Gerald Meißner aus Großensee beobachtet mit einer Videokamera Meisen . Sein Vogel und er haben etwas gemeinsam: Beide sind alleinerziehend.

Großensee. Der Witz mit den Namen bietet sich natürlich an. Ein kleines Holztäfelchen mit der Aufschrift "Für Meisis Meisen" ziert deshalb auch Gerald Meißners Vogelhaus. Ein Freund hat es für ihn gebaut. Und wenn man schon bei Wortspielen ist: Ob der Meißner eine "Meise" hat? Tagelange Beobachtungen von Blaumeisen auf einem alten Röhrenfernseher könnten ja Spuren hinterlassen haben.

Aber nein, natürlich nicht. Von einer 'Meise' keine Spur. Der 46-Jährige ist einfach ein begeisterter Naturliebhaber. Und seit Kurzem auch Live-Berichterstatter vom Nistkasten an der Rausdorfer Straße 48 in Großensee.

Vor einer Woche hängte Meißner seinen Vogelkasten an die Hauswand. "Und siehe da, die Blaumeisen kamen." Nicht nur die, auch Spatzen hatten Interesse an der hölzernen Behausung. Meißner beobachtete das Treiben und hörte irgendwann sogar mit einem Stethoskop den Kasten nach seinem Innenleben ab. Eigentlich eine gängige Praxis, um den 'Herzschlag' von Bäumen abzuhören. Die Vögel aber gaben keinen Ton von sich. Also tauschte Meißner den normalen Deckel des Vogelhäuschens gegen einen Deckel mit installierter Videokamera aus. Ein Kabel ermöglicht die Live-Übertragung der Schwarz-Weiß-Aufnahmen auf einen kleinen Fernseher in seinem Hinterhof. "So kann man dann Vogel-Fernsehen gucken", sagt Meißner entzückt und zeigt auf den Bildschirm.

Dort tauchen am unteren Bildrand drei kleine Schnäbel auf. Drei kleine Blaumeisen sperren diese gerade auf, um von ihrer Meisen-Mutter oder ihrem Meisen-Vater gefüttert zu werden. "Die Meise macht einen echt harten Job. Da zittert man mit", befindet Meißner über den kleinen Vogel, der im Minutentakt im Nistkasten ein- und ausfliegt. Welches Geschlecht der alleinerziehende Betreuer der Jungen hat, konnte Meißner nicht herausfinden. Er ist kein Ornithologe, "auch kein Biologe." Eine weibliche Anrede bekommt die tüchtige Blaumeise trotzdem. Meißner ist fasziniert von der Fürsorge, die die Vogelmama an den Tag legt. "Das geht einem ans Herz." Sie säubert ihre Jungen, füttert sie und wärmt sie nachts. "In puncto Reinigung ist die picobello, im Gegensatz zu mir", scherzt Meißner. Den Job als Alleinerziehender allerdings teilt er sich mit ihr.

Mit seinem siebzehnjährigen Sohn wohnt er seit neun Jahren in Großensee. Damals war es Zeit für den Beamten, der in der Studierendenverwaltung der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg arbeitet, "mal aufs Land zu gehen." In der Gemeinde wollte er aber nicht nur wohnen, sondern sich auch engagieren. Das kennt Meißner aus Mümmelmannsberg. Seit fast 20 Jahren betreut er dort ein Naturareal, setzt sich für Naturschutz ein und teilt seine Begeisterung mit anderen. Im Areal "Erlenbach" gibt es noch seltene Tierarten, den Eisvogel etwa und die gebänderte Prachtlibelle. "Die ist selten und schön", sagt Meißner.

Fußball und Feuerwehr liegen ihm nicht. Deshalb widmet er sich auch in Großensee dem Naturschutz. Frei nach dem Motto: "Was man kennt, kann man auch schützen." Für den Naherholungs- und Kulturverein organisierte er Gewässernachmittage und Vorträge über Wildbienen. Diese sind seine eigentliche Leidenschaft.

Aber nun erst mal die Blaumeisen. Intensiv setzt er sich mit der Parus caeruleus, wie die Blaumeise in Fachkreisen genannt wird, auseinander. Von sechs Jungen haben bisher nur drei überlebt. "Die Schwächeren haben nicht mehr die Schnäbel aufgesperrt", erklärt er. "Die haben zugunsten der anderen verzichtet, denke ich." Als sehr anrührend empfindet Meißner das. Naturgewalt hautnah.

Naturpädagogik ist das, was ihm Spaß macht. Seine Faszination vermittelt er mit wachem, aufmerksamem Blick und präziser Gestik. Sind Freunde des Sohnes zu Besuch, wird auch schon mal ein Froschlurch näher erläutert. "Mein Sohn wird selbst gerade flügge", erzählt der gebürtige Hamburger. "Der macht jetzt seinen Führerschein."

Am Sonntag, 30. Juni, lädt Gerald Meißner Interessierte um 13 Uhr in die Rausdorfer Straße 48 zum Vogel-Fernsehen. "Vielleicht starten die Jungen dann ja schon ihre ersten Flugversuche", sagt der 46-Jährige. Eine Außenkamera ist noch nicht installiert. Sollten die Blaumeisen-Kinder ihren Weg aus der Behausung finden, wird auf dem Bildschirm wohl nur noch ein verlassenes Nest zu sehen sein.

Vielleicht bietet sich dann ein Ortswechsel an und alle Blaumeisen-Begeisterten finden sich in artgerechtem Abstand vor dem Vogelhäuschen ein. Und schauen drei Meißner-Meisen beim Erstflug zu.