Bei einem bundesweit einzigartigen Pilotprojekt geht es darum, Vorurteile zu widerlegen und Talente zu erkennen. Bürger sollen angesprochen werden.

Bargteheide. Jungs sind frech, hören nicht zu, prügeln sich und sind die Verlierer in der Schule. "Das sind Klischees. Wir wollen weg von diesem Denken", sagt die Bargteheider Jugendbildungsreferentin Ute Sauerwein-Weber. "Die Förderung von Mädchen ist selbstverständlich. Wir wollen jetzt auch den Jungen Möglichkeiten eröffnen", sagt Gleichstellungsbeauftragte Gabriele Abel. "Es ist ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema. Wir wollen es auf ganz neue Weise behandeln und nicht nur einen Kochkursus für Jungs anbieten", sagt VHS-Leiterin Hannelies Ettrich. Die drei Frauen planen in Bargteheide einen Fachtag "Jungs" und betreten damit bundesweit Neuland.

"Wir hätten gern über den Gartenzaun geguckt und uns Anregungen geholt", sagt Gabriele Abel, "leider wir haben nichts Vergleichbares gefunden." So startet ein pädagogisches Pilotprojekt. Der 27. Oktober soll der Startpunkt für die Entwicklung einer neuen Qualität von Jungenarbeit in der Stadt sein. Ziel ist die Entwicklung individueller und wertschätzender Angebote, um Jungs nach vorn zu bringen. Schirmherr des Fachtags ist Bürgermeister Henning Görtz. Kooperationspartner sind der Kreisjugendring Stormarn, Pro Familia Ahrensburg und Bargteheides Ex-Bürgermeister Werner Mitsch.

+++Junge Talente ganz früh entdecken und fördern+++

"Welche Stärken haben die Jungs? Welche Kompetenzen sind da? Und was liegt da alles brach. Wir hoffen auf starke Mitstreiter, um das herauszufinden", sagt Ute Sauerwein-Weber. Der Fachtag beginnt mit Vorträgen, die Impulse für den anschließenden Austausch in den Workshops geben sollen. Am Nachmittag werden die Ergebnisse in einem Plenum vorgestellt. Eine Talkrunde mit Bargteheider Politikern und Experten rundet das Treffen ab.

"Wir wollen aber nicht nur Experten und Politiker ansprechen, sondern vor allem die Bürger", sagt Ute Sauerwein-Weber. "Jede Mutter, jeder Nachbar, jeder Vater ist in dieser Frage ein Profi, weil er Erfahrungen einbringt", ergänzt Gabriele Abel, die selbst Mutter ist und sich noch gut an ein Telefonat ihres Sohnes erinnern kann. "Er rief einen Freund an. Und dabei fiel der Satz 'Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich unter der Girlie-Mafia hier leide'. Dieser Satz ist mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen", sagt Bargteheides Gleichstellungsbeauftragte. Dabei sei klar: Mädchen und Jungen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Abel: "Wir müssen für beide Sorge tragen. Das ist gelebte Gleichstellung."

+++Der Girls' und Boys' Day war ein voller Erfolg +++

Dass sich ausgerechnet drei Frauen für Jungs einsetzen, ist vielleicht typisch. Es fällt zumindest auf - auch den Organisatorinnen. "Jungen sind in dieser Frage die eigentlichen Experten", sagt Ute Sauerwein-Weber, "Sie müssen sagen, was sie brauchen. Familie, Kitas, Schulen und Vereine sollten sich fragen: Was müssen wir tun."

Wer Vitus Jamelt zuhört, weiß was zu tun ist. "Wir brauchen männliche Bezugspersonen, schon im Kindergarten und in der Grundschule", sagt der Anne-Frank-Schüler. Seine Eltern hatten sich scheiden lassen. "Und der Klassenlehrer hat sich nur um die Mädchen gekümmert. Ganz ehrlich", sagt der 17-Järige, "ich habe damals mit Stühlen geschmissen." Auf der weiterführenden Schule gab es dann große Konflikte, denen Vitus auch nicht ausgewichen ist. Er wollte auf keinen Fall als Weichei gelten. "Ich habe jedes Mal eins auf die Mütze bekommen und nicht gewusst, was ich machen sollte. Es wäre schön gewesen, wenn jemand für mich da gewesen wäre. So wie später der Stadtjugendpfleger Joachim Brodmann", sagt Vitus, "aber von diesen Bezugspersonen gibt es zu wenig. Wir haben in Bargteheide rund 5000 Schüler."

+++Männer sind rar in Kindergärten+++

Der 17-Jährige hat die Kurve gekriegt. Das Stühlewerfen ist vorbei. Im Frühjahr hat er seine Jugendleiter-Card gemacht und ist bei den Sommercamps des Kreisjugendrings im Einsatz. "Es ist ein Klischee, dass Jungs nur Blödsinn machen und nicht zuhören. Bei einer klaren Ansage machen die alles, ohne zu meckern", sagt Vitus. Eins findet er besonders schlimm: abgestempelt zu werden. Vitus: "Du hast einmal was gemacht, und dann wirst du für immer darauf festgelegt. Deswegen ist der Jungen-Fachtag sehr wichtig."

Eike-Christian Stoldte ist seit fünf Jahren in der Jugendarbeit aktiv. Auch der 18-Jährige sagt: "Man merkt, dass einige Jungs kein männliches Vorbild zu Hause haben." Eike-Christian hat Workshops bei der Kinderstadt Stormini geleitet und war Betreuer bei Freizeiten. So wie Vitus hat er positive Erfahrungen gemacht: "Es ist schön zu sehen, wie sich Jungs in der Gemeinschaft verändern", sagt der Anne-Frank-Schüler, "selbst in zwei Wochen kann man ihnen etwas mit auf den Weg geben."

Darum geht es auch den Initiatoren des Fachtags. Sauerwein-Weber: "100 Jahre gab es klare Rollenbilder. Jungs raufen nun mal, hieß es. Heute fällt gleich das Stichwort Gewaltprävention. Welche Sicht ist angemessen? Genau diese Diskussion wollen wir führen."