Filmemacher Özgür Yildirim ist in die Schlossstadt gezogen. In einem Reihenhaus schöpft er Kraft und Inspiration für die nächsten Filme.

Ahrensburg. Der blanke Horror. Blut ohne Ende. Aber der kleine Junge war wie elektrisiert. Er musste Evil Dead einfach sehen - hin- und hergerissen zwischen Grauen und Begeisterung. "Der Film war in Deutschland verboten. Und ich war damals gerade elf. Eine harte Nummer. Ich konnte das auch nur stückweise aushalten", sagt Özgür Yildirim, 33. "Aber ich war fasziniert von der Wirkung. Das war ja alles nicht echt. Und trotzdem konnte man die Menschen mit Trick so erschrecken. Das war Zauberei. Mit war sofort klar: Ich will auch Geschichten erzählen und die Menschen mitnehmen auf eine Reise durch ihre Gefühle. Bis heute ist Film für mich Magie."

Wenn Özgür Yildirim vom Filmemachen spricht, redet er schneller, mit kurzen Bewegungen und eindringlichem Blick aus braunen Augen. Die Zeit der Horrorfilme ist vorbei. Aber seine Werke sind auch nicht gerade leichte Kost. Privat geht es deutlich ruhiger zu. Seit Kurzem wohnt der Deutsch-Türke beschaulich in Ahrensburg - in einem Reihenhaus, mit Frau und Kindern.

Die Vorstadt ist ein ziemlich ruhiges Pflaster für einen kreativen Kopf, der mit Rapper Sido gedreht hat. Der in seinem preisgekrönten Kultfilm "Chiko" das Drogenmilieu vorführt. Und der gerade den "Feuerteufel" vom neuen "Tatort"-Kommissar Wotan Wilke Möhring durch Hamburg jagen ließ. "Es lebt sich einfach gut hier. Ahrensburg hat am meisten zu bieten. Es ist grün und dicht an Hamburg. Mittlerweile kennt man auch ein paar Leute", sagt der Mann, für den das Kleinstädtische eine willkommene Rückzugsmöglichkeit bietet. Eine Szene gibt es hier nicht. "Der Kontakt geht vor allem über die Kinder."

Seine Filme spielen in anderen Milieus. Der Sohn türkischer Gastarbeiter ist in Hamburg-Dulsberg aufgewachsen. Und auch Geschichten von Hamburg-Billstedt kann er erzählen. Geschichten vom modernen Getto einer Großstadt. In seinem Tatort spiegelt sich das wider. Das Gerede über Til Schweiger interessiere ihn herzlich wenig. Aber er habe es geschafft, dass der neue Kommissar Thorsten Falke aus Billstedt kommt. Darauf ist Özgür Yildirim stolz. Auch auf das positive Feedback der "Tatort"-Gemeinde, die den Film gesehen und parallel ihre Kommentare im Internet abgegeben hat. "Der Ausgangspunkt war eine gute Location in Billstedt. Ich hatte dort ein Basketballspielfeld gesehen. Das musste mit rein. Und so hat sich dieser etwas andere ,Tatort' entwickelt."

Und entwickeln muss sich die Story. Drehbücher vor die Nase gesetzt zu bekommen, kann er nicht leiden. Er will die Geschichten selbst schreiben. Manchmal lehnt er deswegen Angebote ab. "Ich brauche die Freiheit als Filmemacher. Aber das geht natürlich nicht immer. Es ist wie beim Schach. Man muss sehen, dass man zur richtigen Zeit den richtigen Zug setzt."

Bis jetzt ist der Plan aufgegangen. Mit elf schrieb er Geschichten. Mit 14 fand er einen Verlag für seinen Horrorroman "Graue Nächte" und drehte später mit Klassenkameraden Super-Acht-Filme. Mit 18 machte er Abitur und ging dann an die Hamburg Media School, um bei Hark Bohm Regie zu studieren. "Ich habe sehr viel bei ihm gelernt. Das Handwerk. Das ist wichtig. Man kann nicht nur Kunst machen", sagt Yildirim. Und nur Vorabend-Fernsehserien zu drehen, sei es auch nicht. "Das zu kombinieren, das ist das Schwierigste."

2002 drehte er seinen ersten Kurzfilm "Der nötige Schneid", 2003 folgte "Liebe auf Türkisch", 2004 "Alim Market". Der Film erzählt die Geschichte der Freundschaft zwischen dem türkischen Gemüsehändler Alim und dem griechischen Gemüsehändler Korda, der aus Versehen Alims Vater mit dem Auto überrollt. Alims Großvater fordert Rache. Für diesen Streifen bekam Özgür Yildirim einen Förderpreis, für seine Kurzfilme Lob von Fatih Akin. Auch er ein deutsch-türkischer Regisseur aus Hamburg, dekoriert mit dem Goldenen Bären, dem Deutschen und dem Europäischen Filmpreis. "Fatih hat an mich geglaubt", sagt Özgür Yildirim.

Den Durchbruch brachte "Chiko". Allerdings nicht gleich. 2008 kam der Film über den Sohn türkischer Einwanderer und das Hamburger Drogenmilieu in die Kinos. "Die Leute fanden ihn zu brutal." 60 Kopien wurden gezogen. Nur 100.000 schauten sich den Film an. "Aber im Nachhinein kam der Erfolg. Die haben ihn alle auf DVD gesehen und Raubkopien gemacht. Jetzt ist er Kult. Gehen Sie in Ahrensburg auf die Straße. Die Leute kennen den Film."

Der kulturelle Hintergrund als Kind türkischer Gastarbeiter zieht sich wie ein roter Faden durch seine Filme. Und Gewalt spielt immer eine Rolle. Özgür Yildirim wehrt ab. "Die Gewalt ist kein Selbstzweck. Es geht darum, Geschichten zu transportieren. Ich erzähle über Deutsche, Türken, Polen, Araber. Ich schildere Milieus. Ich schildere die Realität", sagt der Filmemacher. Dass die Türken in seinen Filmen oft aus der kriminellen Szene kommen, stimme. "Ich bin dafür von der türkischen Community beschimpft worden. Aber dieser Vorwurf ist unsinnig. Ich treffe keine politische Aussage. Es gibt auch deutsche Bösewichter bei mir. Jeder sieht das, was er sehen will."

Im Übrigen sei "Blutzbrüdaz" ganz anders - eine Musikkomödie. "Den Film habe ich mit Sido gedreht. Da gab es auch erst Skepsis. Aber das hat nichts mit Gangster-Rap zu tun. Man darf nicht alles in einen Topf schmeißen. Sido ist ein intelligenter Songwriter. Schauen Sie sich den Film an. Ich verspreche Ihnen, hinterher werden sie Hip-Hop mögen." Wieder ein flammendes Plädoyer für die Magie des Films.

Die Eltern von Özgür Yildirim sind aus der Türkei nach Deutschland gekommen. Er selbst ist in Hamburg aufgewachsen und mit einer Deutsch-Türkin verheiratet. Er hat zwei Staatsbürgerschaften. "Mein kultureller Hintergrund ist türkisch. Aber natürlich bin ich Deutscher." So oft werde von Integration gesprochen. Die Frage sei nur, was das ist. "Dazu gehört Bereitschaft von beiden Seiten. Und wenn Integration von Ausländern gefordert wird, muss sie hier auch zugelassen werden. Ich lebe hier, wie ich lebe", sagt der Filmemacher. Und dazu gehört, dass er schon wieder die nächsten Drehbücher schreibt. Was es wird, verrät er nicht. "Ich bin ein bisschen abergläubisch", sagt Özgür Yildirim. Was sein Name auf Deutsch bedeutet? "Yildirim ist der Sturm. Und Özgür heißt: frei."