Ahrensburgerin singt und tanzt auf der Bühne des Hamburger St. Pauli Theaters. Titel des Revue: Heaven can wait

Ahrensburg. „Der Herr Scheibe ist einfach toll. So dynamisch.“ Sigrid Steinweg gerät ins Schwärmen. Und das mit ihren 76 Jahren. Und das, obwohl die Ahrensburgerin auch noch deutlich älter ist als Herr Scheibe. Und wenn schon. Der Altersunterschied spielt keine Rolle. Das heißt: doch. Allerdings anders als gewöhnlich. Denn der Regisseur hat es regelrecht auf Senioren abgesehen. Je älter und schrulliger, desto besser. Mit dem Kontrollblick, ob auch genügend Falten vorhanden sind und ein echter Typ vor ihm steht, hat er sich die Truppe für seine Rock- und Pop-Revue im Hamburger St. Pauli Theater zusammengesucht – und auch Sigrid Steinweg auserkoren.

„Ich bin genommen worden. Welch’ ein Erlebnis“, sagt die 76-Jährige, die das immer noch nicht fassen kann und die dieses Erlebnis genauso findet wie Herrn Scheibe: „Einfach toll.“ Jetzt gehört die Ahrensburgerin zum munteren Ensemble von 31 Chorsängern, die rund 2000 Jahre auf die Bühne bringen, goldene Hits singen und sich bewegen und drehen und wenden, was das Zeug hält. 25 Nummern haben die Alten einstudiert. Die Alten. Woanders klingt das abfällig. Hier ist es ein Gütesiegel. „Wir haben die 25 Stücke alle auswendig drauf. Mit Choreografie“, sagt Sigrid Steinweg und guckt dabei durch ihre Brille, als wollte sie sagen: Das müssen die Jungen erst einmal nachmachen.

Die Alten stehen aber auch für einen Trend und damit für ein neues Kunst-Genre. Die „Calender Girls“ haben es schon vor Jahren ungeniert vorgeführt, wozu die Rentnergeneration fähig ist. Wie sagt Herr Scheibe: „Die Alten sind auf dem Vormarsch. Sie haben keine Lust mehr, ihre Tage beim Entenfüttern im Park und im Schaukelstuhl zu verbringen.“ So steht es auf dem Flyer für sein neues Stück, das passenderweise „Heaven can wait“ heißt. Nach dem Motto: Noch sind wir da. Der da oben im Himmel muss sich noch gedulden. Eine kecke Ansage an die höhere Macht, der die ausgelassene Rasselbande 70 plus Lieder wie „Leider geil“ entgegenschmettert. Dem Publikum gefällt’s. Die Premiere war umjubelt.

„Was wir machen, ist so erfolgreich“, sagt die Ahrensburgerin begeistert. Und auch ganz schön stressig. Rund 60 hatten sich beworben. Rund 40 wurden genommen. Rund 30 haben „überlebt“. Und die singen nun „Staying alive“, „Schüttel Deinen Speck“ und so richtig schön soulig im Stil von Sexmachine James Brown „I feel good.“

Im Juni hatten die Proben angefangen. Dreimal die Woche, immer vier Stunden am Stück.. „Und wie der Herr Scheibe mit uns gearbeitet hat! So was von präzise. Das können Sie sich nicht vorstellen“, sagt Sigrid Steinweg. Genauso akkurat und pflichtgetreu packte sie morgens ihre Noten und ging um neun aus dem Haus. Erst gegen vier war sie zurück. In der Woche vor der Premiere war selbst ein Schläfchen am Nachmittag nicht mehr drin. „Ich bin ja erst jeden Tag um Mitternacht nach Hause gekommen“, sagt die 76-Jährige und strahlt dabei. „Einfach toll.“

Dass sie kein Solo bekommen hat, fand sie nicht ganz so super. Sie hatte sich schon auf ein Lied gespitzt: „Hurra, das Augustinum brennt!“ Daraus wurde nichts. Ihre Stimme war okay. Ihr Aussehen stimmte nicht: zu frisch, zu hübsch und viel zu solide. „Man nimmt dir den Text einfach nicht ab“, hatte Herr Scheibe gesagt. Siegrid Steinweg war geschockt. „Und das mir. Wo ich doch schon so ein verrücktes Huhn bin.“ Ihre hartnäckigen Fragen in der Stadtverordnetenversammlung sind legendär. Auch in der Kirche ist sie engagiert. So leicht nimmt man dieser Dame die Butter nicht vom Brot.

Herr Scheibe ließ sich nicht beirren. „Na ja“, sagt die 76-Jährige. „Er hat den Publikumsblick. Die schrulligsten Typen hat er rausgestellt. Einer ist sogar mit Krücken auf der Bühne.“ Solche Gehhilfen sind für die Ahrensburgerin kein Thema. Mit kurzen, schnellen Schritten und einer Umhängetasche, in der sie ihr mobiles Büro untergebracht hat, eilt sie durch die Schlossstadt. Ein Griff, und schon hat sie Fotos der Rock- und Pop-Revue rausgeholt. Um zu beweisen, was die Alten alles so zuwege bringen, hat sie auch die Notizen über die Bewegungsabläufe dabei. „Lasso. Winken. Arm-Gesten“ steht neben dem Song „Viva la vida“. Das Leben muss eben mit dem richtigen Schwung gelebt werden. Und das sollen die Zuhörer auch sehen. Und bei „Sexy“ müssen die alten Herrschaften in die Vollen gehen: klatschen, Hände auf die Oberschenkel legen, Ellenbogen beugen. So bekommt der Song von Westernhagen eine Note der Extraklasse.

Auch „individuell tanzen“ wird von der Großeltern-Generation gefordert: zum Vers schnippen, mit dem Kopf nicken, nach vorn schauen, nach hinten schauen, den Körper verdrehen – und die Fuck-You-Faust bilden. Das sind deutliche Ansagen. Den Alten macht’s Spaß. Wer sehen will, wie viel, und die ersten Vorstellungen versäumt hat, kann die Show im November sehen.

Ende Oktober beginnen die Wiederaufnahme-Proben. „Ich freu’ mich schon drauf“, sagt die 76-Jährige. Dann wird sie wieder das rote Kleid für den Auftritt überstreifen und den Jungen zeigen, was ’ne Harke ist.

Dass sie kein Solo hat, wurmt sie immer noch ein bisschen. Aber sie weiß sich zu trösten. „Ich bin Sopran. Und der steht immer in der ersten Reihe.“