Basthorsts Bürgermeister schlägt Alarm. Ministerpräsident: Autofahrer müssen Situation entschädigungslos hinnehmen. Gutsbesitzer Enno Freiherr von Ruffin: “So schlimm wie jetzt ist es noch nie gewesen.“

Basthorst. Schleswig-Holstein ist nicht in der Lage, seine Landesstraßen zu unterhalten. Und wer bei einer Fahrt über marode Pisten sein Auto demoliert, der ist selbst schuld: Diese Bankrotterklärung stammt aus der Feder des Ministerpräsidenten Torsten Albig (SPD), zumindest hat er sie unterzeichnet; das Schreiben liegt dem Abendblatt in Kopie vor. Wörtlich heißt es darin: "Erkennbare Schlaglöcher sowie einen erhöhten Fahrzeugverschleiß hat der Verkehrsteilnehmer entschädigungslos hinzunehmen und seine Fahrweise entsprechend anzupassen."

Empfänger des Briefs aus Kiel: Christian Zernig, Bürgermeister der Gemeinde Basthorst. Er ist ein Mann, der genug hat von bröckelndem Asphalt, Furchen und tiefen Schlaglöchern. Das 400-Einwohner-Dorf ist regelrecht umzingelt davon. "Die Landesstraße 159 ist in einem desolaten Zustand", sagt Zernig. Er hat das Land aufgefordert zu handeln, hat sich später bei Torsten Albig über die Untätigkeit der zuständigen Behörden im Zuständigkeitsbereich des Wirtschaftsministers Reinhard Meyer (SPD) beschwert. Einzige Reaktion: der rechtliche Hinweis auf "entschädigungslos hinzunehmenden Fahrzeugverschleiß".

Auch davon kann der 69-Jährige ein Lied singen. Etliche Dorfbewohner hätten ihm bereits von Fahrwerkschäden an ihren Autos berichtet. Kürzlich hat es Zernig selbst erwischt, beim TÜV-Termin. Das Urteil der Prüfer über Zernigs erst fünf Jahre alten Ford Focus: durchgefallen, wegen ausgeschlagener Querlenkerbuchsen. Der pensionierte Berufssoldat ist sich sicher: "Das liegt an der Straße."

An der Straße, die Jahr für Jahr auch Zehntausende Menschen nutzen, um zu den beliebten Märkten und Veranstaltungen auf Gut Basthorst zu gelangen. Gutsbesitzer Enno Freiherr von Ruffin berichtet, dass sich mittlerweile die ersten Besucher über den Zustand der Fahrbahn beschwerten. Von Ruffin: "Ich sitze hier seit 59 Jahren und beobachte diese Straße. So schlimm wie jetzt ist es noch nie gewesen."

Der Bürgermeister fordert unterdessen eine komplette Sanierung. Zumindest aber müssten die Schlaglöcher geflickt werden, so, wie es in der Vergangenheit immer der Fall gewesen ist. "Seit Herbst vergangenen Jahres ist aber nicht mal mehr das geschehen", sagt Zernig. Stattdessen seien immer stärkere Geschwindigkeitsbeschränkungen angeordnet worden: zunächst Tempo 70, dann 50. Seit einiger Zeit gelten 30 Kilometer pro Stunde als Maximum. Zernig: "Und auf einer besonders maroden Brücke ist die Fahrbahn auf eine Spur verengt worden."

Enno von Ruffin: "Aus der Brücke fallen schon kopfgroße Steine raus. Da dringt Wasser ein, die Folgeschäden werden immer größer." Mit der Einengung der Fahrbahn lasse sich ja das Problem nicht aus der Welt schaffen. "Ich verstehe nicht, dass das Land nicht wenigstens ein Minimalmanagement hinbekommt."

Dem Schreiben des Ministerpräsidenten zufolge stellt "angesichts der sehr begrenzten finanziellen Möglichkeiten" die Erhaltung des Landessraßennetzes eine große Herausforderung für das Land dar. Albig: "Pro Jahr können nur wenige Deckenerneuerungen an Landesstraßen umgesetzt werden." Es sei davon auszugehen, dass mehr als ein Drittel des knapp 3600 Kilometer langen Landesstraßennetzes dringend sanierungsbedürftig sei. Nach Auskunft des Wirtschaftsministeriums stehen in diesem Jahr für die Erhaltung landeseigener Straßen zwölf Millionen Euro bereit, beinahe doppelt so viel wie im Wirtschaftsplan 2013 ursprünglich vorgesehen. "Wir bräuchten aber 30 Millionen Euro pro Jahr, um die heute existierenden Straßen zu erhalten", sagt Ministeriumssprecher Harald Haase. Das zur Verfügung stehende Geld reiche insofern nur für die Sanierung weniger Kilometer. Für die sogenannte Unterhaltung - das schlichte Flicken von Löchern also - sind weitere 3,1 Millionen Euro eingeplant.

Weil auch das nicht reicht, setzt das Land wie in Basthorst auf Geschwindigkeits- und Gewichtsbeschränkungen. An 465 Stellen landesweit seien sie schon verhängt worden, sagt Ministeriumssprecher Haase. "Betroffen ist eine Strecke mit einer Länge von 684 Kilometern." Das entspricht etwa einem Fünftel des Straßennetzes, und es könnte noch mehr werden. Haase: "Es ist nicht auszuschließen, dass es auch zukünftig an einigen Landesstraßen und Brücken mit geringer Verkehrsbelastung und Netzbedeutung zu Beschränkungen kommen wird." Auf diese Weise wolle das Land Vollsperrungen verhindern.

In dem im Mai vorgelegten vorläufigen Bericht zum Zustand der Landesstraßen in Schleswig-Holstein heißt es dagegen: "Mit einer deutlichen Zunahme zustandsbedingter Vollsperrungen von Landesstraßen ist mittelfristig zu rechnen."