Die Siedlung Am Hagen wurde vor 80 Jahren gegründet. Vier Kilometer vom Zentrum der Schlossstadt entfernt hat sie immer noch ein Eigenleben

Ahrensburg. Sie haben es errichtet wie die ersten Bewohner der Siedlung ihre Häuser: das Gebäude des Jugendtreffs im Ahrensburger Stadtteil Am Hagen. Da das Geld der Stadt nur für das Baumaterial ausreichte, legten die Hagener selbst Hand an. Die 108 Helfer sind auf einem Spendenbaum am Eingang des roten Backsteinbaus genannt. "Das ist hier das gallische Dorf von Ahrensburg", sagt der Leiter des Jugendtreffs, Jan Hitzeroth.

Schon als das Gebäude 2006 eröffnet wurde, verglich er den unbeugsamen Willen der Siedlungsbewohner mit der Mentalität von Asterix und seinen Gefolgsleuten. Was vor ein paar Jahren wie ein Aufbegehren gegen Habgier und Vereinzelung erschien, wurde in den Anfangsjahren der Siedlung freilich ganz anders gesehen.

1933 hatte der Reichsverband der Kleingärtner im Auftrag des Hamburger Senats vom Grafen Carl-Otto von Schimmelmann das 64 Hektar große Areal erworben. Ideeller Träger der Siedlung, in der vorrangig Arbeitslose leben sollten, war der "Stahlhelm", ein antidemokratischer Bund ehemaliger Frontsoldaten des Ersten Weltkrieges. Den ersten Spatenstich vollzog denn auch dessen Gründer Franz Seldte am 10. Dezember des Jahres. Da war er schon Arbeitsminister unter Hitler, der gleich nach seiner Machtergreifung begonnen hatte, Deutschland in nationalsozialistischem Sinne gleichzuschalten.

"Die ersten Siedler waren überwiegend Parteimitglieder", sagt Taxiunternehmer Edgar Haaks, 82. Erzählt hat ihm das sein Vater Hermann, der 1934 an den Hagen zog. Da war Edgar Haaks im dritten Lebensjahr. "Viele wurden für den Bau der Autobahn zwischen Hamburg und Lübeck herangezogen", erzählt Haaks weiter, so auch sein Vater. Der habe bis zum Ausbruch der Finanzkrise 1929 mehrere Lokale in Hamburg gehabt. "Als dann die Weltwirtschaftskrise einsetzte, ging er pleite." Die Siedlung aufzubauen, sei für ihn einem "Selbsterhaltungstrieb entsprungen."

3170 Reichsmark mussten Siedler wie Hermann Haaks für die neue Bleibe in bar aufwenden - damals fast das Zwanzigfache eines Bruttolohns für einen Facharbeiter. Und sie verpflichteten sich, 350 Tage die Häuser mit aufzubauen. Die Wohnungen in den 136 Doppelhäusern, die bis Herbst 1934 errichtet wurden, waren mit 60 Quadratmetern recht klein. Das Wasser musste aus Pumpen herbeigeschafft werden. Dafür waren die Grundstücke mit rund 2500 Quadratmetern recht groß. Auf ihnen sollten die Siedler Gemüse und Obst anbauen sowie Hühner, Kaninchen und Schweine halten, um sich selbst zu versorgen.

"Ende der 1950er Jahre wurden die ersten An- und Neubauten errichtet", erinnert sich Christa Kuhl. Als Kind war die heute 76-Jährige noch durch die Gärten getobt, die noch nicht durch Zäune voneinander getrennt waren. Kuhl lebt im Haus ihrer Eltern am Erikaweg, der einmal nach dem Kampfpiloten Richthofen benannt worden war. Auch Kuhls 55 Jahre alte Tochter Gabi Dührkop, die die Waldnähe an der Siedlung liebt, wohnt dort. "Man kennt sich hier. Ich treffe auch viele Schulkameraden", sagt sie. Nebenan hat Kuhls Schwester Bärbel Flier, 73, ein Haus.

Die einst großen Grundstücke werden längst nicht mehr für Ackerbau und Viehzucht genutzt. Sie sind auch Grund und Boden für Bauten der Kinder und Kindeskinder der ersten Siedler geworden. Das mag das Zusammengehörigkeitsgefühl erklären, das Bärbel Flier wenigstens unter den älteren Bewohnern und deren Kindern erkennt.

Durch die Aufteilung der Areale entstanden die für den Hagen charakteristischen "Pfeifenstielgrundstücke" mit langen Zufahrten. "Einige Siedler haben aber auch Teile verkauft, um ihre Rente aufzubessern", sagt Haaks.

So kamen zugleich neue Bewohner an den Hagen - und kommen noch. Mehr als 2000 Menschen leben heute dort, mehr als doppelt so viele wie 1936. Und nur noch ein Haus am Sanddornweg schaut noch in etwa so aus wie zu Gründungszeiten.

"Als ich hier 1987 herzog, hatte ich den Eindruck, das Milieu ist eher sozialdemokratisch", sagt Jugendtreffsleiter Hitzeroth. In der Tat war es der SPD-Politiker Jonny Loesch, der nach dem Zweiten Weltkrieg dafür sorgte, dass die Siedlung eine Wasserversorgung erhielt und Busverbindungen zum Ahrensburger Ortskern. Nach etwa zehn Jahren hatte Hitzeroth selbst das Gefühl, ein Hagener zu sein. Aber einer Partei gehört er nicht an.