45-Jähriger soll seine Freundin mit 21 Messerstichen getötet haben. Angeklagter schweigt vor Gericht

Lübeck/Reinbek. Rüdiger G. hat, wenn die Ermittlungen der Polizei stimmen sollten, am 19. Mai in einem Waldstück zwischen Reinbek und Aumühle seine Freundin Anke M. getötet. 21 Messerstiche haben die Gerichtsmediziner gezählt: fraglos ein Gewaltexzess, der danach in einem Exzess des Schweigens seine Fortsetzung fand. Schon zwei Tage nach der Tat war der 45-Jährige, der damals in einer verwahrlosten Schlichtwohnung in Reinbek lebte, von der Polizei festgenommen worden. Fragen beantwortete er nicht, und auch gestern schwieg der Mann, der sich nun wegen Totschlags vor dem Lübecker Landgericht zu verantworten hat.

Zusammengesunken sitzt er da. Ein großer, kräftiger Mann mit Vollbart und struppigen dunkelbraunen Haaren. Grünes Sweatshirt, hellblaue, abgetragene Jeans. Meist stützt er sein Kinn auf die gefalteten Hände, er wendet sich niemandem zu, er merkt nicht auf. Reglos wirkt er, also wolle er nicht auffallen. Nur die Augen wandern hin und her.

Am ersten Tag des Prozesses gegen G. haben die Polizisten das Wort. Was haben sie über die Lebensumstände des Opfers und des mutmaßlichen Täters in Erfahrung gebracht? Anke M. lebte schon seit Jahren in einer sozialtherapeutischen Einrichtung in Reinbek-Ohe. Die 68-Jährige hatte jahrzehntelang Alkohol konsumiert und konnte nicht mehr allein leben. Mitbewohner beschreiben sie als "zurückgeblieben".

Den selben Begriff verwenden sie auch für den alkoholkranken Rüdiger G., der ebenfalls einige Monate in der Einrichtung gewohnt hatte. Dort hatte er auch Anke M. kennengelernt. Weil G. einen Mitbewohner bedroht hatte, musste er dann ausziehen. Der Kontakt zu M. blieb bestehen, mittwochs und sonnabends durfte G. sie besuchen. Ob er das auch an jenem Sonnabend getan hat, an dem ein Radfahrer die Leiche von Anke M. im Unterholz entdeckte, ist eine der Fragen, die im Prozess geklärt werden müssen.

Und es wird sicher auch um die Frage der Zurechnungsfähigkeit gehen. Ist G. für die Tat, falls er sie begangen hat, auch verantwortlich zu machen? Nach Ermittlungen der Polizei ist der 45-Jährige Analphabet. Die Eltern haben ihn nicht gefördert, die Sonderschule hat er abgebrochen. In den Achtzigerjahren arbeitete er auf einem Ponyhof am Rande des Harzes. Die Besitzer des Hofes beschreiben ihn als friedfertig. Sehr viel später - er wohnte zu der Zeit mal in Grande, mal in Havighorst, mal in Schwarzenbek - sei er "zunehmend verwahrlost". Gemeint war sein Hausstand, sein Äußeres. Aber gab es auch eine Verwahrlosung im Inneren, die zu jenem tödlichen Gewaltausbruch führte?

Der Prozess wird am 7. November um 9 Uhr fortgesetzt.