämen aus Rostock und Wismar, andere aus Österreich oder den skandinavischen Staaten. „Sie können im Gemeindehaus übernachten, viele suchen auch das Gespräch mit mir“, sagt Pastor Graf. Seit kurzem verdingt er sich auch selbst als Pilger. Seit dem vergangenen Jahr leitet er Gruppen, die auf dem norwegischen Olavsweg gehen.