Bargteheiderin vermittelt bei ungewöhnlichem Kurzseminar Frauen die vier Phasen des Loslassens. Auch Ängste und Zweifel landen an der Wand.

Bargteheide . "Selbstkritik" schreibt Michaela (Name von der Redaktion geändert) auf den mit Wasser gefüllten Luftballon. Und schmeißt ihn dann mit voller Wucht gegen die Wand. Wasserbomben mit den Aufschriften "Job", "Beziehung" und diversen Vornamen folgen ihm. 20 Frauen holen aus und zerschmettern ihre Sorgen, Ängste und Zweifel an einer Hauswand. Mal zerplatzen die Luftballons sofort, mal braucht es einen zweiten Anlauf. Zwischendurch wird gelacht, sich über die eigene Unzufriedenheit ausgetauscht oder verschwörerisch zugezwinkert.

Was ist hier los? 20 Frauen besuchen ein kostenloses Kurzseminar zum inneren Loslassen. In zwei Stunden wird ihnen erst etwas Theorie vermittelt ("Die vier Phasen des Loslassens"), um dann direkt in die Praxis überzugehen (alles, was losgelassen werden soll, an die Wand werfen).

Monica Deters ist Coach und hat zum ersten Mal zum Wasserbomben-Werfen eingeladen. Von der Nachfrage ist sie überrascht. Wer hätte schon gedacht, dass an einem strahlenden Sommernachmittag die Stühle im Stadthaus Bargteheide fast komplett besetzt sind? Manche Frauen sogar extra aus Hamburg anreisen? Da muss schon einiges sein, was losgelassen werden will.

Während des theoretischen Teils herrscht aufmerksame Stille. "Die vier Phasen des Loslassens" werden akribisch mitgeschrieben, bei der Frage "Was könnte man loslassen?" fällt den Frauen so viel ein, dass Monica Deters beim Aufschreiben der Begriffe kaum mitkommt.

Mit sanfter Stimme kommentiert die 49 Jahre alte Bargteheiderin jede Wortmeldung. "Ich könnte meine Einstellung loslassen", sagt eine Teilnehmerin. "Stimmt, das ist schön", meint Deters. Eine andere Frau wirft ein: "Ich will Gewicht loswerden und meine Angst vor Veränderung." Der Coach reißt die Augen auf und nickt: "Ah ja, mhm, schön." Auf der dritten Seite des von Deters verteilten Handouts soll von den Frauen eingetragen werden, was akut losgelassen werden kann. Konzentriert schreiben sie in die vorgegebenen Zeilen.

Sie sind zwischen 40 und 50 Jahre alt und, wie zwei von ihnen später berichten, "bestimmt alle an einem neuen Lebensabschnitt angelangt". Die Kinder fast aus dem Haus, der Job seit 15 Jahren derselbe, der Mann in den meisten Fällen wohl auch. Was kommt jetzt? Wo stehe ich eigentlich? Was wollte ich überhaupt mal? Fragen, die sich nicht mehr so einfach beantworten lassen, wenn der Alltagstrott den Veränderungswillen erstickt hat.

"Wir Frauen halten immer so lange aus", sagt Monica Deters. "Aber wir können etwas ändern." Ihre eigene Geschichte passt perfekt zu dem Programm, das sie anbietet. "Ich habe sieben schwere Schicksalsschläge hinter mir. Sieben harte Jahre. Am Ende war ich kurz davor, aufzugeben", erzählt sie.

Dann kam der 11. September und darauf folgend der Song "The Rising" von Bruce Springsteen. Er zog die Bargteheiderin aus ihrem Tief. "Seitdem habe ich nicht mehr aufgehört zu arbeiten." Die damalige Sekretärin machte sich selbstständig. Besuchte Seminare bei Sabine Asgodom, einer der führenden deutschen Coaches für Frauen im Berufsleben. Sie baute Kontakte auf, trat den Frauen in Führung und Verantwortung (FiF) in Stormarn bei und der German Speakers Association.

"Nebenbei habe ich autodidaktisch gearbeitet, etliche Bücher gelesen. Ich wollte die Erkenntnis, die ich durch meine harten Jahre bekommen habe, weitergeben." Als Bruce Springsteen auf seiner seit zwei Jahren dauernden Welttournee vor ein paar Wochen in Mönchengladbach stoppte, kaufte sich Deters ein Ticket, malte ein Schild ("Dance with the chubby girl!" - "Tanz' mit dem molligen Mädchen!") und mischte sich in die Menschenmenge.

Was dann passierte, könnte kein amerikanischer High-School-Film besser in Szene setzen: Der "Boss" holte die selbst ernannte "Dicke" auf die Bühne. Von unten schoben Bühnenhelfer Deters nach oben, vom Bühnenrand zogen ("Mein gesamter Hintern war auf der Leinwand zu sehen") und hievten sie die Bargteheiderin schließlich nach oben. Unter dem Applaus von 37.000 Zuschauern tanzten Bruce und Monica zu "Dancing in the Dark".

Die Bagteheiderin Bettina Dehnert-Reich ist, genau wie Michaela, mit einer Freundin ins Stadthaus gekommen. Nach dem Wasserbomben-Werfen im Innenhof fühlt sich die 48-Jährige "leichter". Die Idee sei gut gewesen und überhaupt nicht albern. Von Deters erhofft sie sich neue Impulse, vielleicht den letzten Schubs, den es noch braucht, um die langersehnte Veränderung zu wagen.

Das Kurzseminar soll, wie Deters es schon im Titel verspricht, schnelle Antworten auf große Fragen liefern. Dazu passt die positive Psychologie, auf der die Beraterin aufbaut. Sie sei nicht problemlastig, sondern lösungsorientiert. In zwei Beratungsstunden hätte sie oft schon den richtigen Weg mit der Klientin herausgearbeitet.

Das Interesse an der Deters-Methode ist groß. Eine Teilnehmerin absolviert bereits ein Coaching (Stundenhonorar 150 Euro), Michaela hat sich schon mal in das Thema eingelesen. Einige Frauen sind nur gekommen, um die ganz in schwarz gekleidete Blondine kennenzulernen. Mit ihrer einfühlsamen, Mut machenden Art scheint sie gut anzukommen.

Bei der Reflexions-Runde nach dem ausgelassenen Werfen attestieren Bettina Dehnert-Reich und ihre Mitstreiterinnen der Gruppe "eine positive Stimmung" und meinen: "Die Schwere ist weg." Deters spricht ihren Teilnehmerinnen und potenziellen Neukundinnen ein großes Lob aus: "Super, dass Sie sagen: 'Hey, ich komme hierher und nehme mich selbst ernst.'" Und schlägt vor: "Vielleicht machen wir daraus ja ein jährliches Event, was meinen Sie?"