Nach 33-stündiger Busfahrt kommen 16 ukrainische Jungen und Mädchen in Großhansdorf an. Hier können sie sich drei Wochen lang erholen. Auf dem Programm steht auch ein Besuch beim Bürgermeister.

Großhansdorf. Manche Ereignisse werden so lange erwartet, dass dies im doppelten Sinne gilt. Ein solches Ereignis ist die Ankunft 16 ukrainischer Kinder in Großhansdorf. "Die drei Wochen, die sie hier verbringen, sind die Belohnung für ein ganzes Jahr Arbeit", sagt Leonhard Hollmann vom Verein Pryvit - Hilfe für Tschernobyl-Kinder. Und gefühlt ebenso lange haben die Mitglieder des Vereins am Sonnabend auf den Reisebus gewartet.

Gegen 12.30 Uhr sollte er beim Schullandheim Erlenried ankommen. Wie auch in den vergangenen Jahren hat der Verein Pryvit für Kinder aus den verstrahlten Gebieten um Tschernobyl, wo 1986 ein Atomreaktor explodierte, einen Erholungsurlaub in Stormarn organisiert. Am Sonnabend ist alles vorbereitet, der Koch hat Kartoffelsuppe für das Mittagessen zubereitet, und auf der Facebook-Seite des Vereins ist seit den Mittagstunden ein Foto von einem bezogenen Bett mit darauf sitzendem Teddybär zu sehen. "Warten auf die Kinder", steht darunter. Und die Vereinsmitglieder warten. "Die armen Kinder, sie sind seit Freitag früh unterwegs, und für manche ist es die erste Reise", sagt Wulf Garde, Gründungsmitglied des Vereins. Es wird später, halb zwei, halb drei, halb vier, halb fünf. "Sie stehen irgendwo in der Lüneburger Heide im Stau", sagt Garde. Der ADAC hatte gewarnt: "Rekord-Staus in alle Richtungen." Denn an diesem Wochenende ist Sommerferien-Schluss in Schleswig-Holstein, Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.

Doch plötzlich muss es schnell gehen, der Bus sei auf der Autobahn 1. Leonhard Hollmann, Olga Kushnir und Alexander Fuchs fahren zur Autobahnabfahrt Ahrensburg, um die Gruppe in Empfang zu nehmen. "Wir haben ukrainische Flaggen am Auto, damit der Busfahrer uns erkennt und weiß, wem er folgen muss", sagt Hollmann, "und mit der kleinen Kamera auf dem Dach machen wir Fotos vom Bus. Ihr dürft also nicht hinter uns fahren", sagt er zu Wulf Garde und Kurt Nack, die nun ebenfalls auf dem Seitenstreifen stehen. Wer vorbei fährt, guckt ein bisschen irritiert auf die Versammlung. Plötzlich: "Ein Bus, ein Bus!" Alle setzen sich in ihre Autos. Alexander Fuchs hält eine kleine gelb-blaue Flagge aus dem Beifahrerfenster.

Endlich fährt die Kolonne in die Großhansdorfer Straße Radeland. Die Kinder steigen aus, nach 33-stündiger Fahrt. "Wir haben in diesem Jahr einen Linienbus genommen, das war halb so teurer, als wenn wir einen eigenen Bus gemietet hätten. So haben wir 3000 Euro gespart", sagt Garde. Das ist viel Geld, sowieso, aber vor allem für einen Verein, der den 24.000 Euro teuren Ferienaufenthalt durch Spenden finanziert. "Wir freuen uns sehr auf die drei Wochen", sagt Wulf Garde. "Schön wird der Besuch im Miniaturwunderland Hamburg und in Hagenbecks Tierpark. Die Kinder haben noch nie Giraffen oder Elefanten gesehen."

Zunächst aber werden sie in der Park-Klinik Manhagen medizinisch untersucht, auch Besuche beim Augenarzt und beim Zahnarzt sind eingeplant. Die Kinder leben in Dörfern in der Tschernobyl-Region, die zur sogenannten Zweiten Zone gehören. Der Boden dort ist durch die Nuklearkatastrophe am 26. April 1986 stark verseucht. Die Familien leben trotzdem von dem, was sie dort anbauen, denn Geld für gesundes Essen haben sie oft nicht. Der Verein Pryvit achtet nach eigener Aussage darauf, dass nur die Kinder ausgewählt werden, die die Erholung in Stormarn auch wirklich gebrauchen können. Zudem kommen sie aus sozial schwachen Familien. "In jedem Jahr fahren wir in die Ukraine, um dort darauf zu achten, dass alles richtig läuft, also dass es keinen Betrug bei der Auswahl gibt", sagt Leonhard Hollmann.

Eines der ausgewählten Kinder ist Ilona. Sie ist neun Jahre alt, trägt eine gelbe Schleife im Haar und verreist gerade zum ersten Mal. "Die Fahrt war sehr anstrengend, ich wollte schon gar nicht mehr", sagt sie. "Aber es gefällt mir so gut hier, es ist sehr schön." Die meisten Kinder habe sie erst im Bus kennengelernt, nur Mykola lebe im selben Dorf wie sie. "Heimweh habe ich noch nicht", sagt Ilona. Sie ist ja auch gerade erst angekommen. Sie hat mit den anderen Kartoffelsuppe gegessen und ihre Reisetasche aufs Zimmer gebracht. "Ich mag das Haus", sagt sie. Was wichtig ist für die Zeit in Großhansdorf, ist auf Zettel geschrieben - auf Deutsch und auf Ukrainisch. Sie hängen unter anderem im Speisesaal. "Dort drauf stehen nur die Grundregeln wie Zähneputzen und lieb zueinander sein", sagt Wulf Garde. Das wird den Kindern auch noch mal erklärt, auf Ukrainisch natürlich. Sie sitzen in einem großen Kreis auf einer Wiese am Schullandheim und hören zu. Ihnen wird gesagt, dass sie nicht an den See gehen dürfen, und es wird abgemacht, wer Tischdienst hat am nächsten Morgen. Außerdem erzählt eine Betreuerin, dass es für die beiden ältesten Kinder eine Überraschung gibt: Sie dürfen einen Tag Praktikum bei der Polizei machen. "Eigentlich sind die Kinder, die zu uns kommen, zwischen sieben und 13 Jahre alt, aber in diesem Jahr haben wir für zwei Jungs eine Ausnahme gemacht", sagt Wulf Garde. Der eine sei Waise, der andere habe keinen Vater mehr und einen Bruder mit Behinderung.

Für alle Kinder wird es viel Programm geben. Sie werden singen, Lenkdrachen steigen lassen, den Bürgermeister von Großhansdorf im Rathaus besuchen, sich das Haus der Natur in Wulfsdorf anschauen, in Hamburg mit der Fähre fahren, einen Vormittag mit der Feuerwehr Großhansdorf verbringen, russische Märchen hören und vieles mehr.

Am letzten Abend soll es ein ukrainisches Abschlussfest geben, zu dem alle eingeladen sind, die bei der Planung der Reise geholfen haben. Aber bis dahin ist noch Zeit, drei Wochen. "Wir haben uns sehr auf euch gefreut und wünschen euch eine schöne Zeit", sagt Garde. Und das sagt eigentlich alles.