Pilgerpastor Bernd Lohse geht die 60 Kilometer lange Strecke durch den Kreis, auf der immer mehr spirituelle Wanderer ihren inneren Weg suchen.

Bad Oldesloe . Bernd Lohse ist in seinem Element. In der linken Hand trägt einen mannshohen, blanken Stab aus Buchenholz, frisch konserviert mit Leinöl. Und mit dem Zeigefinger der rechten Hand weist er Richtung Nordwest. "Dort hinten", sagt er strahlend in der Sommersonne, "liegt Kloster Nütschau. Keine 45 Minuten von hier."

Bernd Lohse, Pilgerpastor der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland und 54 Jahre alt, steht auf einem rund 800 Meter langem Holzsteg, der mitten durch das Brenner Moor führt. Der Weg führt von Bad Oldesloe durch das größte binnenländische Salzmoor Schleswig-Holsteins direkt zum Traveufer. Dort, wo aus rund 500 Meter Tiefe salziges Wasser an die Oberfläche sprudelt, wachsen Schilfröhricht und solche Pflanzen wie die Bottenbinse und der Strand-Dreizack, die sonst nur an den Gestaden der Nordsee gedeihen.

Nur wenige Kilometer vom pulsierenden Leben der Kreisstadt entfernt, erstreckt sich zwischen Hamburg und Lübeck ein einzigartiges Naturschutzgebiet. "So nah -

und doch so weit weg", sagt Pilgerpastor Lohse. Und meint damit, dass man hier, mitten im Moor, bei weitem Blick in den Himmel und fernab vom Lärm der Metropolen Entspannung und Ruhe finden kann.

Lohse muss es wissen. Er ist mit seinem VW Caddy von Hamburg nach Bad Oldesloe gereist, um zum vierten Mal den Jakobsweg im Kreis Stormarn zu erkunden. Nur für einige Stunden, dann muss er wieder weg, zurück nach Hamburg.

Den Jakobsweg? Tatsächlich verfügt auch der Kreis Stormarn über einen beachtlichen, rund 60 Kilometer langen Abschnitt jenes alten, internationalen Pilgerweges, der schlussendlich zum spanischen Santiago de Compostela führt. Das Brenner Moor ist ein Teil dieser europäischen Pilgerstrecke.

Spätestens seit dem Bestseller von TV-Entertainer Hape Kerkeling "Ich bin dann mal weg" ist Pilgern als innere und äußere Form des Unterwegsseins zu einem Thema geworden, das Massen mobilisieren kann.

Die evangelische Kirche hat sich auf diesen Trend eingestellt und einen Mann wie Bernd Lohse mit Amt und Würden versehen, damit Pilgern im Norden Europas noch populärer und professionell begleitet wird. Deswegen steht Bernd Lohse gerade mit seinem unkaputtbaren Buchenholz-Pilgerstab aus dem Rader Forst auf dem Stegweg im Brenner Moor, fasziniert vom Anblick zweier Schwäne und laut anschwellendem Vogelgesang. "Die vielen schönen Geräusche in der Natur machen den Kopf frei", sagt er.

Pilgern als uralte Form religiösen Lebens setzte bereits im Mittelalter viele Menschen in Bewegung. Der norddeutsche Jakobsweg führte unter anderem von Hamburg bis nach Lübeck und nahm ursprünglich jenen Verlauf der heutigen Autobahn. Im Laufe der Jahrhunderte folgten die Route allerdings noch stärker der Trave. Mit dem gelben Jakobsmuschel-Symbol und einem Richtungspfeil ist der heutige Weg markiert. In Stormarn führt er vom Nienwohlder Moor über den Grabauer See zum Kloster Nütschau nach Bad Oldesloe. Und von dort aus zum Kneeden Richtung Staatsforst Reinfeld.

Überall, wo Pastor Bernd Lohse an diesem Tag den markanten Pilgerzeichen begegnet, strahlt er vor Freude wie ein kleines Kind. Schön, dass alles so sichtbar und schön markiert ist, meint er. Um die optimale Streckenführung kümmert sich extra ein Streckenwart der Jakobusgesellschaft. Seine Aufgabe ist es, die Marken zu erneuern, ausgewählte Übernachtungsherbergen zu betreuen und den Kontakt mit der Forst- und Landwirtschaft zu halten. Damit der Pilgerweg begehbar bleibt. Bernd Lohse geht über das Kopfsteinpflaster vor der Bad Oldesloer Peter-Paul-Kirche zur romantischen Altstadt hinunter. Das 1763 erbaute Gotteshaus steht auf einem historischen Pilgergelände und ist auch heute noch Treffpunkt der spirituellen Wanderer. Hier können sie frisches Wasser erhalten und offene Türen im Gotteshaus finden.

Unten, an der gemächlich fließenden Trave, trifft Lohse zufällig auf einen freundlich blickenden, langhaarigen Mann, der direkt am Fluss wohnt. "Das", erklärt er, der sich als Ingenieur Dr. Jürgen Lange vorstellt, "ist das alte Heilig-Geist-Quartier." Dieser Name, weiß Bernd Lohse, steht dafür, dass hier einst viele Pilger übernachteten. "Toll", sagt Anwohner Lange, "dass es wieder einen solche Pilgerweg gibt. Das Gefühl für die historische Verantwortung wächst. Und dazu trägt der Pilgerweg im Kreis Stormarn bei."

Gut 100 Menschen gehen jedes Jahr den Jakobsweg durch den Kreis Stormarn, schätzt der Hamburger Pilgerpastor. Rund 60 Prozent davon sind Frauen. Darunter befinden sich aber auch Großeltern mit ihren Enkelkindern. Männer, die ihren Job verloren haben und einen neuen Lebensweg finden wollen. Frauen, die sich von ihrem Partner getrennt haben. "Inzwischen gibt es alle Altersgruppen. Ihnen allen reicht ein geistloses, ausschließlich materielles Leben nicht mehr. Sie wollen ihren inneren Weg finden", sagt Lohse, der früher als Journalist für die "Bergedorfer Zeitung" und danach als Rundfunkpastor gearbeitet hat. Seit 2008 koordiniert der Vater von drei Kindern an der Hamburger Hauptkirche St. Jacobi die norddeutsche Pilgerarbeit.

Dass die Hauptkirche St. Jacobi gleichsam das norddeutsche Zentrum ist, dürfte kein Zufall sein. Denn seit dem zwölften Jahrhundert gilt das Gotteshaus an der Hamburger Steinstraße als Anlaufstelle für die Pilger auf der Via Baltica, dem aus Skandinavien ins galizische Santiago de Compostela führenden Jakobsweg. "Hamburg war damals ein Knotenpunkt für Pilger. Die Wege führten etwa ins norwegische Trondheim. Und sie führten auf dem Jakobsweg durch die Lüneburger Heide bis nach Santiago de Compostela", sagt der Pastor, der in Poppenbüttel wohnt.

Die alte Pilgertradition will Lohse in Hamburg und der nordelbischen Kirche erneuern und damit einen gesellschaftlichen und kirchlichen Trend fördern, den er seit mehr als zehn Jahren beobachtet. Pilgern ist "in" - nicht nur traditionell als Wallfahrt in der katholischen, sondern zunehmend in der evangelischen Kirche. Pilgern sei Bestandteil einer geistlichen Suchbewegung, zu der Yoga, Meditation, Exerzitien genauso gehören wie klösterliches Leben auf Zeit.

Unterdessen macht Pastor Lohse mit seinem blanken Buchenstab Rast auf der grünen Wiese vor dem Kloster Nütschau - im nördlichsten Benediktinerorden Deutschlands. Eigentlich wollte der protestantische Geistliche hier die katholischen Brüder treffen. Doch die versammeln sich gerade zum Mittagsgebet. In Jugendhaus des Klosters duftet es nach Eintopf. Viele Pilger, sagt Lohse, übernachten gern in diesem Haus. Aber auch in der Region sind in den vergangenen Jahren Übernachtungsplätze entstanden. Die Kirchengemeinden Nahe und Klein Wesenberg verfügen über ein eigenes Gästehaus (Kosten: 18 Euro pro Person). Und in Grabau sowie Bad Oldesloe gibt es preiswerte Privatquartiere. "Stormarn", sagt Bernd Lohse, "eignet sich bestens für das Tagespilgern." Anfänger sollten keineswegs mehr laufen als 20 Kilometer am Tag, empfiehlt er.

Bevor Lohse über Reinfeld zurück nach Hamburg fahren will, macht er noch in Kneeden Halt. In der Fischerei Kneeden Quell/Trave trifft er auf Thomas Jacobsen, den Geschäftsführer der Räucherei. Während in den Wasserbecken Forellen und Aale schwimmen, berichtet Jacobsen von den vielen Jakobspilgern, die bei ihm in all den Jahren Rast gemacht haben. Und darüber, dass seine Familie seit Alters her in der Peter-Paul-Kirche eine eigene Kirchenbank hat. Bald wäre es noch mehr um Religion und Sinnsuche gegangen. Doch Lohse muss zurück in die Stadt.

Er steigt ins Auto, fährt auf die Autobahn und landet prompt im Stau. Irgendwie, meint er, sei das ein Beispiel für das Leben: "Wer schnell unterwegs sein will, endet im Stau. Nur beim Pilgern - da gibt es keinen Stau."

Weitere Infos: www.jacobus.de

Tel. 040/30 37 37 13