Der Bargteheider Dietrich von Horn schildert in seinem neuen Buch, wie es im Inneren eines Pädagogen aussieht.

Bargteheide. Dietrich von Horn hat sein drittes Buch vorgelegt. Die Dinge überschlagen sich, seit der pensionierte Lehrer 2012 den Romanwettbewerb des Hamburger Abendblatts gewann. Einer seiner Beiträge schaffte es jüngst in das Literaturmagazin "Krachkultur", von dem "Die Zeit" schrieb, es sei "eine Hoffnungswiese der Literaturrevolution". Nun zählt der Bargteheider also zu den jungen Wilden der Literaturszene. "Und das mit 68", sagt er amüsiert. Aber das passt - für ein "Kind" der 68er-Generation. Jetzt hat der Pädagoge "111 Gründe, Lehrer zu sein" aufgeschrieben. Das Abendblatt sprach mit ihm über das neue Buch, über seine eigene schlimme Schulzeit, über heftige Vorurteile gegenüber Lehrern und darüber, was Schule bewirken sollte.

Hamburger Abendblatt: War Lehrer Ihr Traumberuf?

Dietrich von Horn: Nein. Ich wollte Holzfäller in Kanada werden.

Wenn das geklappt hätte, wären Sie jetzt vielleicht ein alter Zausel irgendwo in den Bergen und nicht ein ehemaliger Lehrer mit einer guten Pension.

Von Horn: Vielleicht. Vielleicht hätte ich es aber auch gar nicht ausgehalten und gleich nach Mama gerufen. (lacht)

Statt Holz zu fällen, haben Sie 35 Jahre an einer einzigen Schule unterrichtet. Wie haben Sie das denn ausgehalten?

Von Horn: Ich habe mich wohlgefühlt. Auch wenn es nicht immer einfach war.

Man hört, Sie waren beliebt.

Von Horn: (zuckt verlegen mit den Schultern) Auf jeden Fall wechseln ehemalige Schüler nicht die Straßenseite. Und ich habe nette Briefe bekommen. Einen habe ich im Buch abgedruckt. Ein Junge schreibt mir, er hätte das Fachabitur ohne mich nicht geschafft. Ich sei die einzige Person, die er als Mentor betiteln würde. Das freut mich natürlich.

Es gab bestimmt auch andere Schüler.

Von Horn: Sicher gab es auch welche, die sich gesagt haben, was ist das denn für ein Dussel. Aber Stringenz muss sein. Beliebigkeit ist nicht die Lösung für pädagogische Probleme.

Hatten sie einen Spitznamen?

Von Horn: Ja, Hörnchen (lacht).

Das klingt liebevoll. Trotzdem haben Lehrer ein miserables Image.

Von Horn: Das sind Vorurteile. Und es ist Neid auf die langen Ferien. Außerdem hat jeder Erfahrung und glaubt, mitreden zu können.

Ärgern Sie sich darüber? Als 79. Grund, Lehrer sein zu wollen, schreiben Sie, "weil ihn Kritik von außen nicht trifft".

Von Horn: Wenn unter dem Deckmantel der Satire über Lehrerrüden geschrieben wird, die sich unter dem Tisch kratzen, oder von der Lehrertussi, die in die "Brigitte" starrt, finde ich das nicht toll. Im "Witzigsten Vorlesebuch der Welt", das von Jürgen von der Lippe herausgegeben wurde, steht außerdem, dass der Lehrer in den zehnwöchigen Ferien in sein fahrendes Scheißhaus, sprich Wohnmobil, krabbele und durch Südfrankreich kurve. Mit 45 sei er dann ausgebrannt, kriege eine Schülerallergie und sinne auf Berufsunfähigkeit. Das ist mir ein bisschen zu billig.

Sie ärgern sich also doch. Könnte es sein, dass es für viele in der Schule nicht so gut läuft wie bei Ihnen, und sie schlecht über Lehrer sprechen, weil sie unter ihnen gelitten haben?

Von Horn: Das ist möglich.

Wie war denn Ihre eigene Schulzeit?

Von Horn: Katastrophal. Ich träume noch heute davon, dass ich nicht gelernt habe und alles falsch mache. In meiner Dorfgrundschule wurden noch die Klassen eins bis vier gemeinsam unterrichtet. Unter den Lehrern gab es ehemalige Nazis, die rumgebrüllt und einen fertiggemacht haben. Entweder sagt man sich danach: Schule tue ich mir nie mehr an. Oder man versucht, es besser zu machen. Für mich war das eher Motivation. Denn die Veränderung der Gesellschaft geht nur über die Jugend.

Für viele ist es ein gerader Weg zum Lehrerleben. Für Sie auch?

Von Horn: Nein. Eigentlich sollte der Junge ja auf die höhere Schule. Aber ich war einfach zu blöd. Und die Zeit auf der Realschule war auch kein großer Erfolg.

Waren Sie auch frech?

Von Horn: Nein. Ich habe alles getan, was die Lehrer wollten. Aber wenn ich vorn stand, konnte ich das Gedicht plötzlich nicht mehr. Das ist wie überall: Nach oben biedert man sich an. Und auf die Schwachen haut man drauf. Dabei soll Pädagogik ermutigen und nicht demütigen.

Wie ging Ihre Schulkarriere weiter?

Von Horn: Zunächst gar nicht. Ich habe eine Verwaltungslehre gemacht. In Ermangelung einer besseren Idee. Das war furchtbar. Danach ging ich zur Bundeswehr. Ich fand das interessant, weil es um pädagogische Fragen ging. Man lernte, wie man Menschen führt. Man musste Unterricht geben. Das machte mir Spaß und löste wohl den Impuls aus, Lehrer zu werden. Anschließend habe ich jedenfalls die Wirtschaftsoberschule besucht und mein Abitur nachgemacht. In Kiel. Endlich raus aus dem Dorf. Und in Kiel habe ich auch an der Pädagogischen Hochschule studiert.

In Ihrem neuen Buch zählen sie 111 Gründe auf, die dafür sprechen, Lehrer zu sein. Das sind ganz schön viele.

Von Horn: Stimmt. Ich wusste auch nicht, ob mir genug einfallen würden. Aber dann habe ich den Vertrag unterschrieben und mich unter Zeitdruck gesetzt. In einem halben Jahr musste ich fertig sein. Und das ging. Auch deshalb, weil das Buch nicht todernst ist. Manche Gründe sind reichlich abwegig.

Nämlich?

Von Horn: Na ja, Grund 62 zum Beispiel. "Weil der Lehrer gern 'Wer wird Millionär' mit Günther Jauch guckt". Oder Grund 69: "Weil sich der Lehrer nicht immer mit seiner Lebensgefährtin am Frühstückstisch über Schule unterhält". Das ist natürlich Quatsch. Aber das Buch soll auch unterhalten.

Welchen Grund finden Sie am wichtigsten?

Von Horn: Entscheidend ist, dass ein Lehrer den Schüler beeinflussen kann. Ich wollte immer eine Lebenseinstellung rüberbringen.

Welche?

Von Horn: Es geht darum, die Wahrheit zu erkennen. Sich selbst zu entdecken und selbstbestimmt zu leben. Ich weiß, dass das im Hauptschulbereich nicht so einfach ist. Das muss man als Lehrer begreifen und trotzdem weitermachen.

Auch der Lehrer muss authentisch sein.

Von Horn: Unbedingt. Er schafft das, indem er nicht nur die Lehrpläne erfüllt, sondern etwas von seiner Persönlichkeit einbringt und seine Hobbys zum Thema macht. Einer meiner Lehrer war Imker. Wir sind mit ihm zu seinen Bienenstöcken gegangen und wurden reichlich gestochen. Das war klassisches Lernen aus der Anschauung. Ich hatte als Lehrer eine Dunkelkammer eingerichtet und mit den Kindern fotografiert. Vor Kurzem ist das alles weggeschmissen worden. Das tat weh. Aber jetzt ist digitale Fotografie gefragt. Es ändert sich eben vieles.

Was würden Sie im Schulsystem ändern?

Von Horn: Ich würde ein bundesweites Kultusministerium einrichten, damit diese Länderpfuscherei ein Ende hat. Warum hat Hamburg vier Grundschuljahre und Berlin sechs? Als Ex-Bürgermeister Ole von Beust das ändern wollte, hat er die Wahl verloren. Ich wäre für sechs Jahre, weil das gemeinsame Lernen so unglaublich wichtig ist.

Was sagen Sie zum Abschneiden der deutschen Schüler bei der Pisa-Studie?

Von Horn: Es kann nicht immer nur um abfragbare Leistungen gehen. Wissen Sie, was Glücksmomente für Lehrer sind? Wenn ein Schüler sagt: "Die Stunde ist schon zu Ende? Wie schade!" Wenn ein Schüler, der immer zu spät kommt, pünktlich ist. Und wenn ein Schüler, der zu Gewalt neigt, um ein Gespräch bittet.

Haben Sie jemals bereut, Lehrer geworden zu sein?

Von Horn: Nein. Gerade in der Rückschau für dieses Buches habe ich festgestellt: Ja. Das war der richtige Beruf.