Nicht nur ältere sondern auch junge Menschen können dement werden, weiß Ahrensburger Frank Stehr. Er arbeitet für die NCL-Stiftung.

Ahrensburg. Dass ältere Menschen an Demenz erkranken können, ist weithin bekannt. Dass aber auch Kinder eine seltene und besonders schlimme Form der Demenz bekommen können, wissen bisher nur sehr wenige Menschen. Neuronale Ceroid-Lipofuszinose, kurz NCL, nennt sich die Krankheit, an der die Patienten schon in jungen Jahren sterben. Bisher ist NCL unheilbar. Der Ahrensburger Frank Stehr, promovierter Biochemiker, arbeitet daran, dass mehr Menschen über die Krankheit und ihre Symptome Bescheid wissen - und dass sie eines Tages auch geheilt werden kann.

Stehr ist schon seit mehreren Jahren hauptberuflich für die NCL-Stiftung tätig, die ihren Sitz in Hamburg hat. Der Hamburger Wirtschaftswissenschaftler Frank Husemann gründete sie, nachdem bei seinem eigenen Sohn Tim im Jahr 2002 NCL diagnostiziert worden war. Damals war Tim sechs Jahre alt. Im Alter von acht Jahren erblindete er, die Krankheit lähmte später seinen Körper und Geist. Mittlerweile sitzt er im Rollstuhl, er kann kaum noch sprechen. In Deutschland leiden rund 400 Kinder an dieser seltenen Krankheit, weltweit sind es etwa 50.000. "In Stormarn sind mir keine Fälle bekannt. Ich schätze, dass es fünf bis zehn Fälle im Hamburger Umland gibt", sagt Frank Stehr. Er vermutet auch, dass die Zahl der registrierten Fälle weltweit ansteigen wird. "Es liegt aber nicht daran, dass mehr Kinder krank werden. Sondern daran, dass die Diagnosemöglichkeiten besser werden", sagt Stehr.

Gendefekt löst die tödlich verlaufende Stoffwechsel-Krankheit aus

NCL ist eine erblich bedingte Stoffwechselkrankheit, die auftritt, wenn beide Eltern einen bestimmten Gendefekt haben. Sie führt dazu, dass die Nervenzellen nach und nach absterben. Zumeist entwickelten sich die betroffenen Kinder zunächst normal, Symptome zeigten sich erst nach der Einschulung. "Mit einer Sehschwäche geht es los, später treten Symptome wie Epilepsie auf", sagt Frank Stehr. Menschen, die NCL haben, würden selten älter als 20, maximal 30 Jahre alt.

Mitte des 19. Jahrhunderts beschrieb ein Arzt in Norwegen erstmals die Krankheit, 1995 wurde festgestellt, dass sie auf einem Gendefekt beruht. Doch noch immer ist sie weitgehend unbekannt. "Viele Kinderärzte wissen nicht, was NCL ist. Deshalb gibt es immer noch viele Fehldiagnosen, die Ärzte vermuten oft erst einmal eine Sehschwäche", sagt Frank Stehr. Auch Lehrer müssten mehr über die Krankheit erfahren. Denn die Symptome des geistigen Abbaus - die Kinder haben etwa Schwierigkeiten, Worte zu finden - würden häufig falsch gedeutet. "Manche Lehrer denken einfach, dass die betroffenen Kinder faul sind", sagt der Biochemiker.

Eine seiner Aufgaben sei es, möglichst viele Menschen über die Krankheit aufzuklären. Nach seiner Promotion in molekularer Medizin kam er im Jahr 2003 zu der Stiftung, auf die er durch eine Anzeige aufmerksam wurde. Er arbeitet im Hamburger Büro der Stiftung und ist für Forschung und Öffentlichkeitsarbeit zuständig. "Ich reise viel, spreche mit Sponsoren und halte Vorträge, beispielsweise an Kinderkliniken", sagt der 41-Jährige, der selbst zwei gesunde Kinder hat.

Auch in Stormarn war Stehr schon aktiv, 2012 hielt er einen Vortrag vor Mitgliedern des Großhansdorfer Rotary Clubs, die anschließend für die Stiftung spendeten. Doch im Kreis soll noch wesentlich mehr passieren - die Stiftung plant die Ausweitung einer erfolgreichen Aktion und sucht Kooperationspartner: "Wir machen in Hamburger Schulen ein Projekt mit Oberstufenschülern, bei dem wir im Biologieunterricht über NCL informieren. Wir diskutieren auch im Ethik- und Sozialkundeunterricht mit den Schülern", sagt Tiziana Serio, die ebenfalls für die NCL-Stiftung tätig ist. Die studierte Biologin zeichnet hauptsächlich für das Schulprojekt verantwortlich - und würde gern auch in Stormarn aktiv werden.

Ein weiterer Schwerpunkt der Stiftungsarbeit ist es, die Erforschung dieser Krankheit zu fördern - damit sie eines Tages geheilt werden kann. "Wir geben jungen Medizinern Stipendien, die sich in ihrer Doktorarbeit mit dem Thema NCL befassen", sagt Frank Stehr. Zurzeit fördere die Stiftung elf Doktoranden, die in Deutschland, Großbritannien, Israel und den USA aktiv sind. Zudem finanziere die Stiftung ein Projekt auf dem Gelände der Uniklinik Hamburg-Eppendorf.

Zu den Fortschritten in der Erforschung von NCL sagt Frank Stehr: "Wir haben einen wichtigen Punkt erreicht. Denn wir erreichen jetzt die präklinische Phase beim Test bestimmter Medikamente". Die Wissenschaftler erproben, ob bestimmte Medikamente, die bei multipler Sklerose helfen, auch bei NCL angewendet werden können. Diese Medikamente werden in Zellkulturen getestet, bevor sie vielleicht in Kliniken zum Einsatz kommen.

Bis NCL heilbar ist, werden laut Frank Stehr noch einige Jahre vergehen. Er meint, dass dann am ehesten eine Kombination von Wirkstoffen Erfolg haben kann - wie sie heute erfolgreich bei HIV-Patienten angewendet wird. Doch die Stiftung hat ein konkretes Datum im Blick: "Unser Ziel ist es, dass wir bis 2020 den Patienten eine erste Therapie anbieten können."

Zu der Frage, ob Paare mit Kinderwunsch etwas tun können, um die Krankheit NCL bei ihrem Kind auszuschließen, sagt der Wissenschaftler: "Theoretisch ist es möglich, sich auf Erbkrankheiten testen zu lassen." Allerdings seien alle Menschen Träger verschiedener Erbkrankheiten - tatsächlich brechen die aber nur in seltenen Fällen aus. Frank Stehrs Fazit: "Wenn in einer Familie schon einmal ein NCL-Fall aufgetreten ist, sollte sich das Paar von einem Humangenetiker beraten lassen."