Früher hatten die Menschen noch Respekt, sagen Stormarns Polizei-Senioren, die sich einmal im Monat bei Kaffee und Kuchen zum Plaudern treffen.

Klick macht es. Und dann noch einmal Klick. Der "Bandit", so wird Manfred Reichelt ihn später nennen, drückt zweimal ab. Doch die Pistole, die er auf den jungen Polizisten richtet, geht nicht los. Wie es der Zufall will, ist die Waffe, die aus Armeebeständen stammen muss, kaputt. Der Bandit, ein zufällig gestellter Viehdieb, wirft sie ins Kornfeld und flüchtet in die Nacht. Reichelts Kollegen, ausgerüstet nur mit Holzknüppeln und Fahrrädern, nehmen die Verfolgung auf. Und bald haben sie ihn - den Mann, der mit seinen Komplizen Schweine aus einem Stall gestohlen hat. Manfred Reichelt hingegen muss erst einmal tief durchatmen.

Er hat ziemliches Glück gehabt - damals, in einer Nacht des Jahres 1947. Und so kann er heute, 66 Jahre später, wieder einmal davon erzählen. Dankbare Zuhörer hat der 87 Jahre alte Mann. Denn es sind alles Kollegen außer Dienst, genauer gesagt: Stormarns Polizei-Senioren. Eine eingeschworene Gemeinschaft von 45 Pensionären, die zusammen Ausflüge macht, Jubiläen und Geburtstage feiert. Und die sich einmal im Monat im Café Vaterland in Bad Oldesloe zu Kaffee und Kuchen trifft.

Die Gelegenheit, über vergangene Zeiten zu plaudern, Döntjes zu erzählen, lässt kaum einer aus. Und so ist es eine lange Tafel, an der Reichelt sitzt. Ein grüner Wimpel steht vor ihm auf dem Tisch, das Logo der Polizei-Senioren ist eingestickt. Doch Reichelt ist in Gedanken noch im Jahr 1947 - als er Dorfpolizist war, im Einsatz in Henstedt-Ulzburg, das damals zur selben Direktion wie Stormarn gehörte. "Im Monat bekam ich 167 Reichsmark. Es war ja noch vor der Währungsreform. Und ich wohnte bei einem Bauern, bei dem es abends Milchsuppe gab."

Rolf Oetzmann, er ist 76 Jahre alt und Vorsitzender der Polizei-Senioren, entgegnet: "Ich habe am Anfang immerhin 222 D-Mark bekommen. Aber das war ja auch zehn Jahre später." Ein Blick in das Dienstbuch, das er mitgebracht hat, beweist es: Man schrieb das Jahr 1957, als Oetzmanns Karriere bei der Polizei begann. Und zwar als Anwärter, bei der Bereitschaftspolizei in Eutin. Die jungen Polizisten lebten damals in einer Art Kaserne, zu lachen gab es eher wenig: "Es war praktisch wie beim Militär. Wir haben gesungen, wir sind marschiert". Schwarz-Weiß-Fotos von ernst aussehenden jungen Männern, die in Reih und Glied stehen, zeugen davon. Lehrjahre waren keine Herrenjahre, damals. Auch Manfred Reichelt kann noch ein Lied davon singen. Doch eine Sache, die sei früher schon besser gewesen: "Die Leute hatten noch Respekt, zogen den Hut vor einem Polizisten." Rolf Oetzmann nickt. "Früher wurde ein Schutzmann noch geschätzt. Das hat sich mit den Jahren geändert. Und die Gewalt hat zugenommen."

Axel Funk, er ist 63 Jahre alt, schaltet sich in das Gespräch ein: "Die Bereitschaft zur Aggressivität, zur Beleidigung von Beamten hat zugenommen." Es gebe heute ganz andere Fälle, auf die sich Polizisten vorbereiten müssten: "Ich weiß noch, wie vor zehn, 15 Jahren zum ersten Mal Trainings für Geiselnahmen und Amokläufe auf die Agenda kamen." Funk, der zuletzt in der Polizei-Zentralstation Bad Oldesloe im Innendienst arbeitete, hat so einen Einsatz zum Glück nie selbst erlebt.

Die eine oder andere "heiße" Situation gab es dann aber doch. Zum Beispiel Ostern 1968: Funk hatte ein Jahr zuvor bei der Hamburger Polizei angefangen und musste eine Demonstration absichern. "Da war richtig was los, die jungen Leute waren gegen den Schah von Persien, gegen den Vietnam-Krieg", erzählt der Pensionär. Ein ähnlicher Einsatz führte ihn in dieser Zeit vor das Kieler Landeshaus: "Da ging es um irgend eine Preiserhöhung."

Die Sache mit dem Respekt vor den Schutzmännern, sie begann damals, sich zu ändern, wie die drei Senioren sagen. Doch auch die Polizei, früher noch militärisch geprägt, veränderte sich. "Früher war es gar nicht üblich, dass die Polizei vor einer Demonstration mit dem Leiter der Veranstaltung sprach. Das ist heute alles viel professioneller", sagt Axel Funk.

Noch eine Sache veränderte sich, als die Polizei-Senioren von heute junge Beamte waren: Die Polizei begann, sich Gedanken um Pädagogik zu machen. Genauer gesagt um Verkehrs-Pädagogik. Der freundliche Polizist, der zu Kindern in die Schule kommt, wurde geboren. Und einer der ersten Verkehrslehrer in Schleswig-Holstein war Dieter Nassat. Durch "Glück" bekam er 1969 den Job, wie der 76 Jahre alte Mann sagt, dem man dieses Glück noch heute anmerkt. Fortan erklärte er landauf, landab, was das Zebra mit dem Zebrastreifen zu tun hat und warum man bei Rot nicht über die Ampel gehen darf.

"Ich werde noch heute erkannt, wenn ich durch Bad Oldesloe gehe", erzählt der heutige Polizei-Senior stolz. Die Uniform von damals ist dafür nicht nötig, sie passt ohnehin nicht mehr so richtig. Rolf Oetzmann hat sein Exemplar von damals dabei. Es ist eine grüne Jacke mit beigefarbenen Streifen am Kragen. Und dann natürlich der "Tschako": Eine schwarze Kopfbedeckung aus hartem Kunststoff. Sie verlieh den Schutzmännern bis in die 60er-Jahre ihr damaliges militärisches Aussehen. Noch ein großer Unterschied zu heute: "Die Kollegen von heute sehen viel legerer aus. Und die dürfen auch mal ohne Mütze und mit offener Jacke herumlaufen. So etwas gab es bei uns damals nicht", sagt Rolf Oetzmann und lacht.

Ob sie ihn noch einmal ergreifen würden, den Job? Die Polizei-Senioren bejahen. Obwohl das "Privatleben oft zu kurz kam", das betonen sie auch. Nur ein Beispiel aus Rolf Oetzmanns Leben: "Am 10. März 1962 wollte ich eigentlich heiraten. Das ging aber nicht, denn ich musste zu einem Spezialeinsatz."

Oetzmann musste nach Ostfriesland, die Folgen jener Sturmflut bekämpfen, die damals weite Teile Hamburgs und Norddeutschlands überschwemmte. "Es ging alles drunter und drüber. Deiche brachen, Schafe mussten gerettet werden", erzählt Rolf Oetzmann. Immerhin war der spätere Dienst deutlich ruhiger, Oetzmann betreute ab 1968 den Fuhrpark der Stormarner Polizei. Und den Heiratstermin holte er dann auch noch nach.

Nach rund zwei Stunden endet das Treffen der Polizei-Senioren. Zum Abschied trägt der Kollege Heino Buhs, das ist so Tradition, noch ein Gedicht vor. Von den Freuden und Entbehrungen einer langen Amtszeit ist da die Rede, von Pflichten und einem Bier, das man ab und zu auch mal genießen darf. Und dann auch vom Ruhestand: "Wir wissen noch wie man exakt den Stier an seinen Hörnern packt". Wer könnte sich mehr wünschen?