Wahlkampf in Ammersbek mit Frank-Walter Steinmeier. Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion sieht Umfragen zum Trotz keine Mehrheit für Schwarz-Gelb.

Ammersbek. Mit dem Ende der Ferien hat sie begonnen, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: die heiße Phase des Bundestagswahlkampfs. Das Thermometer zeigte noch mehr als 30 Grad Celsius an, als der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Frank-Walter Steinmeier (SPD), vor dem Dorfgemeinschaftshaus im Ammersbeker Ortsteil Hoisbüttel aus der schwarzen Mercedes-Limousine stieg.

Dort warteten gleich drei seiner Genossen, die sich am 22. September zur Bundestagswahl stellen, auf ihn: Nina Scheer, die im Wahlkreis Lauenburg/Stormarn-Süd antritt, Franz Thönnes, Kandidat im Wahlkreis Segeberg/Stormarn-Nord, und Christian Carstensen, SPD-Direktkandidat für Hamburg-Nord, das Alstertal und die Walddörfer. Nach festen Händedrücken und ein paar lächelnd gewechselten Begrüßungsworten schritten sie in den voll besetzten ehemaligen Pferdestall, unter dessen Dach die Luft noch heißer und drückender war als draußen in der Abendsonne.

Es wäre unfair zu behaupten, auch sinnbildlich wäre vor den mehr als 100 Besuchern nur heiße Luft gewälzt worden. Aber wer sich auf Neues, Überraschendes, Weiterführendes gefreut hatte, wurde weitgehend enttäuscht. Allerdings darf das von solchen Veranstaltungen wohl auch allenfalls in beschränktem Maße erwartet werden. Zunächst einmal bekamen die drei norddeutschen Kandidaten auf der Bühne im Small Talk mit Cornelie Sonntag-Wolgast Gelegenheit, ein paar bekannte SPD-Positionen zu ihren Hauptthemen loszuwerden. Umweltbewusst sprach sich Scheer gegen Fracking aus; Carstensen, der sich insbesondere um Familienthemen kümmert, erntete Applaus, als er gegen das Betreuungsgeld wetterte; und Thönnes warb für die Bürgerversicherung, die die Sozialdemokraten einführen wollen.

Nach rund zwanzig Minuten, in denen sich Steinmeier in vorderster Reihe akklimatisiert hatte, strebte der Oppositionsführer hinter das Holzpult, die Ärmel seines blauen Oberhemdes wie zum Zeichen der Tatkraft aufgekrempelt. Und tatsächlich zeigte er sich in Kampfeslaune, konterte gleich zu Beginn seiner Rede eine neue Umfrage, nach der die Unionsparteien und die Liberalen nun mehr Stimmen erringen als alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien. "Lassen Sie sich nicht von Umfragen verrückt machen, das Rennen ist offen", rief Steinmeier mit fester Stimme dem Publikum zu. Dem Applaus nach zu urteilen bevölkerten weit überwiegend Genossen und Anhänger die Tische, auf denen Bündel roter SPD-Fähnchen die üblichen Blumengestecke ersetzten.

Was nun noch folgte, war so oder so ähnlich schon von Steinmeier und anderen führenden Sozialdemokraten gesagt worden. Dass es Deutschland wieder besser gehe, liege an der Reformpolitik Gerhard Schröders, Angela Merkel und Philipp Rösler hätten sich ins gemachte Nest gesetzt. Die Politik der Bundeskanzlerin sei beliebig, so könne man die größte Volkswirtschaft Europas nicht regieren, dazu müssten vielmehr klare Ansagen gegeben werden. Deutschland sei ein Land politischer Schlafbaustellen geworden, Merkel habe es "ins Koma geplappert".

Natürlich durfte die Rückendeckung für den Kanzlerkandidaten nicht fehlen. "Steinbrück steht für beide Seiten: starke Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit." Es folgten Plädoyers für den flächendeckenden Mindestlohn, die Bürgerversicherung, gegen das Betreuungsgeld, für einen höheren Spitzensteuersatz, für mehr Investitionen in Bildung, mehr Geld für die Pflege - die Kernpunkte des SPD-Programms wurden noch einmal herausgestellt.

Und selbstverständlich durfte auch die Attacke auf die Bundesregierung wegen des NSA-Abhörskandals nicht fehlen. "Wenn ich sehe, wie Merkel vor den USA kuscht, dann erinnere ich mich an Gerhard Schröder, der Nein zum Irak-Krieg gesagt hat", wurde Steinmeier energisch. "Jawohl" und "genau" waren aus dem Publikum zu vernehmen. "Der ganze Konflikt ist ihr egal, solange das keine Auswirkungen auf ihre Umfragewerte hat." Aber würde das etwas an der Abhörpraxis der Amerikaner ändern? Eine von mehreren möglichen Gegenfragen, die sich auch Steinmeier selbst nicht stellte. Aber es war ja auch eine Wahlkampfveranstaltung.

Dann wollte Steinmeier nochmals das Selbstbewusstsein der Genossen stärken. In den 150 Jahren ihres Bestehens habe die SPD bewiesen, dass sie nicht weglaufe, wenn es schwierig werde. "Wir haben auch Fehler gemacht, aber wir haben uns nie so schämen müssen, dass wir unseren Namen hätten ändern müssen", teilte er an die Linke aus, die vormals PDS hieß und aus der SED hervorgegangen war. "Und wir haben immer auf der richtigen Seite gestanden", erinnerte er an die Abstimmung vor 80 Jahren über das Ermächtigungsgesetz Adolf Hitlers, gegen das die Sozialdemokraten als einzige Partei gestimmt hatten.

Am Schluss holten den SPD-Fraktionsvorsitzenden dann doch wieder die jüngsten, schlechten Umfragewerte ein. "Es gibt in diesem Lande keine Mehrheit für Schwarz-Gelb", rief Steinmeier trotzig den Genossen zu. Franz Thönnes hatte bereits ein weißes Handtuch organisiert, damit sich der Redner den Schweiß aus dem Gesicht wischen konnte. Abgerackert verließ der ehemalige Außenminister die Bühne. Das Buhlen um Wählerstimmen hat auch etwas Entwürdigendes. Und dabei dürften ohnehin nur wenig Unentschlossene im Saal gewesen sein.