In der Gemeinde im Norden Stormarns haben sich elf Künstler angesiedelt. Sie schätzen die Ruhe und die Weite der Landschaft, die das Kreative wecken

Barnitz. Es ist Hochsaison in Barnitz. Und trotzdem wirkt die idyllische Gemeinde im Norden Stormarns an diesem sonnigen Tag wie ein verschlafenes Schmuckstück am Rande des Travetals. Oder vielleicht auch gerade deswegen: Hochsaison haben nämlich die Künstler, von denen sich seit rund elf Jahren immer mehr hier niederlassen. In den Sommermonaten sind die Kreativen viel unterwegs: auf Ausstellungen, Märkten oder Auslandsreisen. "Und es ist jedes Mal schön, wieder nach Barnitz zurückzukommen." Ute Elisabeth Herwig ist eine der elf Kunstschaffenden, die sich über die Ortsteile Lokfeld, Benstaben und Klein- und Groß-Barnitz verteilen.

Fast jede Kunstrichtung ist vertreten: Fotografie, Design, Illustration, Museumskunst, Film und Theater, Musik, Malerei, Goldschmiedehandwerk, Bildhauerei, ein Antiquitätenhandel. "Viele denken, wir haben uns abgesprochen und sind ganz bewusst gemeinsam hierher gezogen. Dabei war es bei den meisten purer Zufall", sagt Ute Herwig. Ein schöner Zufall, wie die Malerin und Textildesignerin findet, die gemeinsam mit ihrem Mann die ehemalige Schule im Ortsteil Lokfeld vor elf Jahren zu ihrem Zuhause gemacht hat. "Ich sehe es als eine absolute Bereicherung an, dass ich Gleichgesinnte um mich habe." Der Austausch untereinander sei wertvoll.

Man kann es sich vorstellen: ein Glas guten Rotweins schwenkend, sinnieren die kreativen Köpfe bei konspirativen Treffen nächtelang gemeinsam über ihre Kunst. "Ja, ich glaube, dass viele Menschen sich das Künstlerleben genau so vorstellen", sagt die 48-Jährige und lacht. "Wenn das so wäre, könnte wohl kaum einer von uns es sich leisten, die Kunst zum Beruf zu machen. Auch wir müssen hart arbeiten." Und doch ist es für sie ein Privileg, Künstlerin zu sein: "Ich darf das tun, was ich liebe, wofür ich Talent besitze. Und das ist ein großes Glück." In Ute Herwigs Atelier im umgebauten Dachgeschoss der einstigen Schule riecht es nach Farbe, ungezählte Pinsel, Papierbogen und Leinwände liegen herum, eine der beiden grau getigerten Katzen hat es sich auf dem Sofa am Fenster bequem gemacht.

Hier oben denkt Ute Herwig nicht, sie lässt sich treiben. "Ein Kunstwerk entsteht immer zweimal. Zuerst in meinem Kopf und dann noch einmal an der Staffelei." Gemalt hat die Schleswig-Holsteinerin schon als kleines Mädchen. Doch auch von Stoffen ist Herwig fasziniert. 2010 entwickelte sie eine spezielle Art von Tuch, das man mit verschiedenen Wickeltechniken sowohl als Schultertuch, aber auch als Rock tragen oder kurzerhand zum Einkaufsbeutel umfunktionieren kann.

Dass vor ihrem Gestaltungsdrang nichts sicher ist, erfuhr die Barnitzer Feuerwehr gleich bei ihrem Einzug ins Dorf. Als Ute Herwig damals gefragt wurde, ob sie eintreten will, antwortete sie: "Ja, aber nur, wenn ich die Uniformen überarbeiten darf." Die Feuerwehr hat sich daraufhin spontan mit einer passiven Mitgliedschaft zufriedengegeben. Doch Außenseiter sind die Künstler in Barnitz keinesfalls. Sie sind lebendiger Bestandteil der 840-Seelen-Gemeinde. Herwig: "Da die meisten von uns den Arbeitsplatz im Haus haben, ist immer jemand da. Wir nehmen ganz häufig Päckchen für die Nachbarn an, die in Lübeck, Hamburg oder sonst irgendwo außerhalb arbeiten. Auch das fördert den Kontakt untereinander."

Auf dem Weg zu Goldschmiedin Rea Högner zeigt sich, dass Barnitz sich nicht auf den ersten Blick als Künstlerdorf zu erkennen gibt. Es ist ohne Zweifel ein malerisches Dorf in einer wunderschönen Landschaft - doch auffällige Hinweise zu den einzelnen Kunstschaffenden, meterhohe Skulpturen in den Gärten oder besonders kreativ gestaltete Straßenschilder sucht man hier vergebens. "Das hat Barnitz gar nicht nötig. Wir müssen nicht mit unserem Können protzen", meint Rea Högner, die einen Monat vor Ute Herwig ins Travetal zog. Damals hatte sie ihre Werkstatt in Lübeck. "Es ist viel schöner, hier auf dem Land zu wohnen und zu arbeiten. In der Stadt ist das Angebot groß und unübersichtlich. Wer hierher kommt, sucht das Besondere - und findet es auch."

Das Besondere ist in Rea Högners Fall Goldschmuck, der ihre ganz spezielle Handschrift trägt. "Ich möchte Lebensbegleiter machen und nicht nur modische Accessoires." In den Vitrinen funkeln mit Perlen und edlen Steinen bestückte Doppelringe und feingliedrige Ketten, die durch das Spiel mit dem Licht wie lebendig wirken. Seit mehr als 30 Jahren übt die gebürtige Hamburgerin ihren Beruf aus. "Hier in Barnitz habe ich meinen Platz gefunden." Auch sie sieht die nachbarschaftliche Nähe zu den anderen Künstlern positiv.

"Die Welten sind zwar auf den ersten Blick ganz unterschiedlich. Aber genau das macht den Austausch spannend. Jeder bringt seine Talente mit ein und dadurch können wir vieles auf die Beine stellen." Ein inzwischen weit über die Grenzen Stormarns hinaus bekanntes Resultat der Zusammenarbeit ist das alljährliche Kunst-Hand-Fest im Mai: An vier Tagen öffnen die Barnitzer Künstler ihre Ateliers und Ausstellungsräume, präsentieren ihre eigenen Werke und die von ausgesuchten Gastkünstlern aus aller Welt. Zum zehnten Jubiläum kamen in diesem Jahr rund 4000 Besucher und genossen die spezielle Stimmung, die während des Festes ganz Barnitz umhüllt.

Kann ein Dorf eine Muse sein? Je länger man sich hier aufhält, desto wahrscheinlicher ist es. Bildhauer Thomas Helbing, der mit konzentriertem Blick und gezielten Schlägen mit dem Meißel gerade an einem imposanten Kanzelschmuck für die Kirche in Steinbek arbeitet, nutzt jedenfalls die schöne Lage der Stormarner Gemeinde für seine kunstvollen Gebilde aus Stein: "Der Blick in die Weite dieser tollen Landschaft ordnet die Gedanken und sorgt für Inspiration."

Wohnen und Arbeiten unter einem Dach war schon immer der Traum des gebürtigen Lübeckers, der in Hamburg Kunstgeschichte und in München Bildhauerei studierte. Hier in Barnitz konnte er 2001 diesen Traum realisieren. Neben dem rotgeklinkerten Wohnhaus hat der 54-Jährige im ehemaligen Kuhstall seine Werkstatt eingerichtet, in der er seit sechs Jahren auch eine Schule für Bildhauerei betreibt. Kommen kann jeder, der Lust darauf hat, Steinen eine neue Form zu geben. "Für mich ist ein Künstler jemand, der neugierig etwas erforschen möchte, das es noch nicht gibt", so Helbing. Er ist überzeugt, dass diese Neugier in jedem Menschen steckt. Manchmal fehle nur der Mut zum ersten Schritt.

An der Wand in Helbings Werkstatt hängt die Zeichnung eines jungen Mädchens. Ein Selbstporträt seiner Tochter Johanna. "Wie man sieht", sagt Helbing zuversichtlich, "müssen wir uns hier in Barnitz um den Künstlernachwuchs keine Gedanken machen."