Im Kinderhaus „Blauer Elefant“ begleiten freiwillige Helfer Kinder aus zerrütteten Beziehungen und deren Eltern. Eine Begegnung mit zwei Ehrenamtlichen

Bargteheide. Tom ist hibbelig: Heute wird er zum ersten Mal seit sechs Monaten seinen Vater wiedersehen. Eigentlich lebt Tom bei seiner Mutter, die Eltern haben sich vor einem Jahr getrennt, immer wieder um ihn gestritten – sogar vor Gericht, um Besuchsrecht und Unterhalt. Für den fünfjährigen Jungen ist das Wiedersehen höchst emotional: Vorfreude, Angst und Aufregung bewegen ihn. In der Nacht nach dem Treffen macht er plötzlich wieder ins Bett, obwohl das Wiedersehen glücklich verläuft: Mit leuchtenden Augen rennt er in die Arme seines Vaters.

Tom gibt es eigentlich nicht. Er ist ein Zusammenschnitt aus Einzelschicksalen, die aus Gründen der Schweigepflicht nicht erzählt werden dürfen. Ein Exempel für Mädchen und Jungen in Stormarn, die einen Elternteil nur im Kinderhaus „Blauer Elefant“ sehen dürfen. Gemeinsam mit Karin Claasen zum Beispiel. Sie begleitet Treffen von Trennungskindern und ihren Müttern, Vätern oder Großeltern. Um Zusammentreffen möglich zu machen. Und um Sicherheit zu vermitteln. Betreuter Umgang nennt sich das Prinzip. Was als Pilotprojekt im Jahre 1999 begann, ist mittlerweile zur Institution geworden. 28 Einsätze bekommt das Kinderhaus pro Jahr gezahlt, im aktuellen Jahr sind es bereits 38 Familien. Neben sechs festen Mitarbeitern sind Ehrenamtliche unentbehrlich. Regelmäßig werden Freiwillige gesucht, die in einem Kursus ausgebildet werden.

Claasen ist eine von 14 Ehrenamtlichen. Die rothaarige Frau mit den hellblau geschminkten, wachen Augen ist 67 Jahre alt, kinderlos. Vor sieben Jahren verließ sie ihren Bürojob als Vertriebssekretärin, wollte etwas Gemeinnütziges machen, „Zeit spenden“, wie sie sagt. Sie besuchte eine Fortbildung. Und ist dabeigeblieben. Zwei bis drei Kinder betreut sie pro Jahr, begleitet, beobachtet und gibt Halt. Zehn Termine hat ein Betreuter Umgang, in der Regel trifft man sich alle zwei Wochen für drei Stunden. Zunächst im Spielzimmer des „Blauen Elefanten“. Läuft es gut, dürfen die Eltern mit ihren Kindern auch mal ein Eis essen gehen, oder schwimmen – in Claasens Begleitung.

Betreuter Umgang zeigt, dass der Ex-Partner Verantwortung übernimmt

Betreuter Umgang, Treffen unter Beobachtung, zuhören, Acht geben. „Nach außen klingt das fast wie Stasi“, sagt Claasen und lacht. Dabei ist es für viele Elternteile, die getrennt von ihren Kindern leben, die einzige Möglichkeit, einen Zugang zu ihrem Nachwuchs zu bekommen. Zum Treffen kommen Familien, die im Streit auseinander gegangen sind und vor Gericht um Unterhalt und Besuchszeiten ringen. Schlägt das Gericht einen Betreuten Umgang vor, ruht der Streit. Oft kann nach dem Programm eine bessere Einigung über Besuchstermine getroffen werden, ganz ohne Richterspruch.

Toms Mutter zum Beispiel hatte kein Vertrauen mehr in ihren Ex-Mann, zu oft hat er seinen Sohn versetzt, ist mit seiner neuen Freundin ins Kino gegangen, statt seinen Sohn über Nacht zu empfangen. Toms Vater streitet dies ab, Missverständnisse seien das, er arbeite lang.

Erst im Betreuten Umgang kann er beweisen, dass er tatsächlich Termine einhalten kann, zuverlässig ist. Und auch mit Tom Nudeln kocht, Fußball spielt und backt, weil er unbedingt Zeit mit seinem Kind verbringen möchte. „Väter nehmen unser Angebot oft unterschiedlich auf“, erzählt Kathrin Zimmer, ebenfalls Freiwillige: Bei Babys seien sie oft dankbar, dass man im Raum ist, später fühlen sie sich beobachtet.

Zimmer hat selbst zwei Kinder, 25 und 32 Jahre. In ihren Job als Grundschullehrerin wollte sie irgendwann nicht mehr zurück – über Nachbarn kam sie auf die Idee zum Betreuten Umgang. Bald wird sie Oma, ihre Arbeit möchte sie dennoch nicht missen.

Damit die Termine erfolgreich verlaufen, gibt es strenge Regeln: kein Handy, keine großen Geschenke, und vor allem keine Treffen ohne Betreuer. Das Kind darf jederzeit einen Termin verweigern und abbrechen, Claasen und Zimmer vereinbaren vorab Zeichen mit den Kleinen, sollten sie sich unwohl fühlen. Immer mal wieder probieren Kinder das Zeichen aus, um zu sehen, ob es tatsächlich bei den Betreuern ankommt, erzählt Claasen. Wirklich beendet werden die Wiedersehen selten.

Geht es um echte Problemfälle, Drogen oder Kindesmissbrauch, übernehmen Hauptamtliche. Claasen und Zimmer müssen vielmehr lernen, kleine Konflikte zu vermeiden. Wenn die Mutter schimpft, weil der Vater keinen Unterhalt zahlt, schweigt Zimmer: „Ich will neutral bleiben.“ Sie sei ausschließlich für das Kind da. Eine Viertelstunde vor jedem Treffen nimmt sie das Kind vom jeweils anderen Elternteil entgegen, um eine Konfrontation zu vermeiden. „Irgendwie passiert es aber immer wieder, dass beide sich zufällig auf dem Parkplatz treffen“, erzählt Andrea Schulz vom DKSB. Reden die Eltern bei einem Treffen schlecht über den Expartner, oder versuchen sie, das Kind auszufragen, schreiten Claasen und Zimmer ein. Einschreiten müssen beide jedoch selten: Sie ist immer wieder überrascht, wie gut und liebevoll sich die Eltern auf die Treffen vorbereiten.

Verpflichtend für die Eltern ist ein Treffen beider Elternteile nach fünf Terminen „eine großer Schritt für ehemalige Partner, die vielleicht seit Monaten nicht gesprochen haben“, sagt Schulz vom DKSB. Sie bereite Eltern in Gesprächen auf diesen Tag vor, die Freiwilligen berichten in diesen Treffen ebenfalls von ihren Erfahrungen. Zu positiv dürfte man dabei nicht erzählen, erklärt Claasen, „sonst wird der Elternteil meistens misstrauisch.“ Mütter seien aber oft erleichtert, wenn Kinder glücklich von einem Treffen zurückkehren. „Es ist wichtig für sie zu sehen: Ach, das scheint ja doch zu klappen mit meinem Expartner“, erklärt Schulz.

Claasen und Zimmer genießen die Arbeit als Ehrenamtliche, auch wenn es sie Zeit und Nerven kostet. „Die Ausbildung hat auch mir selbst etwas gebracht“, sagt Claasen. „Ich denke über manche Dinge anders.“ Man nehme jedoch oft Dinge mit nach Hause, erzählt Zimmer. „Am Ende ist es aber schön zu hören, wenn Eltern sagen: Wir schaffen das auch ohne den Blauen Elefanten“, sagt Schulz.