Serie: Jeden Sonnabend stellen wir einen Verein und dessen Mitglieder vor. Heute: Der Shanty-Chor Fastewall aus Bargteheide

Bargteheide. "Bein hoch, Bauch rein, Augenbrauen nach oben ziehen!" Volle Körperspannung ist gefragt, wenn sich montagabends im Bargteheider Martin-Luther-Haus eine ganz besondere Männerrunde trifft. Nicht zum Sport - und trotzdem zum Trainieren. Statt Bizeps und Sixpack wird hier die Stimme in Form gebracht. Fastewall nennt sich der Chor, 15 Sänger stehen mittlerweile auf der Mitgliederliste. Und gern dürfen es noch mehr werden.

"Fastewall ist Helgoländisch und bedeutet Festland", klärt Chorleiter Jörn Singer auf. Und er muss es wissen, schließlich stammt der 43-Jährige von der Nordsee-Insel. Die Leidenschaft für Seemannslieder ist ihm quasi angeboren. "Mein Vater war im Gesangsverein, meine Mutter hat mir die ersten Töne auf dem Akkordeon beigebracht." Als Jugendlicher singt Jörn im Helgoländer Seemannschor, lernt Gitarre und spielt später Synthesizer in einer eigenen Band. Der große Blonde hat auch jetzt, während der Chorprobe im Gemeindehaus, fast ständig das Schifferklavier vor dem Bauch. "Zum Glück ist mit ihm jemand dabei, der wirklich etwas von Musik versteht", sagt einer seiner Chorkollegen und schmunzelt dabei.

Und tatsächlich profitiert die gesamte Sangesmannschaft von Singers musikalischer Erfahrung. Er wählt die Lieder aus, besorgt Noten und Texte, bereitet die Chorsätze entsprechend vor - und er gibt den richtigen Ton an. "Der muss manchmal auch ein bisschen rauer sein", flüstert Jörn, während die vier Bassisten ihren Part des gerade neu einstudierten Titels "Farewall to Carlingford" brummen. "Üben ist das A und O, auch zu Hause. Und wenn das einer nicht macht, dauert die Proberei umso länger, und wir kommen nicht voran."

Die Idee ist aus einer Schnapslaune heraus entstanden

Trotzdem geht es beim Shanty-Chor Fastewall nicht bierernst zu. Im Gegenteil. "Wir kommen hierher, um Spaß und einen Ausgleich zu unserer Arbeit zu haben", stellt Olaf Witaszak klar. Der Chef einer Bargteheider Werbeagentur ist neben Jörn einer der Initiatoren des Chors. "Die Idee für Fastewall ist aus einer Schnapslaune heraus entstanden", erzählt er. "Wir saßen zusammen, hatten einen netten Abend und beschlossen, uns von da an regelmäßig zu treffen. Wir wollten aber mehr, als einfach nur ein Bierchen trinken zu gehen." Nach einem weinseligen Seemannslied, das die Freunde spontan anstimmten, stand schnell fest, dass das gemeinsame Singen genau die Beschäftigung war, nach der sie suchten. "Zuerst wollten wir einem schon bestehenden Chor beitreten", so Witaszak weiter. Mit Grauen erinnert er sich an seinen Antrittsbesuch, bei dem er vor dem kompletten Gesangsverein vorsingen musste. Allein. "Ich singe wirklich gern. Das heißt aber nicht, dass ich auch jeden Ton auf Anhieb finde", sagt der 42-Jährige. Doch nicht nur seine bis dahin noch ungeübte Stimme gab den Ausschlag, dem Chor den Rücken zuzukehren. "Das war uns dort irgendwie alles zu eingefahren." Die Lust auf das Singen war jedoch nach wie vor da, und so wagte die Handvoll Männer Anfang 2012 das musikalische Experiment und rief selbst einen Chor ins Leben: Fastewall war geboren. Emsig wurde die Werbetrommel gerührt. Viele Interessierte kamen, manche gingen wieder, 15 sind bis heute geblieben und gehören zum festen Stamm der Truppe. Drei erfolgreiche Auftritte hat Fastewall bis jetzt über die Bühne gebracht, für den nächsten wird fleißig geübt.

Aber geht das denn überhaupt: ein Shanty-Chor auf dem Festland? Ohne Fischerhemd, Matrosenmütze und Pfeife im Mundwinkel? "Das Schöne am Selbermachen ist ja, dass man sich an keine Regeln halten muss", ist Jörn Singer überzeugt. Und so ist auch das Repertoire von Fastewall nicht das typische eines traditionellen Shanty-Chores. Neben deutsch- und englischsprachigen Seemannsliedern üben die Männer aus Bargteheide auch irische Folksongs ein. In einem Punkt berufen sich die sangeslustigen Herren aber wieder einstimmig auf die Tradition: "Frauen sind in einem Shanty-Chor fehl am Platz. Wir nehmen nur echte Kerle auf." Und die sollten im "besten Mannesalter" sein. Nun ist das mehr oder weniger Ansichtssache.

Mitmachen dürfen nur "echte Kerle im besten Mannesalter"

Deshalb wird Jörn Singer konkreter: "Wir suchen Mitglieder, die noch im Berufsleben stehen und ihren Feierabend gern mit Gleichgesinnten verbringen. Wir wollen kein Rentnerchor sein." Das hat manchmal auch Nachteile. Axel Franke, leitender Bankangestellter, erscheint 20 Minuten zu spät zur Probe. "Sorry, ich hatte noch einen wichtigen Geschäftstermin." Die ersten Rhythmus-Übungen, bei denen im Takt auf den Boden gestampft und in die Hände geklatscht wird, hat der 48-Jährige verpasst. Leider, sagt er. "Das ist immer total entspannend. Man schüttelt den Stress vom Büro ab und kann sich dabei langsam eingrooven." Aber spätestens beim Auftakt von Hans Albers' "Auf der Reeperbahn" hat seine Stimme Betriebstemperatur erreicht.

Vierstimmige Arrangements, schwungvolle Weisen, mitreißende Gassenhauer - das wollen die Jungs von Fastewall ihrem Publikum bieten. Doch noch ist das Zukunftsmusik. "Wir stehen ganz am Anfang", sagt Chorleiter Jörn Singer. Umso interessanter kann es für Neueinsteiger werden.

Nach anderthalb Stunden intensiver Stimmband-Arbeit ist die Chorprobe beendet. "Nachtisch?" ruft Olaf Witaszak in den Raum hinein. Der wird in Form von Pizza und Bier beim Italiener um die Ecke serviert. Dort erholen sich die Hobby-Choristen regelmäßig von den frisch eingeübten Harmonien und Körperspannungsübungen. Bis es dann eine Woche später wieder heißt: "Bein hoch, Bauch rein, Augenbrauen nach oben ziehen!"

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