Vorsitzender der Glinder Stadtvertretung klappert für die Tafel Lebensmittelgeschäfte ab - nur eine seiner vielfältigen ehrenamtlichen Betätigungen.

Glinde. In regelmäßigen Intervallen blickt Rolf Budde an diesem Vormittag auf seine Uhr, so etwa alle zehn Minuten. Der Faktor Zeit spielt in seinem Leben eine wichtige Rolle. Früher, jetzt und wohl auch in Zukunft. "Wir sind voll im Plan", sagt Glindes neuer Bürgervorsteher, der auf dem Beifahrersitz des Mercedes Sprinter Platz genommen hat, zum Mann am Steuer. Dort tritt Wolf-Dieter Bode, 72 und Vorsitzender des Heimat- und Bürgervereins, die Kupplung, schaltet in den ersten Gang - und runter geht's vom Hof der Bäckerei Meyns in der Humboldtstraße. Hinter ihnen, auf der Ladefläche des Leihfahrzeugs, stapeln sich zwei Dutzend Plastikkisten. Vier davon sind bis oben hin mit Brot bestückt, die anderen leer. Noch. In den kommenden Stunden wird sich das ändern. Denn die beiden Rentner haben weitere Supermärkte, Fleischer sowie Bäckereifilialen auf ihrer langen Liste stehen.

Budde, 68, ist heute für die Glinder Tafel im Einsatz. Er sammelt Lebensmittel für Hilfsbedürftige ein. Einmal pro Monat macht er das. Drei Touren von 8.45 bis 14.30 Uhr. "Dann müssen wir spätestens zurück sein, weil im Gutshaus noch umsortiert wird und um drei die Ausgabe ist." Deshalb habe man Zeitfenster für jede Strecke. Alles ist genau getaktet.

Doch selbst wenn es mal knapp wird: Von Hektik ist beim Glinder Bürgervorsteher keine Spur. Zu viele brenzlige Situationen musste er in seinem Leben bisher meistern, als dass ihn ein Stau aus der Ruhe bringen könnte. Sei es während seiner Zeit bei der Feuerwehr, deren Mitglied er seit 42 Jahren ist, oder in seiner früheren Funktion als CDU-Fraktionsvorsitzender der Stadt.

Budde ist einer, der für andere Menschen da ist, vor allem schenkt er ihnen seine Zeit. "Ich würde nie in ein Freizeitloch fallen", gesteht der Rentner. Wie auch? Feuerwehr, Bürgervorsteher, Glinder Tafel, dazu hier und da mal ein Extraeinsatz. So wie neulich auf dem Friedhof, als er die Kapelle in Eigenregie von innen und außen komplett renoviert hat. Die Farbe bekam er von der Stadt gestellt. Als nächstes seien die Holzbänke dran, "die brauchen dringend einen neuen Anstrich." Dieser Mann lebt soziales Engagement. "Auf 40 Stunden pro Woche für das Ehrenamt komme ich schon", sagt Budde, Inhaber des Deutschen Feuerwehr Kreuzes in Gold, der höchsten Auszeichnung. Darauf sei er stolz.

Inzwischen ist das Fleisch verstaut. Zwei Kisten hat die Putenräucherei Wentorf diesmal gespendet. Die Ware ist eingeschweißt. Frisches Fleisch, Fisch, Eier und angeschnittene Brote dürfen Budde und Bode nicht annehmen, wegen der Hygiene. "Aber demnächst kriegen wir einen Kühlwagen, dann geht das auch", sagt Bode. Rund 30.000 Euro sind dafür an Spenden zusammengekommen, 6000 Euro hat die Tafel selbst draufgelegt. Budde schaut auf die Uhr. "Sieht gut aus", sagt er. Das nächste Ziel ist ein Supermarkt in Lohbrügge, danach folgt die Bergedorfer Tafel.

Und wenn die Hauptstraße mal dicht ist? Kein Problem. Budde kennt viele Schleichwege. Der Hamburger Osten und der Kreis Stormarn sind sein Revier. Seit 1969 wohnt der gelernte Raumausstatter in Glinde, geboren wurde er in Detmold in Nordrhein-Westfalen. Und eigentlich hatte er nicht geplant, seine Heimat zu verlassen. Doch wie es der Zufall nun mal so will, kam alles anders. Während eines Urlaubs in Hamburg lernte Budde Mitte der 60er-Jahre im Oststeinbeker Tanzlokal Behn eine junge Dame kennen, seine Ragna.

Es funkte sofort. Kurz darauf wurde geheiratet, die Söhne Christian und Carsten kamen zu Welt. "Eigentlich sollte ich damals für vier Jahre als Zeitsoldat in die USA gehen. Aber dafür hatte ich dann keine Zeit mehr", sagt Budde ganz nüchtern. Die Liebe zu seiner Frau, 68, hält bis heute. "Mein ganzer Einsatz für das Ehrenamt, die vielen Stunden - das ist alles nur möglich, weil meine Ragna mich unterstützt. Deshalb müssen alle meine Auszeichnungen durch zwei geteilt werden."

Die Arbeit für die Bürger sei ihm eine Herzensangelegenheit, betont der rüstige Rentner. Wobei ihm das eigene Herz beinahe einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte. 1998, auf dem Urlaubsheimflug von Kreta nach Hamburg, ereilte Budde der zweite Herzinfarkt. Er hätte ihn fast das Leben gekostet: Notlandung in München, Notoperation im Klinikum - Budde sah schon ein gelbes Licht am Horizont und fremde Stimmen seinen Namen rufen. "Ich kann mich noch ganz genau daran erinnern. Ich war schon weg von dieser Welt, das war aber ein schönes Gefühl. Deshalb habe ich auch keine Angst vor dem Tod", sagt Budde in seiner scherzhaften Art und streckt den Zeigefinger gen Himmel. "Dank der mangelnden Logistik da oben bin ich noch hier."

Hier und jetzt bedeutet für Budde in diesem Moment Hamburg-Bergedorf. So gerade eben quetscht Fahrer Bode den Sprinter in die noch verbliebene Parklücke vor den Räumlichkeiten der dort ansässigen Tafel. Budde eilt mit einem Korb Putenfleisch in den Keller. "Hallo Frau Weinzierl, alles gut?", ruft er. Um ihn herum herrscht reges Treiben. Ein Dutzend Helferinnen in grünen Shirts packen eifrig Kisten um. Inge Weinzierl lächelt und nickt. Man kennt und schätzt einander, tauscht Lebensmittel aus. Diesmal erhalten die Glinder sechs Kartons Joghurt. Leider ist der Schinken noch nicht in Bergedorf eingetroffen. "Warten können wir jetzt aber nicht mehr", sagt Budde.

Auch an diesem Tag bleiben die beiden Glinder wieder einmal im Plan. Am späten Nachmittag, wenn die Nahrungsmittel im Gutshaus an die mehr als 100 Hilfsbedürftigen verteilt sind, liegen bereits sieben Stunden Arbeit hinter Budde. Jetzt endlich die Füße hochlegen und ausruhen? Nicht wirklich. "Dafür habe ich keine Zeit", sagt Rolf Budde. In 45 Minuten muss Glindes Bürgervorsteher im Rathaus sein. Dann hat er Sprechstunde.