Eine Reporterin als lebendige Schaufensterpuppe - Experiment in einer Ahrensburger Einkaufspassage.

Was ist das für ein Gefühl, im Schaufenster zu sitzen? Und wie reagieren die Menschen vor der Scheibe auf eine lebendige Dekoration? Das Abendblatt wagte das Experiment und verwandelte die Einkaufswelt in ein Schauspiel: Reporterin Antonia Thiele nahm in der Rolle einer Kleiderpuppe im Ahrensburger Kaufhaus Nessler Platz. Redakteurin Martina Tabel beobachtete, wie die Kunden draußen zum Publikum wurden. Eine Geschichte - zwei Perspektiven.

Ein Schatten fällt auf mich. Vor mir steht eine mit Einkaufstüten beladene Frau. Unsere Blicke treffen sich, sie scheint irritiert zu sein. Ich setze zu einer Erklärung an... sinnlos. Sie kann mich ja nicht hören. Ich frage mich kurz, was oder wer mich dazu gebracht hat, den Mittwochvormittag statt an meinem Schreibtisch im Schaufenster eines Kaufhauses zu verbringen und mich den Reaktionen der Passanten auszusetzen. Aber genau darum geht es. Also nehme ich meine Zeitung und mache es mir zwischen den Schaufensterpuppen gemütlich. Die Show beginnt.

Die automatische Glastür zur Passage öffnet sich. Ingrid Deutler steuert sofort auf das Schaufenster zu. "Ist das süß!" Die 73-Jährige bricht in Begeisterung aus. "Und sie sieht auch noch so hübsch aus", sagt die Ahrensburgerin und lächelt die Reporterin an, die gerade eine Häkelvorführung macht. "Damals hätte man gesagt, das gehört sich nicht." Die frühere Erzieherin jedoch kann sich kaum trennen von der Szenerie. "Das ist schick. Und da gehört Mut zu." Sie weiß, dass sie drinnen nicht gehört wird. Aber sie wird verstanden. Sie lächelt. Und die höchst lebendige Schaufensterpupe lächelt zurück.

In der Passage wird es langsam voller. Passanten, die vom Markt kommen, bleiben stehen und klopfen sich den Schnee von den Schuhen. Das gut beheizte Schaufenster ist gar kein so schlechter Platz. Und die Welt scheint durch die Glasscheibe freundlicher zu sein. Viele lachen und winken mir zu. Ein Mann formt mit den Lippen ein "Guten Morgen". Offensichtlich sind die Menschen lebendigen Schaufensterpuppen gegenüber höflich.

Menschen, die auf dem Wochenmarkt eingekauft haben, strömen in die Passage. Jetzt wollen sie sich bei Nessler umschauen - und trauen ihren Augen nicht. "Das gibt's doch gar nicht", sagt ein Mann. "Guck mal. Die Frau da!" Seine Partnerin schüttelt den Kopf. Sie hat nichts gemerkt. "Das ist doch nur ein Laden", sagt sie. Zwei junge Damen schauen genauer hin. "Eine lebendige Schaufensterpuppe. Das ist ja cool", sagt die 16-jährige Kaya aus Ammersbek. "Ein spannender Job. Für 20 Euro die Stunde würde ich das auch machen. Wie sich das wohl anfühlt?" Sie legt die Hand aufs Fenster. Von drinnen legt sich die Hand der Reporterin auf ihre. Kontakt zwischen Akteurin und Zuschauerin - und doch zwei Welten, getrennt durch einbruchsicheres Glas.

Mir wird warm unter den Scheinwerfern. Im Unterschied zu den fünf Puppen um mich herum könnte ich mir zwar die Beine vertreten. Aber der Platz in der Frühlingsdekoration ist eingeschränkt. Also beobachte ich den Akkordeonspieler, der draußen im Schnee steht. Er grinst mich an. Was er wohl spielt? Ich höre nur den eintönigen Bass der Musik, die aus den Lautsprechern des Geschäftes dröhnt.

Die Wochenmarktverkäuferin Andrea Kreer will schnell etwas besorgen. Echt oder nicht echt? Sie stutzt. Dann begreift sie, welches Spiel hier gespielt wird. "Ein Gag. Witzig. Und die junge Dame ist in der Rolle perfekt. Sie sitzt so starr und verzieht keine Miene. Das ist eine tolle Leistung." Die Darbietung kommt an. "Ein echter Überraschungseffekt. Und sie passt hier so gut rein", sagt die Verkäuferin, zeigt lachend auf die heute neu gemischte Schaufenstertruppe und ist schon in der Menge verschwunden.

Mir ist nach Abwechslung. Ich hole noch einmal mein Häkelzeug heraus. Zugegeben, ich kann nicht häkeln. Aber Schauspieler müssen für ihre Rolle bekanntlich über sich hinauswachsen. Sofort tritt eine Dame ans Schaufenster. "Zeigen Sie mal", bedeutet sie mir per Handzeichen. Unter ihrem prüfenden Blick gelingen mir tatsächlich einige Maschen. Prompt wird mir Respekt gezollt. Die Passantin streckt ihren Daumen hoch.

"Toll." Peter-Jens Jesse sieht die Szene und stürmt vorbei. Er ist fast schon raus aus der Passage. Da zieht es ihn zurück zur Schaufenster-Bühne. "Ne' echt gute Puppe", sagt er und geht ein bisschen dichter ran. "Moment! Ich habe nicht Zuckerpupe gesagt." Als männlicher Betrachter legt er Wert auf politische Korrektheit. Begeistert ist er trotzdem. "Eine richtig gute Idee. So was könnte ich mir auch mal überlegen", sagt der Kaufmann aus Hamburg, und winkt noch einmal zum Schluss.

Langsam finde ich Gefallen an der Sache. So viele lachende Menschen sieht man selten. Ein älterer Herr hält die Hand hinter sein Ohr. Er wartet auf eine Erklärung. Soll ich pantomimisch darstellen, dass es ein Experiment ist? Mir bleibt nur, die wichtigste Erkenntnis des Versuchs umzusetzen: Winken und lächeln geht immer. Vielleicht auch außerhalb der Schaufenster-Bühne.