Zum letzten Mal volle Bänke. 150 Menschen feiern Andacht im Gotteshaus. Bischöfin Fehrs: “Es geht ans Herz. Das ist meine erste Entwidmung“

Witzhave. Das ist schon fast zu demonstrativ. "Ein Zeichen", sagt Pastor Matthias Heitmann lachend. Mit Glockengeläut werden die Besucher des letzten Gottesdienstes in die Bethlehem-Kirche geleitet, nur aufhören wollen sie dann nicht. Die Glocken. "Eine von ihnen hörte einfach nicht auf zu läuten, obwohl ich sie abgestellt hatte. Zwei Tage vorher hat noch alles funktioniert", sagt Pastorin Anke Schäfer nach der Entwidmung. "Die wollte nicht sterben", kommentiert Heitmann mit einem Augenzwinkern.

Kurz vor Beginn der Entwidmung also noch die Suche nach dem Sicherungskasten. Als dann auch die letzte Glocke schweigt, kann Schäfer die Zeremonie einleiten. "Mit diesem Gottesdienst wird die Kirche entwidmet."

Etwa 150 Besucher kommen deshalb noch einmal nach Witzhave. Gehen durch den Regen bis an den Rand des Dorfes, die Kirchenstraße entlang. Bis zu dem Gebäude, das in den 60er-Jahren gebaut wurde. Im Zuge eines Kapellen-Bauprogramms der Nordelbischen Kirche bekam auch Witzhave sein eigenes Gotteshaus. Im Nachhinein stellt sich der Standort schnell als ungelegen heraus. "Die Kirche wurde nicht richtig wahrgenommen", sagt Pastorin Schäfer.

"Trauer und Wehmut" gibt sie in ihrer Ansprache an die Gemeinde Raum. Dankt dem Gemeinderat, der Kommunalgemeinde und besonders Jens Dittmers, dem stellvertretendem Kirchengemeinderat. Dessen Vater wohnte in derselben Funktion noch der Weihe am 9. Juli 1967 bei. Dittmers hat nun, mehr als 40 Jahre später, "mit großer Umsicht und Geduld" Entwidmung und Verkauf zu einem guten Ende gebracht. Pastorin Schäfer erzählt von Konfirmationen, Taufen, Erntedankfesten und Heiligabenden, die in der Kirche gefeiert wurden. In den Reihen wischen sich Besucherinnen Tränen aus den Augenwinkeln. "Trost spenden soll aber auch weiter möglich sein", leitet die Pastorin in die Zukunft über.

Der Friedhof liegt nebenan, als dessen Kapelle wird die Bethlehem-Kirche bald dienen. Bis dahin muss sie aber noch saniert werden. Denn Strom fließt nur bedingt, die Heizung heizt nicht mehr, und von der Decke fallen gleichmäßig Regentropfen in Plastikeimer. Seit Januar sind hier keine Gottesdienste mehr gehalten worden. "Das Gebäude hat nur eine dienende Funktion. Die Kirche - das sind wir." Angenehm trotzig formuliert Propst Hans-Jürgen Buhl seine Worte. Die Menschen seien Fundament des Kirchenbaus und zusammen mit dem Herrn die Festung. Nein, Christen sind auf kein Gebäude angewiesen. Aber auch Buhl muss zugeben: "Trotzdem brauchen wir einen Raum, an dem wir uns festhalten und orientieren können."

Für Ingeborg Stahn war die Bethlehem-Kirche genau das. Als Mitglied des Kirchenvorstands konnte sie mit einem Schlüssel in die Räume, wann immer ihr danach war. "Manchmal saß ich allein hier und habe gebetet." Manchmal aber auch nicht ganz allein, sondern wie 1976 zu zweit. Damals stand sie mit ihrem Zukünftigen vor dem Traualtar. "Es ist eine merkwürdige Situation heute Abend. Irgendwie trifft mich das alles sehr", gesteht die Witzhaverin. "Ich glaube, es ist allen bewusst, was heute hier passiert."

Während des Gottesdienstes herrscht feierliche Stille. Junge Mädchen und betagte Herren lauschen Propst Buhl, der in seiner Predigt kurz die Geschichte der Kirche abreißt. "Die Menschen haben sich nach Trittau orientiert", ist eine von vielen Erklärungen für das langsame Verwaisen der Bethlehem-Gemeinde. Schon seit 2006 finden keine regelmäßigen Gottesdienste mehr statt. Seitdem wurde über die Zukunft des Hauses verhandelt. Auch ein Abriss stand zur Debatte. Dass dieser nun verhindert ist, sorgt für das lachende Auge, das Pastor Heitmann in seinem jüngsten Gemeinde-Brief erwähnt. Das andere, das weinende Auge, ist den vielen unterschiedlichen Lebensphasen geschuldet, deren Übergänge Menschen in der Kirche zelebrierten. "Wehmut, Dankbarkeit und Zuversicht", spricht Buhl der Gemeinde zu.

Als die Organistin das Intro zum letzten Lied spielt und dabei die höchsten Töne zu einem Synthesizer-Sound vermengt, werfen die Besucher neugierige, fast befremdliche Blicke hoch zur Empore. Ein wenig später teilt sich Bischöfin Kirsten Fehrs der Gemeinde mit: "Es geht ans Herz. Das ist meine erste Entwidmung. Sogar Frau Fischer holt alles aus der Orgel raus." Allgemeines Schmunzeln. Kurz danach dann der feierliche Spruch unter dem holzvertäfelten Dach: "Hiermit entwidme ich die Bethlehem-Kirche Witzhave. Von nun an ist diese Kirche nicht mehr dem Dienst Gottes geweiht." "Puh", seufzt Barbara Fischer an der Orgel.

Katharina Straß ist eine von den vielen, die noch einmal gekommen sind, um die kleine Kirche zu verabschieden. "Mir fällt es schwer, dass das hier nicht mehr sein wird." Seit sie 1998 nach Witzhave zog, besuchte sie auch die Kirche immer mal wieder. Oft waren es mit ihr nur ein paar andere, die den Gottesdiensten beiwohnten. "Trotzdem bin ich gern hierher gekommen", betont sie. "Der Raum ist für unseren Ort sehr schön und wir hatten tolle, besondere Feiern, etwa die Herbst-Gottesdienste." Erleichtert ist sie über die Friedhofskapellen-Lösung. Erleichtert ist auch Anke Schäfer nach dem Gottesdienst. "Jetzt haben wir es überstanden. Und wir haben das zusammen getragen." Seit 20 Jahren war Schäfer zusammen mit Heitmann innerhalb der Kirchengemeinde Trittau auch für Witzhave zuständig. Immer wieder sei versucht worden, die Kirche zu beleben. Geklappt hat dies nicht. Nun hat die Gemeinde Witzhave das Grundstück samt Kirche und Gemeindehaus für 50.000 Euro gekauft.

Die Planungen für einen Kita-Bau sind "in vollem Gange. Wenn alles gut geht, kann Anfang nächsten Jahres dort eingezogen werden", prognostiziert Holger Spittler, stellvertretender Bürgermeister von Witzhave. Wann mit der Sanierung des Kirchgebäudes begonnen wird, ist noch unklar.

Für die Pastoren und Gemeindeglieder verändert sich der Kirchenalltag nicht deutlich. In der Trittauer Martin-Luther-Kirche feiern sie jeden Sonntag eine Messe mit vielen Besuchern, 120 Mitglieder singen in fünf verschiedenen Chören. Dort lebt Kirche noch. Nur in Witzhave, da wird es ab jetzt ein bisschen stiller.