Brandschützer setzen bei Gewinnung von Nachwuchs zunehmend auf Mitmachtage. Was das bedeutet, hat Abendblatt-Reporter Alexander Sulanke in Barsbüttel vorab ausprobiert.

Barsbüttel. Da steht die Hose! Ihre Beine sind über die Schafte der Stiefel gezogen, der Stoff nach unten aufgekrempelt. Sieht komisch aus, soll praktisch sein: Wer die Stiefel überstreift, zieht die Hose gleich mit an. Spart angeblich Zeit, wenn's mal wieder schnell gehen muss. "Das muss jetzt schnell gehen", ruft jemand. "Beeilung!" Draußen heult eine Sirene. Aber die Reißverschlüsse der Stiefel sind noch offen. "Die Stiefel können Sie auch im Auto zumachen. Schnell jetzt", ruft dieselbe Stimme. Also jetzt schnell Jacke übergestreift, Helm geschnappt, Handschuhe gegriffen. Und losgerannt. Raus aus dem Umkleideraum, einmal links rum, zehn Schritte weit, dann rechts rum in den langen Flur, immer dem Sonnenlicht entgegen, der Tür nach draußen.

Und gleich wieder rein: ins Feuerwehrauto. Irgendjemand hat auf die Uhr geschaut. Eine Minute und 40 Sekunden sind vergangen, seit Timmy Schmidt, 35, vor dem Stellauer Spritzenhaus an einer Handsirene gekurbelt hat - Alarm! Jetzt erscheint eine Verschnaufpause angemessen. Die Wahrheit aber ist: Es geht erst richtig los.

Eigentlich habe ich längst Feierabend, aber die Feuerwehr hat gerufen. In diesem speziellen Fall ist es eine Presseeinladung aus dem Barsbütteler Rathaus gewesen, doch das spielt gerade keine Rolle. Abends oder auch mitten in der Nacht schnell ins Feuerwehrauto zu springen, das gehört zum Alltag für rund 3300 Männer und Frauen, die in den 89 Stormarner Wehren freiwillig Dienst tun. Dass nun jeder mal mitfühlen kann mit diesen Menschen, ist das neueste Marketingkonzept der Feuerwehren, um Mitglieder zu gewinnen. "Mitmachtage" sind das Stichwort, die wenigen, die es bislang in Stormarn gab, waren erfolgreich. "Man zieht die Jacke an und stellt fest: Das kann ich ja", sagt Kreisbrandmeister Gerd Riemann. Und er fügt metaphorisch hinzu: "Manchmal fällt dann ein Streichholz auf trockenes Gras."

Womöglich ist das gerade wirklich passiert, denn es brennt ja. "Also, wir haben ein bestätigtes Feuer. Das werden wir jetzt mal löschen", schreit Arne Meins, 36. Er kniet entgegen der Fahrtrichtung vorn auf dem Beifahrersitz und klammert sich an der Rückenlehne fest. Arno Pöhls, 23, sitzt am Steuer. Der Diesel brummt, das Martinshorn auf dem Dach tatütet und tutet. Wir auf der Rückbank sind eine verwegene Löschgruppe. Die Kollegin Annett Habermann von der "Bergedorfer Zeitung" ist mit dabei, ihr Fotograf Sebastian Mielke und auch die Barsbütteler Pressesprecherin Christine Stanke. Arne Meins, intern 95/23/1 genannt, ist unser Gruppenführer.

Das Feuerwehrauto, intern LF 20/16 genannt, düst 200 Meter die Stellauer Hauptstraße entlang. Dann geht's einmal um die Buskehre herum - und wieder zurück. Natürlich mit Blaulicht und Martinshorn. Draußen steht ein Mann an seinem Gartenzaun. Er, der schon die Hinfahrt zur Buskehre beobachtet hat, schüttelt nun den Kopf, als wolle er sagen: Die von der Feuerwehr, die spinnen doch. Aber bei einem Mitmachtag soll alles so realistisch wie möglich sein, wird Barsbüttels Gemeindewehrführer Norman Schumann, 35, später erklären. In sechs bis sieben Jahren, befürchtet er, steuern die vier Ortswehren, mit 160 Mann heute noch gut aufgestellt, altersbedingt auf einen Mitgliederrückgang zu. Schumann: "160 klingt viel. Aber tagsüber, wenn alle bei der Arbeit sind, bekommen wir gerade 30 zusammen. So viele braucht man schon, um ein Haus zu löschen." Beim Mitmachtag 2011 habe die Wehr fünf Aktive gewonnen, sagt er und wertet das als großen Erfolg. Anfang September gibt's deshalb eine Neuauflage für jedermann.

Draußen ist es heiß, trotz vorgerückter Stunde immer noch 28 Grad. Hat das Feuerwehrauto eigentlich eine Klimaanlage? Spielt eigentlich keine Rolle, denn die fingerdicken Klamotten entfalten schon nach wenigen Minuten die Wirkung einer tragbaren Sauna. Schätzungsweise 15 Kilogramm bringt das Zeug auf die Waage. Dass die Jacke fünf Nummern zu geräumig - Größe 58 statt 48 - ist, spielt da kaum noch eine Rolle. "Der dicke Stoff ist sehr praktisch, weil er die Hitze des Feuers abhält", stellt Gruppenführer Meins die Vorzüge des Kleindungsstücks heraus.

Noch eine Linkskurve, Bremsen quietschen. "Hinterm Wagen antreten", ruft Meins. Die heiße Luft draußen ist geschwängert von Grillanzündergeruch, und auf dem trockenen Gras vor dem Feuerwehrhaus lodert in einer Zinkwanne ein kleines Feuer. Jetzt also wird wild gelöscht. Aber wo um alles in der Welt sind noch mal gleich die Schläuche? Arne Meins hat vorhin doch alles genau erklärt und gezeigt: dass ein Schlauchboot an Bord ist. Und ein Rettungsring. Und ein Staubsauger. Und ein Defibrillator. Brauchen wir aber alles nicht, glaube ich. Wo also sind die Schläuche? "Hier", sagt Meins und drückt mir eine rote Rolle in die Hände. Ich gehe kurz in die Knie. Das Teil ist schwer, so wie alles bei der Wehr. Dabei ist es die kleinste Rolle, die sie hier haben, das immerhin habe ich mir gemerkt, als wir vorhin das Abc der Schlauchkunde durchgenommen haben: A gleich dicker, B gleich mitteldicker und C gleich dünner Schlauch. 15 Meter ist der lang.

Ein Feuerwehrmann muss so etwas wissen, aber nicht am ersten Tag. Die Laufbahn beginnt mit der einjährigen Grundausbildung. Erst wer die durchlaufen hat, darf zu einem echten Löscheinsatz mit. "Und alle zwei Wochen ist Übungsabend", sagt Lutz Schaffner, 42. Erst vor zwei Jahren ist er zur Wehr gestoßen, infolge des Mitmachtags 2011. "Wir sind aus Hamburg hergezogen. Ich wusste nicht mal, dass es hier gar keine Berufsfeuerwehr gibt", sagt er. Inzwischen ist Schaffner Jugendwart in Stellau und gibt Brandschutzerziehung. Das koste viel Freizeit, sagt er, "aber es macht Spaß."

Ich denke kurz an meine Frau. Sie müsste jetzt gerade beim Elternabend in der Vorschule sitzen. Dass ich in Stellau Feuerwehrmann spielen kann, verdanken wir der Tatsache, dass der Termin seit einigen Tagen bekannt gewesen ist und Oma und Opa einspringen können. Hoffentlich haben sie unsere Tochter rechtzeitig ins Bett gebracht. Wäre ich ein echter Feuerwehrmann - so ein spontaner Einsatz am Abend hätte uns ganz schön in die Bredouille gebracht. Für Gruppenführer Arne Meins gehört so etwas zu seinem ein Stück weit unberechenbaren Alltag.

"Hier", sagt er und drückt mir noch einen Verteiler in die Hand, der dazu dient, das Wasser aus einem mitteldicken in zwei dünnere Schläuche umzuleiten. Wir kuppeln alles zusammen, dann darf ich "Wasser marsch" rufen. Apropos Wasser marsch: Mittlerweile sickert der Schweiß aus dem Helm, bahnt sich in Rinnsalen den Weg durchs Gesicht und tropft auf die Erde.

Und dann löschen wir auch noch, was das Zeug hält.

Nach einer Stunde ist der Einsatz beendet. Beim Blick auf meine Füße stutze ich. "Die Stiefel können Sie auch noch im Auto zumachen", hat jemand gesagt. Habe ich irgendwie vergessen ...