Ein Weihnachtsmärchen von Helmut Rein

Im Sachsenwald (an dessen Rand)

ein kleines Tannenbäumchen stand.

Von hohen Stämmen rings umgeben,

so kämpft es tapfer um sein Leben.

Die großen Tannen sprachen

Schlechtes:

"Aus dir, du Knirps, wird nie

was Rechtes"

und lachten, was schon boshaft fast,

sich übers Tännchen "einen Ast".

Doch, als der Winter brach ins Land,

das Christfest vor der Türe stand,

als in der stillen, heil'gen Nacht

die Welt erstarrt in weißer Pracht,

im Wald, von Raureif überzogen,

die Äste schneebedeckt sich bogen,

da stand auf einmal - war's

ein Traum? -

das Tännchen da als Weihnachtsbaum,

mit Kerzen, Kugeln reich bestückt,

mit Goldgirlanden fein geschmückt

und strahlt anhand der Lichterkette

mit tausend Sternen um die Wette.

Der alte Hirsch bemerkt's als Erster

und brummt: "Das war die Frau vom Förster."

"Ich glaube", fiept der kleine Has',

"die Waldarbeiter waren das."

Reh, Marder, Fuchs, Kauz, Eichhorn, Maus,

sie treten aus dem Tann heraus

und stehen staunend, sprachlos-stumm,

um unseren kleinen Baum herum.

Und alle denken: "Welch ein Traum,

was für ein strahlend schöner Baum!

Desgleichen hat's in unserem Leben

am Weihnachtstag noch nie gegeben."

Und horch, fast wie ein Glöcklein schallt

ein Silberlachen durch den Wald.

Gevatter Dachs kratzt sich das Haar:

"Ob's vielleicht doch das Christkind war?"

P.S. Und niemand hat, seit dieser Nacht,

das Tännlein jemals ausgelacht.

Abendblatt-Leser Helmut Rein aus Oststeinbek hat uns dieses Gedicht geschickt. "Märchen haben oft einen ganz realen Hintergrund", schreibt er und berichtet, wie er tatsächlich im vergangenen Jahr im Wald einen geschmückten Baum entdeckt hat.