Ganz Deutschland schreibt einen Kimi im Internet - unter Regie der Reinbeker Dozentin Indira Wirths-Kosub

Reinbek. Wenn Indira Wirths-Kosub kreatives Schreiben unterrichtet, ist Elch Leska immer dabei. "Ollah, eiw theg se chue", sagt er zur Begrüßung. Logisch. Leska kann natürlich nicht sprechen. Das macht die Reinbeker Dozentin schon selbst. Aber alle finden den Plüsch-Elch so süß und wollen deshalb können, was er kann: rückwärts sprechen. Wer den Begrüßungssatz entziffern möchte, muss also von rechts nach links lesen: "Hallo, wie geht es Euch." Und wie Leska wirklich heißt, ist dann auch klar. "Das ist Gehirnjogging und macht kreativ", sagt die Autorin. Sie spricht fließend rückwärts. "Schon immer." Und sie ist so ansteckend kreativ, dass sie nicht nur in ihren Kursen in Reinbek und Wentorf begeistert, sondern ganz Deutschland unter ihrer Regie Krimis schreibt - im Internet.

Die virtuelle Schreibgilde nennt sich "Die Kriminalisten". Es sind Laien. Aber sie haben einen Mordsspaß, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen. In Kapitel sechs wird bereits die erste Leiche aus dem Main gefischt. "Auf der Zielgeraden war auch noch ein zweiter Toter drin", sagt Indira Wirths-Kosub. "Mehr verrate ich nicht."

Der Titel des nach und nach entstandenen Gemeinschaftswerkes lautet: "Verstrickung - Marlowes erster Fall." Was unschwer darauf schließen lässt, dass es auch einen zweiten Fall gibt. Und das schon bald. Denn die "Verstrickung" ist bereits beim 40. und damit beim Schlusskapitel angekommen. "Und der Mörder ist noch immer auf freiem Fuß", sagt die Schreibtrainerin, Schließlich soll es ja weitergehen mit dem Online-Literaturprojekt. "Wer Lust hat mitzumachen, hat jetzt also die beste Gelegenheit, einzusteigen."

Im Mittelpunkt steht Privatdetektiv Marlowe. Der ist selbstverständlich schlauer als seine früheren Kollegen Kommissar Sauer aus Hamburg und Kommissar Kattlowitz aus Frankfurt. Im Unterschied zu ihnen hat er auch ein höchst persönliches Interesse an der Aufklärung des Falls. So schmeißt er sich richtig rein und wird prompt von einem vermeintlichen Serientäter angeschossen.

Der Internet-Held ist verletzlich. Das macht ihn sympathisch. "Der Krimi ist auch nicht gruselig oder psychomäßig. Und Sex und Drugs und Rock'n'Roll gibt's bei uns auch nicht", sagt Indira Wirths-Kosub und lacht. Das Wort "uns" macht klar: Da ist noch jemand im Boot. Während die Reinbeker Dozentin mehr für die konzeptionelle Seite des Projektes zuständig ist, kümmert sich Ute Smola mehr um die technischen Dinge. Sie wohnt im kleinen Runkel, ein Ort in Hessen. Aber das ist in Zeiten von Internet kein Problem. Über das Netz hatten sich die Frauen auch kennengelernt. Die Idee für das bislang einzigartige deutsche Literaturprojekt entstand bei einem online Coaching-Seminar.

Es ging um das Herausfinden innerer Ziele. Darum, sich zu weiterzuentwickeln und sich vielleicht selbstständig zu machen. "Wir mussten uns gegenseitig abfragen und motivieren", sagt Indira Wirths-Kosub. "Im Chat haben Ute und ich dann schnell festgestellt, dass wir zusammenpassen." So gut, dass die beiden die Sache mit dem Finden von Zielen und dem Weiterentwickeln gleich umsetzten und die virtuelle Schreibwerkstatt eröffneten.

"Der Krimi wird auf jeden Fall als E-Book erscheinen. Jetzt suchen wir einen Verlag für eine gebundene Ausgabe", sagt die Trainerin für kreatives Schreiben. Bei ihren Kinderbüchern war die Autorin und Mutter von zwei Kindern schon erfolgreich. "Kurt, der kleine Löwe" spricht zwar nicht rückwärts, ist mindestens so niedlich wie der kleine Plüsch-Elch Leska und außerdem groß herausgekommen - beim Reinbeker Lau-Verlag, und das in drei Bänden. Die Zeichnungen stammen von Esther Petersen. Ein Hörbuch über Kurts Abenteuer ist ebenfalls entstanden, mit den Lesepaten des Reinbeker Vereins Kontakt.

Aber von der Schreiberei zu leben, ist schwierig. "Zum Glück habe ich einen Mann", sagt die 53-jährige mit einem Schmunzeln. Sie hat Anglistik und Theologie studiert und ihren Magister gemacht. "Mit Englisch-Unterricht an der Volkshochschule habe ich mir ein Zubrot verdient. Aber ich will mich jetzt konzentrieren", sagt sie. Auf das Vermitteln kreativer Methoden. Auf das Schreiben. Und auf "Die Kriminalisten", die sie nicht kennt und mit denen sie sich doch verbunden fühlt.

Sie könnte gar nicht anders. "Schon mit 14 Jahren habe ich meine Schulhefte mit Geschichten voll gekritzelt. Schreiben ist einfach so unglaublich spannend." Der Marlowe-Krimi offensichtlich auch. Mehr als 2300 Leser haben den Detektiv schon bei seiner Arbeit verfolgt. Lesen ist die eine Möglichkeit, Teil der Community zu werden und sSelbst mitzuschreiben, die andere. "Wir sind der Zeit weit voraus. In zehn Jahren wird sich das gemeinsame Schreiben im Internet schon durchgesetzt haben. Es eröffnet den Verlagen neue Chancen", sagt Indira Wirths-Kosub. Für den zweiten Marlowe-Fall bietet sie zwei Vorschläge für den Plot an. Die Lebensgefährtin von Marlowe soll mehr in den Mittelpunkt rücken. Entweder ist sie als Simultanübersetzerin einer Finanzmauschelei auf der Spur. Oder sie wird als Lehrerin auf Gewalt in der Schule stoßen. Die Internet-Autoren können darüber abstimmen und auch wieder entscheiden, wie der Krimi heißen soll. Jeder kann jederzeit auf die Seite zugreifen und mitschreiben. Die Initiatorinnen bürsten die Texte glatt, kürzen, redigieren und spinnen den roten Faden. "Auch die Veröffentlichungsrechte liegen bei uns." Ein bisschen soll dabei ja auch herausspringen.

Bleiben noch zwei Fragen. Warum heißt die Frau, die unbedingt schreiben will, alles fließend rückwärts sprechen kann und in Norddeutschland lebt, ausgerechnet Indira? Sie lacht. "Ich bin in Indien geboren. Mein Vater hat dort fünf Jahre gearbeitet." Und kreatives Schreiben? "Der Trick ist, Dinge zusammenzubringen, die nicht zusammengehören. Das löst Irritationen aus und öffnet neue Wege." Sie nennt ein Beispiel: "Wäschespinne, basteln, Golfballtaucher und Wilder Westen. Machen Sie mal eine Geschichte daraus. Und keine Angst vor zu viel Fantasie."