Acht Jahre und drei Monate Haft für einen Täter, der eine Frau im Jahr 1993 in Ahrensburg umbrachte und dann in einem Schrank versteckte.

Ahrensburg/Lübeck. Das Landgericht Lübeck hat einen 48 Jahre alten Sieker wegen Totschlags zu acht Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Nach Überzeugung der I. Großen Strafkammer ist er derjenige, der vor beinahe 20 Jahren die Ahrensburger Geschäftsfrau Ursula M. getötet hat. Die damals 49-Jährige war am 19. Juli 1993, einem Montag, wenige Minuten nach Mitternacht von ihrem Lebensgefährten in ihrer Doppelhaushälfte an der Straße Vierbergen leblos aufgefunden worden - im Schlafzimmer, versteckt im Kleiderschrank.

Es war ein spektakulärer Fall, so etwas wie das perfekte Verbrechen: Der Kriminalpolizei gelang es nicht, einen Tatverdächtigen zu ermitteln; 1996 wurde die Akte geschlossen. Mindestens ebenso spektakulär ist das Urteil knapp zwei Jahrzehnte nach der Bluttat: Es basiert fast ausschließlich auf Indizien, in erster Linie auf genetischen Fingerabdrücken, die der Täter 1993 am Ort des Geschehens hinterlassen hatte - auf Spuren, die auszuwerten den Kriminaltechnikern jener Zeit ganz und gar unmöglich war.

Heutzutage ist es Routine, Erbgut zu lokalisieren, zu entschlüsseln und mit bestehenden Datenbanken abzugleichen. Von Zeit zu Zeit nehmen sich Ermittler deshalb asservierte Beweisstücke aus ungelösten Fällen vor und untersuchen sie aufs Neue. So stießen die Beamten vor einem Jahr auf Frank B.

Der sitzt auch am letzten der 19 Verhandlungstage schweigend auf der Anklagebank. Ein freundlich wirkender Endvierziger mit ergrauten, leicht lichten Stoppelhaaren, dessen Augenbrauen außen spitz nach oben zeigen und seinem Gesicht einen verschmitzten Ausdruck verleihen. Ein von Statur und Größe absolut durchschnittlicher Mann, der aber, so erzählen sich Menschen, die ihn kennen, über Bärenkräfte verfügen soll. Sollte es ihm unheimlich sein, dass der Vorsitzende Richter Christian Singelmann nun detailreich schildert, was nahezu 20 Jahre nur er allein gewusst haben kann, so lässt er es sich nicht anmerken.

Der 16. Juli 1993, ein Freitag, ist nach Singelmanns Überzeugung der Tattag, der Abend nach 21.20 Uhr der Todeszeitpunkt. Ursula M. war an jenem Freitag noch in der Hamburger Innenstadt einkaufen, kehrte gegen 19 Uhr nach Ahrensburg zurück, so Singelmann. "Kurz darauf erhielt sie Besuch vom Angeklagten." Sie hatte sich offenbar schön gemacht für ihn: rote Jeans, roter Body, grauer Blazer, Pumps und viel Schmuck. Sie tranken Sekt der Marke Rüttgers Club und Bier. Danach gingen sie ins Schlafzimmer.

Gingen sie einvernehmlich dorthin? Wollten sie Zärtlichkeiten austauschen? Solche Fragen bleiben im Bereich des Spekulativen. Sicher ist: Es kam nicht zum Geschlechtsverkehr. Sicher ist nach Auffassung des Gerichts ebenso: Frank B. drückte der mehr als 20 Jahre älteren Frau ein Kissen aufs Gesicht, und zwar so stark, dass Lippenstift und Wimperntusche ein Spiegelbild des Gesichts in den Stoff stempelten. Singelmann: "Dann wurde sie gedrosselt, mit etwas Breitem und Weichem, mit einem Kleidungsstück oder durch einen Zug am Kragen." Schlussendlich, so die Überzeugung des Gerichts, versteckte B. die Frau im Schrank. Womöglich sei sie bereits tot gewesen, zumindest sei der Täter davon ausgegangen. Oder er habe in Kauf genommen, dass sie sterben werde.

Was B. damals nicht ahnen konnte: Auf dem roten Body und auf dem Kissen hatte er Spuren mit nahezu vollständigen DNA-Fragmenten hinterlassen, die nur jeweils einem von Zigmillionen von Menschen zuzuordnen sind.

B., den seine Bekannten als Frauen gegenüber zunächst äußerst charmant beschreiben, hatte die attraktive, wohlhabende Geschäftsfrau im Januar 1993 in Hamburg-Wandsbek kennengelernt. Einem intensiven Blickkontakt auf der Straße folgten Cafébesuche, später auch Besuche zu Hause. Wollte er irgendwann Sex mit der Witwe? Über das Tatmotiv kann die I. Große Strafkammer nur spekulieren. Tatsache ist: Zweimal später in seinem Leben, 2003 und 2010, überfiel B. Ex-Lebensgefährtinnen und strangulierte sie, weil er mit ihnen noch mal intim werden wollte. Deshalb war er vorbestraft, deshalb ist sein genetischer Fingerabdruck bei den Behörden gespeichert. Staatsanwältin Ursula Hingst: "Hätte er sich danach nichts mehr zuschulden kommen lassen, hätten wir diesen Fall nie aufgeklärt."

Die Verteidigung will in Revision gehen. Verteidiger Ulrich Haage: "Wenn ich das schriftliche Urteil habe, werde ich nach einer Begründung suchen."