Ein Pferd als Trainer in einem Führungskräfteseminar: In einer Reinbeker Reithalle stoßen selbst gestandene Chefinnen an ihre Grenzen.

Reinbek. Little Joe hat keine Lust auf die Arbeit, da kann die Frau neben ihm sagen, was sie will. Und sie sagt gerade ziemlich viel. Sie will, dass er erst geradeaus geht, dann einmal im Kreis um einen Plastikpfosten, dann in Schlangenlinie um Absperrhütchen. Und das alles möglichst mit Elan. Sie läuft neben ihm her, lächelt, säuselt und bittet. Aber Little Joe bleibt unbeeindruckt. Er geht, wie er soll, aber möglichst ohne Elan.

Little Joe ist ein polnischer Appaloosa-Kaltblut-Mix, also ein Pferd, und gerade im Dienst. Er und drei andere Pferde sollen auf Gut Sachsenwaldau in Reinbek Führungskräfte schulen. Gemeinsam mit ihrer Besitzerin natürlich, Verena Neuse. Damit das in einer möglichst lockeren Atmosphäre geschieht, nennen sich alle beim Vornamen: Dorothee, Andrea, Astrid. Und die Pferde: Little Joe, Offino, Walter. Und Fritz, der deshalb auf den vornehmen Nachnamen von Brandenburg verzichten muss.

Nun ist Andrea dran, sie soll Little Joe führen - und sie will es besser machen als die anderen beiden Teilnehmerinnen. Aber Little Joe geht nicht, er trottet. Und sobald er mal muss, hält er an. Andrea ist enttäuscht. Verena Neuse nicht: "Er braucht doch aber auch gar nicht schneller gehen, die Übung hatte ja keine Zeitvorgabe." Wenn er eben in seinem Tempo laufen wolle und die Aufgabe trotzdem erledige, sei doch alles in Ordnung.

"Aber er hatte doch vorhin beim Spielen so viel Energie", sagt Andrea. Nur: Spiel ist eben nicht Arbeit, so ist das auch bei Pferden. Begeisterung lässt sich nicht erzwingen. Und schon hat die Gruppe etwas gelernt, das sich auch auf den Alltag im Büro übertragen lässt. Dafür sind sie schließlich hier, dafür stehen die drei Frauen in einer Reithalle und frieren, trotz der vorher verteilten Handwärmer. Die Teilnahme kostet für jede von ihnen rund 800 Euro.

Sie lernen, dass es ihn gibt, diesen Bezug zwischen Training mit Pferd und Arbeit mit Mensch, und weil das so ist, gibt es auch Seminare, die beides verknüpfen. "Ich habe meinen beruflichen Background mit meinen persönlichen Interessen kombiniert", sagt die Seminarleiterin Verena Neuse. Sie hat die Pferdeakademie gegründet, ein Weiterbildungsunternehmen für die berufsbezogene Persönlichkeitsentwicklung mit Pferden als Trainingspartnern. Das heißt wirklich so. Eigentlich komme sie aus der "Anzugträgerwelt", sagt Neuse. "Ich habe BWL studiert, dann im Marketingbereich gearbeitet und später Mitarbeiter geschult."

Dann hat sie eine Ausbildung zur Trainerin für Horse Assisted Education gemacht. Denn "Pferde beachten keine Feedbackregeln", sagt sie. Und auf ihrer Firmenwebsite steht: "Ein Pferd sagt mehr als tausend Worte". Sie reagierten unmittelbar auf Verhalten, auf bewusstes ebenso wie auf unbewusstes. Es gehe darum, sich selbst zu reflektieren. "Die meisten Führungskräftetrainings setzen auf Inhalt. Aber wenn man das nicht mit Bauch füllt, dann hilft das nicht", sagt Neuse. Wer auf der Website die Liste der Referenzen liest, findet große Namen: Vodafone, Deutscher Ring, Volkswagen AG.

In der Broschüre steht, dieser Tag soll ein "Impulstag" sein. Und nein, Pferdeliebe ist keine Teilnahmevoraussetzung, geritten wird bei solchen Seminaren ohnehin nicht. "Ihr müsst nichts über Pferde wissen, um den Tag zu überstehen", hatte Neuse zu den Teilnehmerinnen gesagt. Ein paar Grundlagen gibt es dann aber doch am Anfang des Tages im Seminarraum. Die Teilnehmerinnen lernen, wo der tote Winkel eines Pferdes ist: direkt hinter ihm und direkt vor ihm am Kopf. Nähert man sich von hier, könnte das Pferd sich erschrecken. Im Seminarraum werden die praktischen Übungen vorbereitet, die Gruppe spricht über Verhalten in der Herde, soziale Strukturen, Rangordnung, Instinkt. Und über Parallelen und Unterschiede zwischen Pferdechef und Menschenchef. "Wenn du als Tier nicht akzeptiert bist, bist du nicht Chef. Beim Menschen ist das anders", sagt Verena Neuse und hat damit sicher recht.

Im Anschluss gehen sie in die Reithalle. Zu Beginn beobachten die Frauen die Pferde beim Spielen. Sie sollen sich entscheiden, wer ihnen am sympathischsten ist. Und dann gehen sie zu ihnen, zum Kennenlernen: streicheln, klopfen, gucken. Einige Minuten später fragt Neuse wieder nach: "Hat sich eure Meinung geändert?" Hat sie offenbar. Das Pony Fritz sei aus der Nähe doch nicht so nett gewesen wie gedacht. Little Joe sei nicht so interessiert an einem gewesen wie gehofft. Und Walter sei freundlicher, als er von weitem ausgesehen habe. So etwas gibt es auch bei Menschen. Das ist keine neue Erkenntnis, aber plötzlich eine sehr deutliche.

Und dann wird den ganzen Tag geführt und gelenkt. Mit Strick, ohne Strick und mit Kutscherzügel. Immer beobachtet von den anderen - und einer Kamera, jeder soll später einen Zusammenschnitt des Tages geschickt bekommen. Geführt wird, das zeigt die Beobachtung, unterschiedlich. Eine redet viel mit dem Pferd, eine andere lässt den Strick lang. Und nach jeder Runde wird gewechselt. "Wäre das jetzt eine Situation im Büro, solltet ihr euch beim neuen Team vorstellen, anstatt einfach die Zügel zu nehmen", sagt Neuse. Dorothee ist dran. Sie geht zu Little Joe. "Darf ich mich vorstellen, ich bin die neue Führungskraft", sagt sie. "Eine steile Lernkurve", sagt Verena Neuse.

Eine andere Aufgabe: Dorothee soll alle Pferde dazu bewegen, in eine Richtung zu laufen und dann anzuhalten, als Hilfsmittel bekommt sie eine Fahne. Das gelingt. Dann soll jedem Pferd ein Reifen um den Hals gehängt werden. Das ist schwieriger. Die Pferde weichen zurück. "Du hast die Fahne noch in der Hand", sagt Verena Neuse. "Damit hast du ihnen vorhin signalisiert, dass sie laufen sollen." Das ist also eines dieser unbewusst ausgesandten Signale, sie hat es den Pferden nicht leicht gemacht, sie zu verstehen. Hier in der Reithalle ist das egal, aber Mitarbeiter sind sicher nachtragender als Pferde.

Als am Ende des Tages alle im Seminarraum des Gutshauses sitzen, besprechen sie, was sie gelernt haben. Es stellt sich heraus: Am deutlichsten ist allen das Arbeitstempo von Little Joe in Erinnerung geblieben. "Ich wollte ihn motivieren und habe dabei nicht akzeptiert, wie er ist", sagt Andrea. "Aber vielleicht muss man nicht immer optimieren nur aus Prinzip." Sie hätte gern mehr aus ihm rausgeholt, sagt Astrid. Aber wo es nicht nötig sei, "spare ich diese Energie und lasse mich damit in Ruhe." Dorothee sagt, es gehe um Akzeptanz, die Menschen einfach so sein zu lassen, wie sie sind, nicht immer zu vergleichen. "Das Gesamtziel ist Gelassenheit." Die hat Little Joe ihnen definitiv voraus.