Ein 68-jähriger Rentner aus Bargteheide wurde wegen Mordversuchs zu fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Er hatte in der Dusche auf seine Ehefrau eingestochen.

Bargteheide/Lübeck. Der Mann, der im November vergangenen Jahres in Bargteheide seine Ehefrau in der Dusche niedergestochen hatte (wir berichteten), ist am Dienstag wegen versuchten Mordes zu fünf Jahren und neun Monaten Haft verurteilt worden.

Hans T. (Name geändert), 68, sitzt ruhig auf der Anklagebank. Er trägt ein hellblaues Hemd, darüber eine schwarze Jacke. Von Zeit zu Zeit hält er sich ein kariertes, ordentlich gefaltetes Taschentuch vor die Nase. Er wirkt gefasst, nimmt das Urteil ohne eine einzige Regung auf. Der Vorsitzende Richter Christian Singelmann begründet das Urteil. Er wird etwa eine halbe Stunde sprechen. "Wegen des großen Leides und der langwierigen Folgen wird sich das Opfer noch lange an den 13. November erinnern müssen", eröffnet Singelmann. Er legt Gefühl in die sonst trocken anmutende Schilderung der Geschehnisse.

Nach Überzeugung des Gerichts hat sich der Konflikt wie folgt angebahnt: Hans und Anja T. führen eine harmonische Beziehung, ehe es im Dezember 2009 kriselt. Anja T. kann es ihrem Mann "nie recht machen", sie fühlt sich kontrolliert und gedemütigt von ihm. Trotzdem fahren beide gemeinsam in den Urlaub, nach Mallorca. Anja T. will an der Ehe festhalten, sie geht zu einem Therapeuten. Hans T. sieht seinerseits keinen Anlass dafür. Die verbalen Auseinandersetzungen hören nicht auf. Hans T. nimmt seiner Frau ihren Wohnungsschlüssel ab und lässt sie, als sie an der Tür der gemeinsamen Wohnung in Bargteheide klingelt, erst nicht herein. Anja T. versteht es als "Rauswurf" und verkündet ihrem Mann im Oktober vergangenen Jahres die Trennung.

Sie legt Hans T. ein Schreiben ihres Anwaltes vor, in dem er über ihren Wunsch nach einer Scheidung liest. "Er nahm den Brief, las ihn in meiner Anwesenheit und unterschrieb, dass er ihn erhalten hat", zitiert Richter Singelmann aus einer Aussage Anja T.s an einem der zurückliegenden Prozesstage. Und schildert, was sich seiner Überzeugung nach dann zugetragen hat:

Hans T. sagt zu seiner Frau: "Du wirst mich noch kennenlernen." In der gemeinsamen Wohnung, zu der Anja T. nun wieder Zugang hat, schlafen beide noch in einem Zimmer. Aber Hans T. verstellt die Möbel, räumt eine private Ecke seiner Frau. Er stellt seinen Sessel vor seinen Fernseher, rückt die Möbel, die ihm gehören, zusammen. Das Ehepaar unternimmt trotz der vielen Auseinandersetzungen und bevorstehenden Scheidung noch gemeinsame Ausflüge. Mit dem neuen Geländewagen des Angeklagten machen sie eine Rundfahrt, und gemeinsam erscheinen sie auf der Feier einer Bekannten.

Dann schildert Richter Singelmann, was sich seiner Einschätzung zufolge am Morgen des 13. November zugetragen hat. Hans T. steht wie gewöhnlich auf, um den Frühstückstisch zu decken. Singelmann: "Es sprach alles für eine relative Ruhe. Es gab keine Provokation." Anja T. steht ebenfalls auf und geht ins Badezimmer, um zu duschen. Hans T. greift zu einem Küchenmesser, die Klinge ist 14 Zentimeter lang und zwei Zentimeter breit, und folgt seiner Frau ins Badezimmer. Als Anja T. bemerkt, dass er die Badezimmertür geöffnet hat, hält sie die gläserne Duschtür von innen zu. Aber Hans T. reißt sie nach außen auf und sticht ihr zweimal mit dem Messer in den Bauch. "Du hast mein Leben verpfuscht", sagt er zu ihr und sticht weiter auf sie ein, als sie zu Boden fällt. Anja T. schreit um Hilfe, er schlägt ihren Kopf auf den Boden und würgt sie, bis sie sich tot stellt.

Von Hans T. weiß das Gericht derlei Details nicht. "Der Angeklagte hat eine Erinnerungslücke in Anspruch genommen", sagt Richter Singelmann. Die Situation hatte nur die Ehefrau selbst geschildert. Das Gericht nimmt Hans T. die Erinnerungslücke aber nicht ab.

Richter Singelmann berichtet weiter, was sich seiner Auffassung nach im Anschluss an die Attacke ereignet haben muss: Anja T. kann mit letzter Kraft auf allen Vieren zur Wohnungstür kriechen. Sie öffnet sie und ruft um Hilfe. Hans T. zieht sie an den Beinen zurück in die Wohnung. Zwei Nachbarn hören die Rufe und klingeln an der Tür. "Alles okay, alles okay", wimmelt Hans T. sie ab. Die Nachbarn rufen dennoch die Polizei. Beamte finden Anja T. blutend auf dem Boden vor und verständigen den Notarzt. Währenddessen sitzt Hans T. teilnahmslos auf einem Küchenstuhl, trinkt Kaffee und raucht eine Zigarette. Dann nimmt er das vorher als Tatwaffe benutzte Messer und fügt sich selbst zwei Schnittverletzungen in die Brust zu, bevor ihm ein Polizeibeamter das Messer abnimmt.

Wegen der elf zugefügten Verletzungen und weil Hans T. anschließend keinen Rettungsversuch unternahm, geht das Gericht von einem unzweifelhaften Tötungsvorsatz aus. Anja T. befand sich in einer Situation, in der sie arg- und wehrlos war. Da ihr Ehemann vorher nie handgreiflich geworden war, ging sie nicht von einer Gefahr aus.

Richter Christian Singelmann schließt den Prozess ab: "Für Mord ist eine lebenslange Haftstrafe vorgesehen. Weil es sich hier nur um einen Mordversuch handelt, ist das Strafmaß milder."

In der Gesamtwürdigung komme dem Angeklagten zugute, dass er zu der Tat stehe und dem Opfer einen hohen finanziellen Ausgleich zukommen lässt. Auch seinen Geländewagen bekommt Anja T. "Sie lebt aber in Angst und hat eine eingeschränkte Lebensqualität", sagt Singelmann in der Urteilsbegründung. Für den Angeklagten spreche auch, dass er nicht vorbestraft sei. Auch sein fortgeschrittenes Alter und die chronische Leukämie-Erkrankung sind laut Gericht zu beachten.