Kein bisschen müde: Der Oldesloer Gerhard Ströhl ist Deutschlands ältester Möbelpacker. Zwölf-Stunden-Arbeitstage sind für ihn die Regel.

Bad Oldesloe . Wenn Gerhard Ströhl inmitten von gepackten Kartons, Schrankwänden und zusammengerollten Teppichen im Laderaum seines 7,5-Tonners steht, ist der 91-Jährige in seinem Element. Seit 65 Jahren ist der gebürtige Ostpreuße als Umzugshelfer und Möbelpacker im Einsatz. Ruhestand? "Das ist nichts für mich. Es gibt noch so viel für mich zu tun. Die Leute brauchen mich doch."

Seit 1948 ist Ströhl selbstständig, damals bekam er "vom Engländer" einen alten Lastwagen geschenkt - als Dank für seine Arbeit beim Instandsetzen der vielen eingezogenen Fahrzeuge, die nach dem Krieg auf der gesperrten Autobahn zwischen Hamburg und Reinbek standen. Zu dem Lkw gesellten sich kurze Zeit später zwei weitere Transporter - Gerhard Ströhls Unternehmen war geboren.

"Ich war oft der einzige weit und breit auf der Autobahn. Es hatte ja kaum jemand ein Auto", sagt er. "Da stand man noch nicht stundenlang im Stau." Auch beim Tanken wird dem Mann mit den wirren weißen Haaren immer wieder bewusst, wie sehr sich die Welt um ihn herum verändert hat: Für einen Liter Diesel zahlte Jungunternehmer Ströhl damals gerade einmal sieben Pfennig.

"Ich war in ganz Europa unterwegs, hab' Umzüge nach Rom, Paris, London und in die Schweiz gemacht." An einen ganz besonderen Umzug erinnert er sich, als wäre es gestern gewesen: Mitten im Winter sollte er einen Steinway-Flügel nach Berlin bringen. Die Straßen waren glatt, in einer Kurve verlor Ströhls Mitarbeiter die Kontrolle über das Fahrzeug und landete im Graben. Eine Katastrophe! Doch Ströhl hatte mitgedacht und den Flügel zum Transport an einer selbst entworfenen Vorrichtung im Laderaum aufgehängt. Das Instrument blieb unbeschädigt und konnte dem Kunden wohlbehalten übergeben werden.

Immer auf Achse sein, das ist Gerhard Ströhl gewohnt. Als 15-Jähriger heuerte er als Handelsmatrose an und war zehn Jahre lang auf allen Meeren der Welt zu Hause. Heute begrenzt sich sein Einsatzgebiet auf Bad Oldesloe und die nähere Umgebung. Ein kleines Zugeständnis an das Alter - und an seine Frau, die seit vier Jahren in einem Pflegeheim in der Kreisstadt lebt und in deren Nähe er bleiben möchte.

Ihm selbst geht es gesundheitlich gut. Der Arzt attestiert ihm sogar außerordentlich gute Rückenmuskeln. "Ich war schon immer ein Sportsmann. Und ich habe noch nie geraucht. Aber", sagt er augenzwinkernd, "zu einem guten Alsterwasser sage ich nicht Nein." Das gibt es aber erst am Feierabend - und der ist von der Auftragslage abhängig.

Neben den Umzügen restauriert Ströhl alte Möbelstücke, kümmert sich um Gartenarbeiten und übernimmt Transporte aller Art. Ein Zwölf-Stunden-Arbeitstag ist da eher die Regel als die Ausnahme. Das Geld ist für den 91-Jährigen wichtig, denn "mit meiner kleinen Rente würde ich kaum über die Runden kommen".

Trotzdem ist Ströhl bei manchen Kunden auch mit einem Kaffee als Lohn zufrieden. "Wenn jemand mich um Hilfe bittet, der kein Geld hat, soll ich den dann einfach stehen lassen? Nee, das mach ich nicht. Solange ich gebraucht werde, bin ich glücklich." Der Kontakt zu den meist jüngeren Menschen lässt den 1922 Geborenen lebendig bleiben. "Meinen letzten guten Freund hab ich vor zwei Jahren zu Grabe getragen. Von meinem Jahrgang bin ich hier fast der Einzige, der übrig geblieben ist."

Die meisten seiner Auftraggeber kennen Ströhl seit Jahrzehnten und wissen, dass sie sich auf ihn verlassen können. Das spricht sich herum. Claudia Siep hat von einem Nachbarn den Tipp bekommen, Gerhard Ströhl für ihren Umzug aus dem Rümpeler Ortsteil Rohlfshagen nach Hamburg zu engagieren. Die 43-Jährige war in erster Linie "neugierig auf den ältesten Möbelpacker Deutschlands", dem auch der NDR schon eine halbstündige Fernsehreportage gewidmet hat.

Während zwei Freunde der Kundin das Schleppen der schweren Möbelstücke übernehmen, sorgt Gerhard Ströhl für das fachgerechte Verstauen im Transporter. "Das ist wie ein Puzzlespiel. Man muss immer gerade Kanten schaffen. Dann kann auch nichts verrutschen." Wenn alles passt und auch der letzte Quadratzentimeter auf der Ladefläche optimal ausgenutzt ist, freut Ströhl sich wie ein kleines Kind. Auch bei diesem Umzug.

Der wievielte es ist, weiß der Oldesloer nicht. "Ich bin kein Buchhalter. Ich bin ein Macher." Auf dem Weg von Rohlfshagen nach Hamburg-Ohlsdorf hat er zu beinahe jedem Haus am Straßenrand eine Geschichte zu erzählen. "Hier war ich schon drin, und da drüben auch. Und in dem Neubaugebiet da hinten hab ich den kompletten Umzug für fast jeden Bewohner gemacht." Wenn die Autofahrer hinter ihm ungeduldig hupen, lässt ihn das kalt. Da ist er sogar manchmal froh, dass er auf dem rechten Ohr kaum noch hören kann. "Die jungen Leute heute haben keine Zeit mehr. Die hetzen alle von Termin zu Termin." Gerhard Ströhl fährt mit seinen 91 Jahren noch sehr sicher. Und niemals schneller, als die Polizei erlaubt. Schließlich ist der Lkw-Führerschein, den er 1945 gemacht hat, sein Kapital.

Am späten Nachmittag ist Claudia Sieps kompletter Haushalt in ihrer neuen Zweizimmerwohnung an der Fuhlsbütteler Straße untergebracht. Obwohl er es sich nicht anmerken lassen will - jetzt ist Gerhard Ströhl doch ein bisschen erschöpft. Seit halb sieben ist er auf den Beinen, eine Pause hat er sich nicht gegönnt. Auf die Frage, ob er zu Hause nun endlich einmal die Beine hochlegt, kommt die Antwort: "Ich muss für einen anderen Kunden erst noch einen alten Sessel neu beziehen. Das hab ich versprochen." Und was Gerhard Ströhl verspricht, das hält er auch.

"Ich glaube, der liebe Herrgott weiß, dass ich den Menschen gerne helfe. Warum wohl sonst darf ich so lange am Leben sein?" Vielleicht liegt es aber auch daran, dass er nicht raucht. Oder schon immer Sport gemacht hat. Oder eben doch am Glas kühlen Alsterwassers, das er sich zum Feierabend gönnt. Und das hat sich der älteste Möbelpacker Deutschlands auch heute wieder redlich verdient.