Tabuthema prügelnde Ehemänner: Beratungsstellen und Bäcker machen in Stormarn bei großer Präventionsaktion mit

Bargteheide. Wegweisung. „Das Wort wird leicht missverstanden“, sagt Gerd Dietel, Präventionsbeauftragter der Polizeidirektion Ratzeburg. Einem Fremden freundlich zeigen, wo es langgeht? Nein. Dem am nächsten stehenden Menschen per Polizeibeschluss den Weg nach Hause versperren, weil dem Partner Gefahr für Leib und Leben droht. Die Wirklichkeit, die sich hinter dem Wort versteckt, ist brutal: Männer, die ihre Frauen schlagen und in den eigenen vier Wänden Angst und Schrecken verbreiten. „Das Frauenhaus ist voll belegt. Die Zahl der Wegweisungen in Stormarn ist gestiegen“, sagt Ahrensburgs Gleichstellungsbeauftragte Gabriele Fricke. „ In diesem Jahr waren es schon 29“, bestätigt Gisela Bojer vom Verein Frauen helfen Frauen Stormarn. „Insgesamt sind mehr als 100 Frauen von häuslicher Gewalt betroffen.“

Mit kreisweiten Aktionstagen wollen die Gleichstellungsbeauftragten und die Beratungsstellen auf das Thema aufmerksam machen. Rund um den 25.November, den internationalen Tag „Nein zu Gewalt an Frauen“, gibt es Veranstaltungen. In Bargteheide, wo das Programm vorgestellt wurde, ist gleich eine ganze Woche geplant. „Wir wollten das Thema diesmal breiter aufstellen“, sagt Gleichstellungsbeauftragte Gabriele Abel. „Und Gewalt genauer definieren“, sagt VHS-Leiterin Ute Sauerwein-Weber. Es sei ein Thema quer durch die verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche. Auch in den Bereich Erziehung und Kommunikation soll hineingeleuchtet werden.

Das Motto der Aktionstage lautet „Gewalt kommt nicht in die Tüte“. Denn neben weiteren Kooperationspartnern wie der Kirche, Amnesty International und dem Kinderschutzbund ist auch die Bäckerinnung Holstein-Stormarn als Veranstalter mit dabei. Sieben Betriebe beteiligen sich und verpacken Brötchen in 22.000 für die Aktion angefertigte Tüten, auf denen den Kunden ein Frauenbild entgegensieht. Darunter die Nummer des landesweiten Hilfstelefons: 08000/116 016.

„Viele Kunden reagieren nicht sofort“, sagt Ariane Klages, Auszubildende in der Bargteheider Bäckerei Kock. Sie hatte schon im vergangenen Jahr bei der Aktion mitgemacht.. „Die meisten merken das wohl erst zu Hause, beim Auspacken“, sagt die 19-Jährige. „Vielleicht halten manche ihre Gedanken aber auch lieber für sich. Junge Frauen zum Beispiel, die betroffen sein könnten.“ Aushilfe Piet Liebelt wird in diesem Jahr ebenfalls die Brötchen in die Tüte stecken, um zu zeigen, dass Gewalt auf keinen in die Tüte kommen darf. „Das Thema darf nicht verdrängt werden“, sagt der 21-Jährige.

Aber genau das geschieht. „Häusliche Gewalt gegen Frauen ist immer noch ein Tabu-Thema.“, sagt der Präventionsbeauftragte der Polizei, Gerd Dietel. „Im Durchschnitt dauert es sieben Jahre, bis eine Frau von ihrer Situation erzählt und auch Anzeige erstattet.“ Eine lange Zeit des Leidens liege dann bereits hinter ihr.

Die Wegweisung ist das letzte Mittel. Die Polizei muss eine gerichtsfeste Analyse zur Begründung vorlegen. Erst dann wird den Männern der Schlüssel weggenommen. Dietel: „Und zwar unabhängig davon, wer der Hauptmieter ist.“ Die Wegweisung gilt zwei Wochen.“ Eine wichtige Schutzfrist für die Opfer, sagt Gisela Bojer vom Kooperations- und Interventionskonzept KIK. Bojer: „Wir werden von der Polizei informiert und beraten die Frauen.“

„Dass die Zahl der Fälle gestiegen ist, hängt auch damit zusammen, dass die Kollegen das Thema sehr ernst nehmen“, sagt Polizist Gerd Dietel. „Aber die Dunkelziffer ist sehr hoch.“