Serie: Jeden Sonnabend stellen wir einen Stormarner Verein und dessen Mitglieder vor. Heute: Die Organisation Habitas, die Demenzkranken ein Zuhause gibt

Hammoor. In Uwe Hochgraebers Erinnerung passierte es ganz plötzlich. "Von heute auf morgen", sagt er, sei seine Mutter dement geworden. Im Dezember 2005 entdeckten Nachbarn die alte Dame im Garten. Dort lief sie im Nachthemd herum. "Wir mussten schnell eine Lösung finden", sagt Hochgraeber, der heute Mitglied des Vereins Habitas ist. Dieser hat es sich seit November 2005 zur Aufgabe gemacht, Menschen, die an Demenz oder einer anderen Hirnleistungsstörung leiden, ein selbstbestimmtes Leben in privater Unterkunft zu ermöglichen.

Hochgraeber besichtigte mit seiner Mutter verschiedene Pflegeheime. Meist teilten sich dort zwei Menschen ein Zimmer. Viel Platz für persönliche Gegenstände habe es auch nicht gegeben. "Das war nicht das Richtige." Durch Zufall erfuhr Hochgraeber von dem Haus in Hammoor, das der kurz zuvor gegründete Verein Habitas für ältere Menschen gemietet hat. Die großen Einzelzimmer und die familiäre Atmosphäre gefielen dem heute 70-Jährigen und seiner Mutter auf Anhieb. "Hier will ich bleiben", habe sie in einem ihrer klaren Momente gesagt. Das Zimmer richtete die Familie mit persönlichen Gegenständen ein, auch ihren Fernseher nahm Hochgraebers Mutter mit.

Das Haus liegt an einer ruhigen Seitenstraße in Hammoor. Im Vorgarten flattert ein buntes Windspiel, neben der Eingangstür hängt ein Schild: "Unser Zuhause", ist darauf zu lesen, darunter acht Nachnamen, umrahmt von einer Sonne. Jeweils vier Einzelzimmer befinden sich im Erd- und im Obergeschoss. Alle sind belegt. Die Nachfrage nach einer solchen Art der Betreuung steigt, bestätigen die Vereinsmitglieder. "Wir möchten gern weitere Wohngemeinschaften gründen", sagt Uwe Hochgraeber. Er sei überzeugt, dass diese sehr gut angenommen würden. "Wir haben viele Anfragen bekommen, auch von jungen Leuten, die sich für das Thema interessierten."

Die Zimmer sind mit persönlichen Gegenständen eingerichtet. Die Mieter tragen die Verantwortung für die Räume, sie müssen tapezieren oder auch mal eine kaputte Spülmaschine ersetzen - wie in einer richtigen Familie. Da die Bewohner solche Aufgaben meist nicht mehr selbst übernehmen können, stehen deren Angehörige in der Pflicht. "Im Unterschied zu einem Pflegeheim ist es hier explizit gewollt, dass sich die Angehörigen einbringen", sagt Astrid Körnig, deren Mutter ebenfalls in dem Haus lebte. "Sie hat das als Zuhause empfunden." Auch nach dem Tod ihrer Mutter sind Astrid Körnig und ihr Mann Lothar die Angehörigensprecher des Vereins geblieben. "Die Familien treffen sich hier regelmäßig, um sich auszutauschen", sagt die 55-Jährige.

Platz, um zusammenzusitzen gibt es zum Beispiel in einem an die große Küche angrenzenden Wintergarten. "Hier spielt sich das Leben ab. Selbst wer nicht mehr viel machen kann, kann immer noch zugucken oder bei Kleinigkeiten helfen", sagt Astrid Körnig. Die Vereinsmitglieder bringen sich auch immer wieder ein und erledigen Dinge.

Irma Cruse ist seit der Gründung des Vereins dabei. Die heute 80-Jährige hat unter anderem schon Gardinen für das Haus genäht. "Die Bewohner werden hier in das tägliche Geschehen einbezogen", sagt Cruse, deren Mann ebenfalls an Demenz erkrankt ist. Zurzeit pflegt sie ihn zu Hause. Sollte sie selbst krank werden, wünscht sie sich eine Unterbringung wie in der Pflege-WG. "Es erinnert gar nicht an ein Heim und ist einfach wunderschön", sagt sie.

Der Pflegedienst gibt ein Gerüst vor, in dem etwa Essenszeiten organisiert sind. "Anders als im Krankenhaus gibt es aber keine festen Zeiten, an die sich die Bewohner halten müssen", sagt Lothar Körnig. "Hier läutet nicht die Glocke zum Frühstück."

Hartwig Peters hat 2007 das Amt des Vorsitzenden übernommen. Er habe zwar bis dahin keine Erfahrung mit an Demenzkranken gehabt. "Wir Mitglieder sind aber langjährige Freunde. Daher habe ich beschlossen, mitzuarbeiten." Früher, sagt Peters, habe er in Pflegeheimen Aufzüge repariert. Der Anblick der Menschen, die dort wohnten und häufig nur auf dem Flur saßen und ins Nichts guckten, habe ihn traurig gestimmt. "Das ist hier ganz anders."

Die Unterbringung in dem Habitas-Haus hat jedoch ihren Preis. "Man muss die Kosten sicherlich abwägen", sagt Hochgraeber. Etwa 380 bis 450 Euro kostet die Miete für ein Zimmer inklusive Nutzung der Gemeinschaftsräume monatlich. Hinzu kommen die Kosten für die Pflege. Rund um die Uhr ist mindestens ein Krankenpfleger vor Ort. Die Kosten dafür teilen sich die Bewohner. Der Verein profitiert nicht. "Wir haben keinerlei Gewinnstreben", betont Hochgraeber.

Zu dem Grundstück gehört auch ein Garten, der direkt an die Feldmark grenzt. Von der Terrasse aus können Bewohner und Besucher manchmal Rehe beobachten. Jetzt sitzt dort Elisabeth Knaack in einem Gartenstuhl in der Sonne. Die 93-Jährige lebt seit zweieinhalb Jahren in dem Habitas-Haus. Neben ihr sitzen die Vereinsmitglieder und singen: "Wenn die Elisabeth nicht so schöne Beine hätt..." Über die Zeile aus dem Siegfried-Arno-Schlager von 1930 müssen Elisabeth Knaack und die Habitas-Mitglieder lachen.

Alle vier Wochen kommen Astrid und Lothar Körnig zu Besuch. Dann wird Musik gemacht. "Ein Musiker spielt Gitarre, und wir singen mit den Bewohnern Lieder wie 'Junge, komm bald wieder'", sagt Lothar Körnig. "Das ist ganz toll. Die alten Leute kennen alle Texte." Bei seinem letzten Besuch habe eine "Saustimmung" geherrscht - "um es mal ganz salopp zu sagen". Die Runde auf der Terrasse bricht in Gelächter aus. Als nächste Veranstaltung steht das jährliche Sommerfest an.

Uwe Hochgraebers Mutter hat keines der Sommerfeste der vergangenen Jahre miterlebt. Sie starb wenige Monate nach ihrer Erkrankung. Ihren Fernseher hat sie nach dem Umzug in das Habitas-Haus nie wieder gebraucht, erzählt ihr Sohn. Es war immer jemand da, mit dem sie reden konnte.