Der 66 Jahre alte Jan Christian Wulff liebt seinen Beruf. Ans Aufhören denkt der Sülfelder Mediziner noch nicht

Sülfeld. Für Jan Christian Wulff ist es ein idealer Beruf. Er ist Landarzt aus Leidenschaft. Seine Praxis in Sülfeld führt er mit viel Elan - und ans Aufhören denkt er nicht. Zumindest noch nicht. Allerdings sagt der 66-Jährige auch: "Im Prinzip bin ich interessiert an einer Kooperation mit einem jüngeren Kollegen."

Dafür hat Wulff einiges zu bieten. Er kann Kollegen auf der Hälfte des Wegs ihrer Ausbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin begleiten - das sind zweieinhalb Jahre und die Höchstdauer für einen Ausbilder. Außerdem hat er nicht nur die klassische Schulmedizin im Blick. Seit er sich vor 30 Jahren niedergelassen hat, beschäftigt sich Wulff auch intensiv mit Naturheilkunde. Für einen potenziellen Partner und Nachfolger in der einzigen Praxis am Ort wäre er also ein guter Mentor. Aber bisher hat niemand Interesse. Zwar steht die Suchanzeige bereits seit mehr als einem Jahr bei der Kassenärztlichen Vereinigung, eine Anfrage habe er aber noch nicht gehabt, sagt Wulff.

Nicht nur in Sülfeld fehlt der Nachwuchs. "Schleswig-Holstein steuert, gerade auf dem Land, auf einen starken Ärztemangel zu", sagt Marco Dethlefsen, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH). Mehr als die Hälfte der landesweit 1900 Hausärzte sei älter als 50 Jahre, jeder Dritte sogar schon über 60. "In den kommenden Jahren werden rund 900 Hausärzte in den Ruhestand gehen, Nachwuchs in derselben Größenordnung ist nicht in Sicht", sagt er.

Das Durchschnittsalter der Hausärzte in Schleswig-Holstein liegt momentan bei 54,5 Jahren. In Stormarn ist es mit 54,2 Jahren ähnlich hoch. Von den 149 Hausärzten, die zurzeit im Kreis arbeiten, sind nur vier unter 40 Jahre alt, dafür aber 41 von ihnen bereits über 60 Jahre alt.

Abgesehen vom fehlenden Nachwuchs gebe es ein weiteres Problem: Immer weniger Mediziner seien dazu bereit, aufs Land zu gehen. "Viele zieht es in die Stadt, ins Ausland, in die medizinische Forschung oder sie bleiben im Krankenhaus", sagt Dethlefsen. "Und all das vor der Tatsache, dass die Bevölkerung älter wird und die Zahl altersbedingter Erkrankungen wie zum Beispiel Diabetes und Herzleiden steigt. Die Frage ist: Wer soll diese Menschen künftig behandeln?"

Jan Christian Wulff kann sich mittlerweile keine spannendere Tätigkeit als die des Hausarztes vorstellen, und er kennt auch die andere Seite. Bevor er sich in Sülfeld niederließ, hatte er an der Uni Kiel gearbeitet und Anfang der 80er-Jahre in den Vereinigten Staaten geforscht. Als er von dort zurückkam, war er noch ein Jahr Oberarzt an der Uniklinik in Kiel. "Nach einem Jahr habe ich gemerkt, dass das nicht die Medizin ist, die ich mein Leben lang machen will", sagt Wulff. Er habe die Hochschulmedizin als einen teuren Reparaturbetrieb kennengelernt, bei dem er als Mediziner am letzten Ende einer Kette stand. Das ist nun anders.

Als Hausarzt habe er den ganzen Menschen im Fokus und einen systemischen Blick entwickelt, erläutert Wulff. "Das wird häufig unterschätzt", sagt er. Schließlich wüssten er und seine Kollegen, wohin sie welche Patienten überweisen müssten, welcher Facharzt gut und welcher nicht so gut sei. "Wir bekommen täglich Rückmeldungen von den Patienten", sagt er. Das sei auch im Interesse einer bezahlbaren Medizin. Dass dabei gerade die Hausärzte im Vergleich zu vielen Kollegen wenig verdienen, gehört in seinen Augen zu den Gründen dafür, warum sich immer weniger Allgemeinmediziner niederlassen wollen. Dabei gebe es beispielsweise durch die Naturheilkunde viele interessante Möglichkeiten, auch als Hausarzt gutes Geld zu verdienen.

Sprechstunden am Mittwoch- und Freitagnachmittag sind nicht mehr nötig

In Zukunft fehlen aber nicht nur Hausärzte. Auch die Versorgung mit Frauenärzten, Neurologen und Augenärzten ist in Gefahr, wenn die derzeit niedergelassenen Mediziner in den Ruhestand gehen. 160 zugelassene und angestellte Fachärzte gibt es in Stormarn. Auch ihr Durchschnittsalter liegt bereits jenseits der 50. Viele städtische Praxen versorgten schon heute das ländliche Umland mit, sagt Dethlefsen: "Wollen wir wieder mehr Ärzte für das Leben und Arbeiten auf dem Land gewinnen, müssen kommunales und politisches Engagement und das Handeln der KVSH ineinandergreifen."

In Sülfeld ist die Versorgung durch Jan Christian Wulff derzeit gesichert. Aus seiner Sicht spricht nichts dagegen, dass das auch so bleibt. "Die Herausforderungen in den hausärztlichen Praxen sind viel geringer geworden", sagt er mit Blick auf die anstrengende Anfangszeit Anfang der 80er-Jahre. Heute seien durch den Ärztlichen Notdienst die Nächte abgesichert, und Sprechstunden am Mittwoch- und Freitagnachmittag seien auch nicht mehr nötig. "Die Präsenzpflicht ist dramatisch geringer geworden", sagt er.

Wieder ein Argument für die Tätigkeit als Hausarzt - und für Jan Christian Wulff auch für die Arbeit auf dem Land, wo er schon immer lieber gelebt hat. Und schließlich sei die Arbeit von allen ärztlichen Tätigkeiten die "ärztlichste", wie sich der Vater vierer erwachsener Kinder ausdrückt. "Man geht mehr auf die Person ein und verlässt sich weniger auf Geräte, die es in der eigenen Praxis ohnehin wenig gibt."