Christoph Timm aus Lütjensee züchtet Kanarienvögel. Bei der Weltausstellung in Belgien hat Weibchen Nummer 27 ersten Platz errungen.

Lütjensee. Sobald die Kellertür aufgeht, rollt einem eine Welle Vogelgezwitscher entgegen. Mehr als 40 Käfige sind an die Wand montiert, in ihnen sitzen rund 90 Kanarienvögel und Zebrafinken. An einem Käfig oben links ist eine goldene Rosette befestigt. Sie gehört Nummer 27, dem diesjährigen Gewinner der Weltausstellung in seiner Klasse.

Nummer 27 gehört zur Zucht des Lütjenseers Christoph Timm. Einen Namen hat das Weibchen der Rasse Fife Fancy nicht. In diesem Punkt ist der Halter ganz pragmatisch: "Das kann sich doch bei so vielen Vögeln kein Mensch merken", sagt Timm. Bei der diesjährigen Weltausstellung im belgischen Hasselt meldete er drei seiner Tiere und schickte sie in einem genormten Transportkäfig auf die Reise. "Ich selbst bin gar nicht mitgefahren. Hinterher war ich darüber natürlich enttäuscht."

Rund 26.000 Vögel waren für die Weltausstellung gemeldet. 16.000 kamen aus Deutschland, 15 davon erhielten einen Weltmeistertitel. Einen Vogel bei der Weltausstellung zu melden kostet 20 Euro. "Die Konkurrenz reiste aus der ganzen Welt an: Argentinien, Brasilien, Kanada, Israel, Korea, Mazedonien", zählt der Lütjenseer auf. Nummer 27 musste sich mit 116 weiteren Vögeln der Rasse Fife Fancy messen. "Sie hat mit 94 von 100 möglichen Punkten den besten Wert erreichet. Das ist extrem viel", sagt Timm stolz.

Kanarienvögel werden in der Zucht in Farbvögel und Positurvögel unterteilt. Die Rasse Fife Fancy gehört zu den Positurvögeln, mit ihrer Form konnte Nummer 27 die Jury in Belgien überzeugen. "Sie ist rund wie ein Tennisball", erläutert Timm. Das sei, sagt der Züchter, die "große Kunst". Wichtig sei deshalb auch, dass der Vogel bei der Begutachtung nicht nervös werde. "Wenn das Tier Stress hat, duckt es sich und sieht nicht mehr rund aus", sagt Timm. Auch deshalb haben in diesem Jahr erst zum dritten Mal Tiere aus der Zucht des Lütjenseers an einer Weltmeisterschaft teilgenommen. "Ich fand das für die Vögel immer zu stressig, aber da diese Ausstellung in Belgien war, war der Transport nicht so weit." Zur Beruhigung gab es für die Kanarienvögel am Abend vor der Reise Hanfkörner.

Dass Nummer 27 bei der Weltmeisterschaft gute Chancen auf einen Titel haben würde, war für den Züchter abzusehen. "Das Tier wurde schon bei der Landesschau als der Beste von mehreren Hundert Vögeln ausgezeichnet und war zweimal Deutscher Meister", sagt der Lütjenseer. 81 Vögel, die aus Timms Zucht hervorgegangen sind, sind mit Nummer 27 verwandt. Neben Kanarienvögeln hält der Lütjenseer auch Zebrafinken und Dompfaffen. In jeder Zucht kommen zu den rund 100 ausgewachsenen Vögeln etwa 150 Jungtiere.

Einige hält Timm in einer Voliere im Garten, die übrigen sind in den Käfigen im Keller seines Einfamilienhauses untergebracht. In der dortigen Spülmaschine wäscht Timm die Futternäpfe und Trinkröhrchen der Vögel. "Ich bin nicht der Typ, der stundenlang Näpfe schrubbt", sagt Timm, der sich selbst als "Fußballverrückten" bezeichnet. "Eigentlich passt die Vogelzucht als Hobby gar nicht zu mir." Die Beschäftigung mit den Kanarienvögeln, die anders als Wellensittiche nicht handzahm werden, beruhige ihn jedoch. Etwa eine Stunde am Tag verbringe er während der Zucht von Februar bis Ende Mai mit den Tieren.

Kanarienvögel legen meist drei bis fünf Eier, fangen aber nach der Ablage des ersten Eis sofort an zu brüten. "Dadurch passiert es oft, dass das letzte Ei nicht überlebt", sagt Timm, der deshalb jeden Morgen die echten Eier gegen Plastikeier austauscht. "Sobald das Weibchen alle Eier gelegt hat, lege ich sie zum Brüten zurück."

Vor 36 Jahren fing Timm an, Kanarienvögel zu züchten. "Ich war schon immer ein Naturjunge. Als Kind war ich Mitglied im Angelverein", sagt Timm, der mit zwölf Jahren einen entflogenen Nymphensittich entdeckte und mit dem Angelkescher einfing. "Der Tierpfleger, bei dem ich den Vogel abgab, schenkte mir dafür zwei Zebrafinken." So begann die Zucht. Timm: "Meine Eltern haben es irgendwann nicht mehr ausgehalten. Sie stellten mich vor die Wahl: 'Du oder die Vögel'."

Timm entschied sich für die Vögel. "Mit 17 Jahren bin ich ausgezogen", sagt der Lütjenseer, der mitsamt seinen Vogelkäfigen nach München zog. "Ich hatte dem Vermieter nichts von der Zucht gesagt. Nach vier Wochen kam dann die Kündigung", berichtet Timm, der seit 1996 wieder in Lütjensee lebt.

Sein jüngster Sohn, der sechs Jahre alte Noah, hat mittlerweile eigene Vögel, um die er sich kümmert. "Es gibt kaum Nachwuchs, Hobbys wie dieses sterben aus", sagt Christoph Timm. Er selbst hat seiner Frau einmal versprochen, die Zucht aufzugeben, sollte eines seiner Tiere Weltmeister werden. Dieses Versprechen bringt in nun in die Bredouille. "Eigentlich wird es ja jetzt erst so richtig spannend."