Bürgerbeauftragte des Landes kritisiert, dass Behörden im Kreis Stormarn von sich aus ein aktuelles Urteil nicht berücksichtigten.

Bad Oldesloe. Viele Hartz-IV- und Sozialhilfeempfänger in Stormarn bekommen nach Überzeugung der Bürgerbeauftragten des Landes, Birgit Wille, zu wenig Geld: Jobcenter und Kreissozialamt übernähmen die sogenannten Kosten für die Unterbringung nicht vollständig. Sie zahlten also weniger Miete, als die Wohnungen der Bedürftigen tatsächlich kosten dürften. Und das geschehe nicht nur zu Unrecht, so Wille, sondern ihrer Einschätzung nach auch ganz bewusst, denn: "Jobcenter beziehungsweise Sozialamt werden meiner Kenntnis nach zurzeit nur tätig, wenn konkrete Anträge oder Widersprüche eingehen."

Die Zahl der mutmaßlichen Betroffenen schätzt Wille auf einige Hundert. Für die Bürgerbeauftragte - sie ist vom Landtag gewählt worden, sie soll vermitteln und helfen, wenn sich Bürger von Behörden falsch behandelt oder im Stich gelassen fühlen - ist das Vorgehen der Stormarner Behörden "sehr bedauerlich und so nicht weiter hinnehmbar". Sie hat nun einen Brief an Landrat Klaus Plöger geschrieben, auf den aus ihrer Sicht bestehenden Missstand hingewiesen und schnelle Abhilfe gefordert.

Wille beruft sich auf einen Beschluss des Sozialgerichts Lübeck (Az.: S 29 AS 1026/12 ER), der am 15. November vergangenen Jahres ergangen ist. Darin stellen die Richter fest, dass die im Kreis Stormarn angewendeten sogenannten Mietrichtwerte nicht auf einem "schlüssigen Konzept" beruht haben, und empfehlen den Behörden in Stormarn, sich an der Wohngeldtabelle zuzüglich eines zehnprozentigen Aufschlags zu orientieren. "Das ist für die Bürger durchweg günstiger", meint Birgit Wille.

Den Richterspruch als Basis genommen, darf eine Wohnung für einen Ein-Personen-Haushalt beispielsweise in Ahrensburg, Bargteheide, Barsbüttel und Reinbek 423,50 Euro kalt kosten. Bei zwei Personen erhöht sich dieser Betrag auf 514,80 Euro, ein Drei-Personen-Haushalt hat Anspruch auf eine höchstens 611,60 Euro teure Wohnung, und für einen Haushalt mit vier Personen werden 713,90 Euro gezahlt. In Bad Oldesloe liegen die Sätze bei 393,80 Euro (eine Person), 478,50 Euro (zwei Personen), 568,70 Euro (drei Personen) und 660 Euro (vier Personen).

Viele Hartz-IV-Empfänger decken nach Willes Erfahrung die Differenz zwischen der tatsächlichen Miete für ihre Wohnung und dem Betrag, den die Behörden überweisen, aus ihrem sogenannten Regelsatz ab - aus dem Budget also, aus dem sie eigentlich ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen. "Das ist verständlich, weil viele ihr gewohntes Lebensumfeld nicht aufgeben möchten" sagt sie. Umso wichtiger sei, dass sie auch das Geld bekämen, das ihnen zustehe. "In manchen Fällen mag es vielleicht nur um zehn, 20 oder 30 Euro im Monat gehen", sagt sie, "doch für Menschen mit geringen Bezügen ist das viel Geld: Von zehn Euro muss mancher drei Tage lang leben."

Die Behörden im Kreis Stormarn müssten die Bürger offensiv informieren, dass sie möglicherweise besser gestellt sein könnten, fordert Wille. Solange das nicht geschehe, müssten möglicherweise betroffene Menschen von sich aus aktiv werden: "Ich rufe alle Betroffenen auf, ihre Bewilligungsbescheide zu überprüfen und ihre Rechte wahrzunehmen." Es gebe die Möglichkeit, beim Leistungsträger einen Überprüfungsantrag zu stellen, um so eine - auch rückwirkende - Überprüfung der berücksichtigten Wohnkosten bis zum 1. Januar 2012 zu erwirken; Paragraf 44 des zehnten Sozialgesetzbuchs regele eine solche Überprüfung. Wille: "Mir sind bereits mehrere Fälle bekannt, in denen betroffenen Familien auf diesem Wege mehrere Hundert Euro zurückerstattet worden sind."

Unabhängig davon müsse auch für den Kreis Stormarn ein schlüssiges Konzept für die Höhe der Mietenkosten entwickelt werden, die für Hartz-IV- und Sozialhilfeempfänger angemessen erscheinen - ein Konzept, wie es das Bundessozialgericht gefordert und das Sozialgericht Lübeck in Stormarn vermisst hat. "Es geht dabei um Richtwerte, die die Kreise entwickeln müssen und die sich am untersten Marktsegment entwickeln." Dabei müsse das gesamte Mietpreisgefüge in einer Region ebenso berücksichtigt werden wie deren soziokulturelle Situation. Soll heißen: Im wohlhabenden Hamburger Speckgürtel ist eben alles etwas teurer, auch die Wohnungen für Hartz-IV-Empfänger. Wille: "Trotzdem darf es natürlich nicht ins Uferlose gehen."