Bildhauer Roger Rigorth lässt Skulptur aus der HafenCity nach Ahrensburg umziehen. Dort bleibt sie bis zur 700-Jahr-Feier stehen

Ahrensburg. Die Köpfe der Fahrgäste des 569er-Busses recken sich plötzlich zur rechten Wagenseite. Es ist dieselbe Richtung, in die auch die Blicke der Ahrensburger Fahrradfahrer, Fußgänger und Autofahrer wandern. Kein Wunder. Auf dem Rasenstück an der Straße Am Alten Markt gibt es etwas zu sehen: einen fünf Meter hohen Mast aus honigfarbenem Holz, der sich in die Luft reckt. Daneben liegen eiförmige Riesen (1,80 Meter breit, drei Meter lang) aus Eisen, Holz und Flechtwerk.

Am Rand der Grünanlage ist ein knallgelber Geländestapler geparkt, ein Mann mit Zimmermannhose, Vollbart und Hammer wuselt zwischen den Gerätschaften hin und her: Künstler Roger Rigorth, 48. Zusammen mit Axel Richter, Leiter des Kunsthauses am Schüberg in Ammersbek, und Metta Braake, Leiterin der Ahrensburger Künstlervereinigung Kunstraum, baut er aus den imposanten Einzelteilen auf dem Rasen neben der Schlosskirche seine Skulptur namens Über-See zusammen. Anlässlich des Jubiläums im kommenden Jahr – vor 700 Jahren ist das Dorf Woldenhorn erstmals urkundlich erwähnt worden – soll das Kunstwerk Ahrensburg verschönern.

Bislang stand die Skulptur rund drei Monate vor dem Gebäude des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ in der Hamburger HafenCity. Am Montagabend begann der Umzug des Kunst-Kolosses von der Millionen- in die Schlossstadt. Mit Lastwagen und Anhänger fuhren Rigorth und Richter nachts nach dem Abbau die Einzelteile die rund 30 Kilometer nach Ahrensburg. Ganz in die Nähe des Entstehungsortes von „Über-See“. Die Skulptur hatte Rigorth im Juli nämlich im Ammersbeker Kunsthaus am Schüberg innerhalb von zwei Wochen gefertigt – zeitgleich mit drei weiteren Kunstwerken, die gemeinsam unter dem Motto Sehnsucht stehen und in Hamburg ausgestellt wurden: „Heimat“ von Nikola Dormagen an der St. Jacobi-Hauptkirche, „Sehnsucht“ von Uwe Schloen an der St. Pauli Kirche und „Erinnerung“ von Axel Richter an der Hauptkirche St. Petri.

Die Stämme von 18 Douglasien, eine Nadelbaumart aus Nordamerika, haben die Künstler unter anderem für die Skulpturen verwendet. Auch die Flechtungen an Roger Rigorths Skulptur „Über-See“ sind – wie der Name des Kunstwerkes erahnen lässt – exotischen Ursprunges. Neben den Kokosschnüren aus Indien hat Rigorth Eisenstäbe verwendet.

„Die Skulptur steht für Welthandel und Fernweh“, sagt der Künstler. So könne der Holzpfahl in der Mitte einen Segelmast symbolisieren, die drei eierförmigen Konstrukte an Reusen für Fischfang auf hoher See erinnern, sagt er. Es gehe aber nicht nur um Seemänner-Sehnsucht und Schiffsreisen in ferne Länder, auch kritische Gedanken an Hochseehandel seien beim Anblick von „Über-See“ denkbar, sagt Künstlerkollege Axel Richter – wegen Heinrich Carl von Schimmelmann (1724 bis 1782) etwa, der mit Hamburg genau wie mit Ahrensburg verwoben und als einer von vielen Antihelden des Kolonialismus in die Geschichte eingegangen ist. Der Kaufmann erlangte mithilfe von Sklavenhandel großen Reichtum und stieg in den dänischen Adel auf. 1759 kaufte er das Ahrensburger Schloss sowie das Gut Wandsbek.

Es gehe aber auch um Ästhetik, da sind sich die Künstler einig. Die Umgebung mit der Grünfläche und den Bäumen, der geschwungene Verlauf der angrenzenden Straße Am Alten Markt: „Die Fläche neben der Ahrensburger Schlosskirche ist ein ganz toller Ort für die Skulptur“, sagt Richter. Es sei schön, dass die Stadtverwaltung so unkompliziert auf den Vorschlag der Künstler reagiert habe, „Über-See“ an der Schlosskirche aufzubauen, sagt er. Wohl auch, weil dort der Publikumsverkehr nicht abreißt. Während sich Rigorth, Richter und Braake nach einer Verschnaufpause wieder an den Aufbau von „Über-See“ machen, bleiben etliche Ahrensburger stehen, um zu schauen, was für ein Gebilde dort im Herzen ihrer Stadt wächst. Und das Wachstum von „Über-See“ geht für ein Künstler-Trio bemerkenswert technisch vonstatten: Axel Richter lenkt den Geländestapler über das Grün zum nächstgelegenen Flechtwerk. An ein Seil gehängt hievt er es mit dem Stapleraufsatz in die Höhe. Währenddessen fahren Metta Braake und Roger Rigorth den Sockel, ein Betonklötzchen, mit der Sackkarre neben dem Holzpfahl in die richtige Position. Wenige Minuten später ruht das runde Konstrukt auf dem Sockel und wird von Künstler Rigorth mit drei Nägeln an dem Mast befestigt.

Eingespielt, wie sie arbeiten, könnte der Betrachter meinen, die drei Künstler bauten täglich gemeinsam Skulpturen auf und ab. Kräftezehrend ist die Arbeit dennoch: Bevor nach etwa drei Stunden Arbeit die dritte und letzte Riesenkugel an dem Mast befestigt wird, gibt es erst mal Stärkung.

Um 11 Uhr sind die letzten Schrauben und Halterungen festgezogen und die Skulptur bereit für die Augen der Ahrensburger und die Widrigkeiten der kalten Jahreszeit.

Für die Ewigkeit ist der Aufbau der Skulptur „Über-See“ allerdings nicht. Bis Mai kommenden Jahres soll sie in Ahrensburg bleiben. Dann zieht sie weiter. Wohin die Reise geht, das will Künstler Roger Rigorth zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht verraten. „Es gibt einige Interessenten, aber da ist noch nichts in trockenen Tüchern“, sagt er. Zudem könne es auch sein, dass sich ein Kunstsammler so sehr für „Über-See“ begeistere, dass er die Skulptur kaufen möchte.

Wie viele Scheine ein kunstbegeisterter Interessent mit viel Platz für das Kunstwerk mit einem Durchmesser von rund sieben Metern auf den Tisch legen müsste – auch das bleibt Roger Rigorths Geheimnis. Vorerst.